Corona-Helden sorgen für hohe Wertschöpfung
Eine Analyse von Dr. Hanspeter Madlberger
Eine neue, von der WKÖ in Auftrag gegebene Studie "Der Lebensmittelhandel, Bedeutung für Wirtschaft und Gesellschaft" verfasst von Peter Voithofer (Economia Institut), sorgte bei Branchenkennern für eine mittlere Sensation. Eine der Kernaussagen der am 17.8. den Medien beim Hintergrundgespräch in der Christoph Leitl-Lounge der WKÖ präsentierten Untersuchung lautet: Österreichs Lebensmittelhandel erzielt selber zwar niedrige Renditen, trägt aber als mit Abstand wichtigster Absatzmittler der vorgelagerten Stufen (Landwirtschaft und Verarbeitung) massiv zu deren Wertschöpfung bei.
Die Vollsortimenter in den Reihen von Spar-, Rewe/Adeg und Markant/Nah&Frisch punkten in Corona-Zeiten somit nicht nur als zuverlässige Nahversorger, und - dank des hohen Servicegrades - als Garanten hoher Beschäftigungsraten, sie zeichnen sich auch als Wertschöpfungs-Generatoren der gesamten heimischen Lebensmittelproduktion insbesondere unserer Landwirtschaft aus.
Eckdaten zur Wertschöpfung im Lebensmittelhandel
Handelsforscher Peter Voithofer stützte sich bei seinem Befund auf folgende, von Statistik Austria erhobene, Zahlen:
- Österreichs Konsumentenschaft kaufte 2020 im Einzelhandel Lebensmittel im Wert von 27,0 Mrd. €, davon entfielen 21,0 Mrd. (77,9%) auf den klassischen Lebensmittelhandel, 4,3 Mrd. (15,9%) auf den Fach-Lebensmittelhandel (Obst&Gemüse-Geschäfte, Süßwarenläden etc.) der Rest auf das Lebensmittelgewerbe (Bäckereien, Fleischereien mit insgesamt 1,1 Mrd.), Tankstellenshops (250 Mio.), bäuerliche Direktvermarkter (180 Mio.) sowie Bauernmärkte (130 Mio.).
Anmerkung: Die Nonfood-Verkäufe des LEH blieben bei dieser Umsatzberechnung außer Ansatz. - 64% der gesamten heimischen Lebensmittelproduktion wird über den LEH abgesetzt, der Rest (also etwas mehr als ein Drittel) wandert in die Gastronomie und den Großverbrauchersektor sowie in den Export.
- Die vom LEH erzielte direkte Bruttowertschöpfung (BWS) lag 2018 bei 4.118 Mio. €. Hingegen erreichte die durch Lieferungen an den LEH generierte BWS der vorgelagerten Stufen (Landwirtschaft, Lebensmittelindustrie und -gewerbe) einen Wert von 6.907 Mio €. Zusammen mit den Konsumausgaben der im LEH Beschäftigten (induzierte BWS) in Höhe von 524 Mio. € bewirkte unser LEH 2018 (also schon vor Corona) somit eine Bruttowertschöpfung von 11,75 Mrd. €, was einem BIP-Anteil von über 3% entspricht. Voithofer: "Jeder 30. Euro, der in Österreich erwirtschaftet wird, kann unmittelbar oder mittelbar auf den LEH zurückgeführt werden".
Dieses Zahlenwerk ist der bislang erste und noch sehr zaghafte Versuch der WKÖ-Sparte Handel, auf Kammerebene eine wissenschaftlich fundierte Wertschöpfungsdiskussion mit den Partnern der rot-weiß-roten Lebensmittel-Lieferkette zu führen. Eine Diskussion, die bislang sehr holprig verlief und bei der die Agrarier-Standesvertretung mit Angriffen auf den "hochkonzentrierten" österreichischen Lebensmittel(einzel)handel nicht sparte.
Kleine Kostprobe: Im Strategiepapier der österreichischen Milchwirtschaft, veröffentlicht im Special der Raiffeisenzeitung vom 27.5.2021 zum Weltmilchtag liest man: "Es könne...nicht sein, dass die Erzeuger und auch die Verarbeiter einen immer kleineren Anteil an der Wertschöpfungskette erzielen."
Dieser langjährige Trend sei zur größten Herausforderung für den Sektor geworden und müsse gestoppt, bzw. gedreht werden, fordert das Strategiepapier. Es brauche laut Maßnahmenkatalog der Milchwirtschaft "ein Monitoring und eine verstärkte Diskussion über die Verteilung der Margen über die Wertschöpfungskette, über unfaire Geschäftspraktiken, überbordende Aktionitis".
Beiträge von Rewe, Spar und Kastner zur Wertschöpfung im Lebensmittelhandel
Ein ganz anderes Bild von der "Beziehungskiste" zwischen den Bauern und den Lebensmittelkaufleuten in diesem Land zeichneten die Statements der beim WKO-Gipfel anwesenden Handelsmanager.
Robert Nagele, Vorstand der Billa AG erklärte, die Partnerschaft zwischen Lebensmittelhandel und Landwirtschaft werde oft verzerrt dargestellt. "In der Praxis funktioniert die Zusammenarbeit sehr gut. Der Lebensmittelhandel ist zentraler Partner der Landwirtschaft und Garant für Regionalität." Unter der Marke Da komm ich her vermarktet Billa 82 Obst- und Gemüse-Artikel von Bauern aus der jeweiligen Region. Speziell bei Bio-Lebensmitteln bestehe eine vielfältige Partnerschaft, auch zahllose Kleinbetriebe und Startups seien in diese Kooperation eingebunden.
Gerade die Corona Krise hat gezeigt, dass der LEH mit seinen 12.000(!) Verkaufsstellen nicht nur im urbanen sondern auch im ländlichen Raum die Nahversorgung der Bevölkerung mit frischen, gesunden Lebensmitteln gewährleistet. Auf diesen Umstand wies Christian Prauchner, der neue Obmann des LH-Bundesgremiums in seiner Wortmeldung hin. "Unser Gremium steht für Vielfalt, wir vertreten den Groß- und den Einzelhandel, die Filialisten und die Kaufleute, die Vollsortimenter und die Fachhändler, den traditionellen LEH und die Discounter", sagte Spar Kaufmann Prauchner, der in der Region Melk-Pöchlarn mit drei Geschäftstypen, einem 2000m2 Verbrauchermarkt, einem 1000 m2 Supermarkt und einem 500m2 Nahversorgermarkt, unterwegs ist und damit zu den umsatzstärksten Spar-Einzelhändlern im Lande zählt.
Jenen Lebensmittelproduzenten, die gerne die hohe Konzentration in unserem Lebensmittelhandel anprangern, schreibt Christof Kastner, Prauchners Stellvertreter im Gremium, ins Stammbuch, dass die neue Bauernregel: "Drei Handelsriesen mit insgesamt 85% Marktanteil entscheiden darüber, welches Essen in Österreich auf den Tisch kommt" eine maßlose Übertreibung darstellt. "Neben dem LEH ist der Lebensmittel-Großhandel, insbesondere der Gastro-Großhandel ein zweiter, bedeutender Absatzpartner der Produzenten, vor allem im Tourismusland Österreich mit seiner vielfältigen, überwiegend kleinstrukturierten Gastronomie", erklärt Kastner, dessen Familienunternehmen, 1829 in Zwettl gegründet, über 900 Mitarbeiter beschäftigt und, was den Umsatz betrifft, zu den Top 10 des heimischen LH zählt. Ein Einkaufsvolumen von rund 5 Milliarden € bringt die Gastronomie insgesamt auf die Waage, ein großer Teil davon fließt über den Gastro-GH. Laut Economia-Studie erzielten die 2480 Lebensmittel-Großhändler Österreichs im Jahr 2020 einen Nettoumsatz von 20,2 Mrd. €. Die hohe Wettbewerbsintensität in dieser breit gefächerten b2b-Branche (nur ein Bruchteil der Umsätze entfällt auf den Gastro-GH) lässt die Umsatzrendite auf einen Wert von 0,7% sinken. Sie liegt damit sogar unter jener des LEH, dem 0,9% der Nettoerlöse auf dem Konto bleiben.
Spar AG Vorstandsvorsitzender Fritz Poppmeier hob hervor, dass die Konsumenten immer mehr hochwertige agrarische Lebensmittel kaufen, "wir Lebensmittelhändler sind dafür der primäre Absatzkanal." Einziger Dauerbrenner bei den Verhandlungen mit dem Agrarsektor sei der Milchpreis. Das hängt laut Poppmeier damit zusammen, dass Österreichs Milchwirtschaft rund 40% ihrer Produktion exportiert und dafür auf dem umkämpften EU-Markt besonders niedrige Erlöse bekommt. Also forderten die Molkereien vom heimischen Lebensmittelhandel höhere Preise, um die Spannenverluste aus dem Exportgeschäft zu kompensieren. In der Regel aber herrsche auch im Mopro-Bereich mit seinem breiten Sortiment eine faire Spannenaufteilung: Poppmeiers Faustregel: Rund ein Drittel der Gesamtwertschöpfung lande beim Bauern, ein Drittel bei der Molkerei, ein Drittel im Groß- und Einzelhandel. Anmerkung: Handelsmarken steigern der WS-Anteil der Distributionsstufe, Herstellermarken jenen der Produzenten.
Auf geht`s in die nächste Diskussionsrunde mit den Bauern
Die Wertschöpfungs-Debatte zwischen Bauernschaft und Lebensmittelhandel geht in die nächste Runde, wenn am 2. September die Landwirtschaftskammer die WIFO-Studie über den "Anteil der Landwirtschaft an der Wertschöpfung in der Lebensmittelkette", verfasst von WIFO-Privatdozent Franz Sinabel präsentiert.
Für den kommenden Disput hat der mittelständische Lebensmittel-Groß- und Einzelhandel neben seiner regionalen Verankerung und seiner Marktstärke im Bio-Sektor noch ein weiteres, starkes Atout im Talon: Blickt man auf die Verwendung der auf der jeweiligen Wirtschaftsstufe erzielten Wertschöpfung, so zeichnet sich der LH vor allem dadurch aus, dass deutlich mehr als die Hälfte seines erwirtschafteten Mehrwerts in die Taschen seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fließt. Der LH zählt insgesamt fast 150.000 Beschäftigte (davon knapp 120.000 im EH und 30.000 im GH), der hohe Frauenanteil (78% im LEH), sichert Einkommen für breite Bevölkerungsschichten, ganz besonders im ländlichen Raum. Recht bescheiden fällt hingegen das Körberlgeld für die Firmen-Eigentümer aus. Turbo-Kapitalismus sieht wahrlich anders aus. So gesehen, nimmt die Economia-Studie der "Gegenpropaganda" den Wind aus den Segeln, wenn diese von "Lebensmittelkonzernen" spricht und damit die LEH-Unternehmen meint.