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Gastro-Lieferketten: Schweißtreibender Mountain-Marathon

Gastro-Lieferketten: Harter Mountain-Marathon

Hinter dem Gastro-Großhandel, seinen Lieferanten aus der Lebensmittel- und Getränkeproduktion und seiner Kundschaft, vom Wirtshaus bis zum Würstlstand, liegt ein 16-monatiger Marsch durch ein Tal der Tränen.

Bericht: Dr. Hanspeter Madlberger

Nach dem Ende des Lockdowns beginnt für die Branche eine schweißtreibende Aufholjagd, ein Mountain-Marathon, der dem Führungspersonal der großen und der mittelständischen Gastro-GH-Firmen wahre Ironman-(bzw. Ironwoman-) Qualitäten abverlangt. Da braucht es gute Kondition und gute Konditionen.

Wie schwer der Verlust-Rucksack ist, den das stachelige Virus der Branche umgehängt hat, lässt sich aus den top-aktuellen Gastro-Data-Daten ablesen, die retailreport.at vorliegen. Das Zahlenwerk umfasst das erste Quartal 2021 und gibt somit Auskunft über die Lockdown-Endphase in den Wochen zwischen Weihnachten und Ostern. Einer Periode, die - Stichwort: Wintertourismus - unter Corona besonders stark zu leiden hatte.

Beim ersten Blick auf die Gastro Data-Tabellen (siehe Anhang) fällt das unterschiedliche Ausmaß der Umsatzschäden in den Gastronomie-Lieferketten auf, ausgelöst durch die Pandemie und die Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung.

D-A-CH-Region: Tu unfelix Austria...

Weil der Tourismus und die daran andockende Gastronomie und Hotellerie in den drei Ländern der D-A-CH-Region einen recht unterschiedlichen gesamtwirtschaftlichen Stellenwert haben, schlagen sich auch die Corona-bedingten Umsatzverluste der Tourismus-Wirtschaft in den Gastro-GH-Umsätzen in Deutschland, Österreich und der Schweiz sehr differenziert nieder. Bei uns war das Minus im ersten Quartal 2021 mit  58,7 % am höchsten, was vor allem dem beinahe-Totalausfall der Wintersaison geschuldet ist. Minus 68,2% im Jänner, Minus 66,6% im Februar, diese Negativ-Rekorde haben auch statistische Ursachen. Im Vergleichsjahr 2020 brach die Corona-Krise erst Mitte März aus, in den beiden ersten Monaten des Jahres war noch (Après-) Ski-Business as usual angesagt.

Im "inneralpinen" Vergleich hat Österreich deutlich mehr Skipisten-Kilometer und Hotelbetten als die Schweiz, was ja in normalen Zeiten, die hoffentlich bald wieder kommen, kein Nachteil ist. Auch im Wendemonat März hörten sich die Alphorntöne vom Matterhorn optimistischer an, als die Seufzer-Jodler vom Großglockner und der Zugspitze.

Salzburg und Tirol: Epi-Zentren der Umsatzausfälle

Noch stärkere Unterschiede weist der Umsatzverlauf nach Bundesländern auf. Salzburg mit einem Minus von 77,5%, das erinnert in der Skiregion Amadé an das Requiem des großen Wolferl. In Tirol (- 73,4%) lief es nicht viel besser. Inländer- und Ausflugstourismus verhalfen den niederösterreichischen Skiparadiesen Semmering, Wechsel und Ötscher zu einer relativ guten Saison-Bilanz (-39,5%).

Bei den Umsatzveränderungen nach Sortimentsgruppen fallen die extrem starken Einbußen des Gastro-GH im Geschäft mit alkoholischen Getränken (Bier, Wein Spirituosen) auf. Mehrere Faktoren spielen hier zusammen. Da ist einmal die enge Korrelation zwischen Pistenvergnügen und Alkoholkonsum. Ischgl-Brauchtum vom Unfeinsten. Wenn die Lifte still stehen, sinkt der Apres-Ski-Promille-Pegel auf den Ground Zero. Wer mit dem Auto zur Liftstation anreist, bevorzugt alkoholfreie Durstlöscher. Wenn die Wirtshäuser  geschlossen sind, machen Bier- und Wein-Tippler ihren Einkehrschwung am Supermarkt-Parkplatz. Dazu kommt in der Brauwirtschaft  die Kluft zwischen "Gastronomie-lastigen" und "Supermarkt-lastigen" Bierkulturen, was sich sowohl in unterschiedlichen Marken-, Gebinde- (Fass oder Dose) und Vertriebsstrategien (Direktbelieferung oder Vertrieb über den Großhandel als Absatzmittler) niederschlägt. In Deutschland kündigt sich eine Schließungswelle unter den Gastronomie-affinen Brauereien an.

Wenn jetzt die Hoffnung keimt, dass die Bevölkerung aus der Corona-Quarantäne entlassen wird und umgekehrt das Virus hinter Schloss und Riegel kommt, bricht auch für die Gastro-Lieferketten eine neue Ära an. An vielen Schrauben muss in der Marketing- und Vertriebspolitik gedreht werden. Ausschließlich auf den Yo-Yo-Effekt zu hoffen - "die Konsumenten werden zu ihrem alten Konsummustern zurückkehren" -  wäre kurzsichtig und verhängnisvoll.

Gastro-GH als Trendsetter

Die wichtigste Leitplanke für ein erfolgreiches Post-Corona-Marketing hat schon vor Jahrzehnten der deutsche Marketing-Guru Wolfgang Disch (langjähriger Herausgeber der renommierten Absatzwirtschaft) eingeschlagen. Trends fallen nicht vom Himmel, sie werden von Unternehmen gemacht, war sein Credo. Der Gastro-Großhandel als Trend-Scout seiner  Kundschaft. Da steckt viel Wachstumsfantasie drinnen. Österreichs Gastro-GH-Szene zeichnet sich durch Vielfalt und starke regionale Verankerung aus, in ihren Reihen finden sich markante (Achtung, Wortspiel!) Unternehmerpersönlichkeiten. Im Ernst: Wenn sich kleine mittelständische Großhändler im Wettbewerb mit großen Filialkonzernen behaupten wollen, ist Kooperation in Richtung Lieferanten unverzichtbar. Da haben Verbundgruppen wie Markant und Top Team, mit der EMD im Hintergrund (Stichwort: Eigenmarken-Sourcing) noch Luft nach oben. Auch wenn die BWB darauf ein wachsames Auge wirft, wie die Auflagen für den Einstieg von Transgourmet bei der Gastro Profi GmbH in Alkoven zeigen.  

Trendsetting durch den GH ist angesagt

  • in der Digitalisierung (z.B. Kastners myProduct.at- Onlinehandel)
  • in der Entwicklung von Bio-Sortimenten für Großverbraucher (Kastners Biogast, Transgourmet Natura)
  • im Connected Wholesale-Marketing (z.B. virtuelle Saisonmessen, Click & Collect)
  • in der Logistik (Kooperation zwischen Kiennast und Unimarkt sowie Übernahme des Getränkedienstes Lichtenegger durch Kiennast).

Dass die Metro sich als Marketplace für regionale Spezialitäten mit breiter Brust in Szene setzt, beweist, dass auch ein in Umstrukturierung befindlicher internationaler Handelskonzern die Zeichen der Herkunftsmarketing-Zeit erkannt hat.

Vertrieblich soll dann jeder nach seiner Facon selig werden. Das gilt auch für die Standortexpansion, wo sich zur Zeit im Pinzgau Spektakuläres tut: Wedl baut seine "Wedl C&C Genußwelten" in Saalfelden neu, Transgourmet ruft zum Spatenstich für den neuen Markt in Zell am See. Die Platzhirschen von AGM (aus dem Rewe/Adeg-Lager) werden vermutlich nicht tatenlos zuschauen. Das Virus wird verdrängt, der Verdrängungswettbewerb in der Branche nimmt wieder Fahrt auf.

DACH Umsatzveränderung
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geschrieben am

28.05.2021