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Streit um Preiserhöhungen,  Lieferketten unter Hochspannung

Preiserhöhungen: Lieferketten unter Hochspannung

Greenflation und Coronomy rufen nach neuen, kooperativen Ansätzen bei den Verhandlungen zwischen Industrie und Handel über eine Anhebung der Listenpreise.

Von Hanspeter Madlberger

Corona und Klimakrise führen heuer und in den kommenden Jahren zu tief greifenden Verwerfungen in der Lebensmittel-Lieferkette und darüber hinaus in der gesamten FMCG-Branche. Der aktuelle Konflikt über die Weitergabe von Preiserhöhungen bei Rohstoffen, Personal-, Logistik-, Energie- und Verpackungs-Kosten von Produzenten an den Lebensmittelhandel und in der Folge an die Konsumenten unterzieht die vertikale Kooperation von Produktion und Distribution einem veritablen Stresstest. Transparenz seitens der Industrie über die Auswirkungen externer Preiserhöhungen auf ihre interne Kostenstruktur und Augenmaß seitens der Handelsriesen bei der Umsetzung  unvermeidlicher Preisanhebungen sind jetzt gleichermaßen gefragt.

Wie den ORF-Nachrichten vom 17. Jänner zu entnehmen war, prognostizieren heimische Wirtschaftsforscher für das erste Quartal  2022 einen Anstieg der Lebensmittelpreise im Einzelhandel um 3%, für das Gesamtjahr wird ein Plus von 2,5% veranschlagt. Kein Anlass zur Panik, möchte man meinen, denn für so bewegte Zeiten ist das eine durchaus moderate Inflationsrate. Dessen ungeachtet schlagen Konsumentenschützer und Interessenvertreter Alarm. Da werden Klassenkampf-Parolen verbreitet, wonach ein hochkonzentrierter und deshalb für Marktmacht-Missbrauch anfälliger LEH seinen Kunden zu hohe und seinen Lieferanten aus der Landwirtschaft und der Industrie zu niedrige Preise abverlange. Der Umgangston in der FMCG-Lieferkette wird rauer.

Beim großen Nachbarn eskalierte in den letzten Monaten der Konflikt über die Einkaufs- und Verkaufspreisstrategien der Supermärkte und Discounter. Cem Özdemir, Agrar- und Ernährungsminister im deutschen Ampel-Kabinett sorgte für Aufregung mit dem Sager, Ramschpreise für hochwertige Lebensmittel in Supermärkten dürfe es einfach nicht geben, denn diese würden Bauernhöfe reihenweise in den Ruin treiben. Und er forderte in diesem Zusammenhang  behördlich verordnete (Aktions-) Mindestpreise für Lebensmittel aus bäuerlicher Produktion. Ein dirigistischer Eingriff in den Preiswettbewerb des LEH, kein Wunder, dass Deutschlands große Handelsgruppen dieses Ansinnen vehement zurückwiesen.

Marcus Rohwetter schildert in der Zeit vom 5. Jänner  das mediale Kesseltreiben gegenseitiger Schuldzuweisungen: "Bauern und Hersteller sagen, die Händler seien schuld, weil sie ihre Marktmacht nutzten, um die Preise zu drücken. Die Händler machen die Verbraucher verantwortlich, weil die nur das kauften, was billig ist. Die Verbraucher schimpfen auf die Politik, weil die nichts gegen steigende Kosten bei Energie und Mieten unternehmen und man daher gezwungen sei, beim Einkauf auf den Preis zu achten". Ein Teufelskreis, der die Spaltung in der Gesellschaft vorantreibt.

MAV: Lebensmittelhandel verzögert ökologisch notwendige Preisanhebung

Auf ein Österreich-Spezifikum wies Günther Thumser, Geschäftsführer des österreichischen Verbandes der Markenartikelindustrie im Gespräch mit retailreport.at hin. Es sei statistisch nachweisbar, das hierzulande im vergangenen Jahr die Inflationsrate bei den Lebensmitteln deutlich niedriger ausfiel als in den meisten anderen europäischen Ländern. Für Thumser ein Indiz dafür, dass der hochkonzentrierte heimische LEH die Übernahme und Weitergabe extern verursachter Preiserhöhungen beharrlich blockiere bzw. hinauszögere. Durch diesen "Rückstau" erwachse den Lebensmittelproduzenten aus Landwirtschaft und Industrie erheblicher ökonomischer Schaden. Thumser erblickt in einem solchen Verhalten des Handels "die Aufkündigung einer gedeihlichen Partnerschaft mit den Lieferanten". Es liege in der gesellschaftlichen Verantwortung des Handels, die Konsumenten darüber aufzuklären, dass für wertvolle, nachhaltig produzierte Lebensmittel auch ein angemessener Preis zu entrichten sei. 

Schon im Manifest des MAV vom 30.10.2020 findet sich dieser Passus: Der Handel ist aufgerufen, "sich den begründeten Anforderungen und ökonomischen Notwendigkeiten (Kostenveränderungen, Einkaufspreise, Losgrößen, Zeitläufe) der Lieferanten/Erzeuger in den Einkaufspreis-Verhandlungen zu öffnen und diese in der Kalkulation zu berücksichtigen".

Im Gegensatz dazu betont der Lebensmittelhandel bei diesem Disput seine Rolle als Konsumentenanwalt. "Wir tragen die soziale Verantwortung dafür, dass sich auch ärmere Bevölkerungsschichten weiterhin qualitätvolle Lebensmittel leisten können", tönt es aus heimischen Handelszentralen. Beim nördlichen Nachbarn wird von Händlerseite noch kantiger argumentiert. Es dürfe nicht soweit kommen, dass die arme Bevölkerung wegen  unerschwinglicher Lebensmittelpreise die Discounter meidet und die Tafeln stürmt, wo es gratis-Essen gibt.

Marktmacht-Poker in Deutschland zwischen Edeka und Essity

In Deutschland eskalieren die Konflikte zwischen Markenartiklern und Handelsgruppen in Sachen Preiserhöhungen auf spektakuläre Weise. Im September 2020 berichtete die LZ, dass der Hygienepapier-Marktführer Essity (Zewa, Tempo) seinem Kunden Edeka mit Lieferstopps droht, für den Fall, dass das Handelsunternehmen sich weiterhin weigere, Preiserhöhungen für Essity-Produkte zu akzeptieren, die infolge drastisch gestiegener Rohstoffpreise (insbesondere bei Zellstoff) und Energiekosten unumgänglich seien. Essity sehe sich gezwungen, die Abgabepreise für einzelne Marken um bis zu 20% zu erhöhen, gab Volker Zöller, President Consumer Goods im Dezember gegenüber Medien bekannt. Verhandlungen mit Edeka sind zur Zeit noch in Gang. Groß ist laut LZ  die Angst beim Edeka Management, dass im Fall von Preiserhöhungen jene Marktanteile, die Supermarktketten in den Corona-Jahren 2020 und 2021 den Discountern abluchsen konnten, 2022 zu diesen zurückwandern würden.

Zoff wegen Preiserhöhungen gab es auch zwischen Edeka und Granini. Die Händler- Genossenschaft nahm Auslistungen beim Granini-Sortiment vor und ersetzte den Fruchtsaft-Markenklassiker durch ein metoo-Produkt der Eigenmarke Albi. Dieser Tage erging  ein gerichtliches Urteil gegen die Albi GmbH, wonach das Flaschendesign einen Verstoß gegen die Markenrechte von Granini darstelle. Ein Konflikt zwischen Edeka und Coca-Cola Deutschland über On-Top-Konditionen für europäische Einkaufsallianzen konnte zuletzt erst nach monatelangen Verhandlungen beigelegt werden. 

Im Handelsblatt vom 17. Jänner berichtet Felix Ahlers, geschäftsführender Gesellschafter des deutschen Tiefkühlkost-Herstellers Frosta, über explodierende Kosten in seiner Branche, insbesondere bei TK-Fisch: "Alaska Seelachs ist knapp und etwa 20% teurer geworden. Denn auf den Fisch-Trawlern gab es viele Coronafälle, so dass 2021 viel weniger Fisch gefangen wurde, als nach den Fangquoten erlaubt war." Im Markenartikel-Geschäft verzeichnet Frosta zweistellige Umsatzzuwächse, die Erlöse im Private Label-Geschäft (speziell mit Discountern) sind hingen rückläufig. Ahlers dazu. "Höhere Preise sind seit 2020 ein Thema. Wir sind bei Verträgen mit Handelsmarken, die sich nicht mehr rechnen, konsequent ausgestiegen. Es macht keinen Sinn, mit Verlusten zu produzieren. Auch in Frankreich haben wir deshalb unser Geschäft aufgegeben".

Greenflation, ein globales Phänomen

Ähnlich wie im Kampf gegen das Virus lässt sich dieser gordische Knoten nur mit Sachverstand und einer großen Portion an Social Entrepreneurship lösen. Zunächst ist zu beachten, dass steigende Energie-, Rohstoff- und Logistik-Preise und die daraus resultierenden Kostenerhöhungen entlang der gesamten Lieferkette im Kampf der Menschheit gegen die selbstverschuldete Erderwärmung in Wahrheit unumgänglich sind. Greenflation ist der Preis, den Wirtschaft und Konsumenten weltweit bezahlen müssen, um am Ende das Ziel der Klimaneutralität durch Dekarbonisierung zu erreichen. Auch das neue EU-Lieferkettengesetz mahnt diese ökosoziale Gesamtverantwortung der globalen Food Supply & Value Chains ein. Zur (Be-)Steuerung dieser Prozesse und zur sozialen Abfederung  der Inflationsfolgen ist der Staat aufgerufen. So gesehen, ist die C02-Steuer, die demnächst auch in Österreich eingeführt wird, logische Konsequenz einer ökosozialen Marktwirtschaftsordnung, zu der sich hierzulande beide Regierungsparteien bekennen.

Der Klimawandel führt immer häufiger zu Missernten, die Folge sind massive Preisschübe bei einzelnen Agrarprodukten. Besonders dramatisch ist der Preisanstieg beim Getreide. 2021 führte die Dürrekatastrophe in Kanada zu drastischen Ernteausfällen bei Hartweizen. Zu normalen Zeiten deckt Kanada  50% des weltweiten Bedarfs an Hartweizen, der als Rohstoff für die Pasta-Produktion unverzichtbar ist, zeichnet er doch für die "al dente" -Bissqualität der essfertigen Teigware verantwortlich. Folge der Ernteausfälle im amerikanischen Norden: Der Weltmarktpreis für Durumweizen zog kräftig an und daher sind Preisanhebungen bei diversen Pasta-Artikeln in den Supermarktregalen unvermeidbar. Aber auch die Preise von Weichweizen stiegen massiv, mit Konsequenzen für die Backwarenproduktion.

Unabhängig von staatlichen Maßnahmen zur Herbeiführung der Klimaneutralität ist die Ökologisierung der Lebensmittel-Produktion und -Distribution aber auch ein Gebot des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs. Die Forderungen von NGOs, Friday for Future-Aktivist.innen, kritischen Medien und LOHAS-Kosument.innen nach "klimaneutralen", nachhaltigen Lebensmitteln ertönen immer lauter. Und die Öko-Programme der Supermarkt- und Discounter-Filialisten werden immer umfangreicher. Lidl und Aldi/Hofer positionieren sich in der Werbung als Klimaschutz-Pioniere, was wiederum den Aktionswettbewerb im Handel anheizt.

Neben der Klima-Katastrophe wirkt auch die Pandemie als wuchtiger Kostentreiber  in der Lebensmittelwirtschaft. Das Schlagwort von der Coronomy, einer durch das Virus aus den Angeln gehobene  globale Real- und Finanzwirtschaft macht seit dem Frühjahr 2020 die Runde. Einzelne Branchen wie der  Tourismus, der Gastro-Großhandel oder der Modehandel leiden besonders darunter, andere, wie der globale Onlinehandel, der stationäre Lebensmitteleinzelhandel, die Lieferdienste und die Digitalwirtschaft profitieren davon. Der Trend zum home office wirbelt den Arbeitsmarkt durcheinander. Die Omikron-Welle führt zu Engpässen im Personaleinsatz, überall dort, wo die Arbeit vor Ort getan werden muss. Bei den Gemüsegärtnern  kommt es zu Produktionsengpässen, weil ausländische Erntehelfer krankheitsbedingt ausfallen.

Heißes Eisen: Quantifizierung der Kosten-Preis-Spirale

Wie aber sollen sich Industrie und Handel bei ihren Jahresgesprächen über eine Anhebung der Listenpreise  unter Gewichtung all dieser extern verursachten Preis- und Kosten-Veränderungen verständigen? Ein realistischer Problemlösungs-Ansatz: Die Herstellerseite müsste dem Kunden Einblick in den Stellenwert der durch höhere Gewalt beeinflussten Kosten-Steigerung in der Gesamtkalkulation gewähren. Es genügt nicht, wenn eine Molkerei  feststellt, ihre Energiekosten seien um 40% oder 50% gestiegen. Für die Preisverhandlungen mit den Kunden ist eine solche Aussage nur dann relevant, wenn sie durch Angaben über den Anteil der Energiekosten an der gesamten Wertschöpfung, also gemessen in Prozenten des Umsatzes, ergänzt wird. Einfaches Beispiel: Wenn die Energiekosten bisher 8%  des Nettoumsatzes ausmachten, schlägt sich ein Energiekosten-Anstieg um 50% in der Kalkulation mit einem Plus von 4 Prozentpunkten  nieder.

Die Hebelwirkung einer Energiepreiserhöhung auf die Gesamtkosten sind von Unternehmen zu Unternehmen sehr verschieden. Weshalb sich Verbände wie der MAV oder die VÖM  beharrlich weigern, Branchendurchschnittswerte ihren Mitglieder als Leitlinien für Preisverhandlungen mit dem Handel zur Verfügung zu stellen. So haben beispielsweise Molkereien, die ein gasbeheiztes Milchtrockenwerk betreiben, eine besonders massive Energiekosten-Steigerung in ihrer Kalkulation unterzubringen. Bei Milchverarbeitern, deren Wertschöpfungsschwerpunkt in der Käseproduktion liegt, gestalten sich hingegen die Kostenstrukturen betreffend Rohstoffe, Personaleinsatz, Energie, Kapitalbindung etc. und damit die Greenflation-Einflüsse ganz anders. Wird über die Weitergabe gestiegener Rohstoff-Preise verhandelt, stellt sich die Frage der Preisgabe von Rezepturen durch den Produzenten. Für Markenartikler ein äußerst sensibles Thema, weil viele befürchten, der Handel könnte daraus Anregungen für das Design seiner Private Labels  ableiten.

Zuletzt, die gute Nachricht: Im Interview mit dem Kurier vom 18.1. gab Spar Vorstandsvorsitzender Fritz Poppmeier seiner Hoffnung Ausdruck, dass ab dem zweiten Quartal dieses Jahres eine Beruhigung an der Lebensmittel-Preisfront eintreten werde. Die Rückkehr zur Normalität, das ist, was wir uns alle wünschen.

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geschrieben am

21.01.2022