Plastik-Reduktion auf der Watchlist
Der Kampf gegen den Kunststoffmüll ist für Österreichs Bundesregierung Chefsache. Daher trafen sich am 8. Jänner auf Einladung von Kanzler Sebastian Kurz Vertreter der Handelsgruppen, der Wirtschaftskammer, des Handelsverbandes, der Landwirtschaft, der Verpackungsindustrie, der Abfallwirtschaft sowie zahlreicher NGOs und Öko-Wissenschafter zum Plastik-Gipfel am Ballhausplatz. Exakt eine Stunde lang diskutierten Kanzler, Nachhaltigkeitsministerin Elisabeth Köstinger und Technologieminister Norbert Hofer mit der Expertenrunde am ovalen Tisch über dieses hoch komplexe Thema.. Speed kills langes Palaver. Was aber kam dabei heraus?
Österreich werde die EU-Einwegplastik-Richtlinie, die ein nationales Verbot von Einweg-Plastiksackerl ab 5. Juli 2020 vorsieht, schon mit 1. Jänner 2020 umsetzen, das bekräftigte Köstinger. Nein, es werde keine Fristverlängerung beim Plastiksackerl-Verbot geben und ja, Verstöße gegen das Verbot würden von Beginn an gesetzlich geahndet, teilte Kurz auf Medienanfrage mit. Wenig Begeisterung für die forsche Gangart der Regierung zeigte vor der Gesprächsrunde die Wirtschaftskammer. „Wir sehen Verbote von Verpackungen und Tragetaschen kritisch“, sagte Peter Buchmüller, Obmann der Bundessparte Handel und Adeg Kaufmann in Hof bei Salzburg. Und er fügte hinzu, ein undifferenziertes Bashing von Kunststoffverpackungen sei nicht angebracht. Nach dem Gipfel gab sich Buchmüller im ORF-Interview versöhnlich: „Wir haben jetzt eine klare Rechtslage. Und das ist gut.“
Seitens des Handelsverbandes mahnte Geschäftsführer Rainer Will ein, dass auch der Online-Handel und die Internet-Marktplätze in das Plastik-Verbot aufzunehmen seien: „97% der Lieferservice-Umhüllungen, die der Internet-Handel an die Haushalte zustellt, enthalten Kunststoff!“ Die Einbeziehung des Online-Handels ist Teil des umfangreichen Regulierungsvorschlages, den der Handelsverband auf dem Gipfel beim Köstinger-Ministerium einreichte.
Handelsverband will bei Plastiksackerl-Verordnung ein kräftiges Wort mitreden
In monatlichen Arbeitstreffen zwischen Nachhaltigkeitsministerium und Handelsverband soll die Einbringung dieses Vorschlages in die Gesetzesmaterie besprochen werden, die ab 1.1. 2020 in Kraft tritt. Auf der Agenda stehen, neben der Einbeziehung der Lieferservice-Umhüllungen des Online Handels, Verbesserungsvorschläge für die Entsorgungs- und Entpflichtungsentgelte in der Abfallwirtschaft sowie Ausnahmeregelungen für solche Produktbereiche, wo zur Zeit dem Handel keine geeigneten ökologischen bzw. ökonomischen Alternativen zur Kunststoff-Verpackung zur Verfügung stehen. Die Liste dieser Produkte reicht laut Will von Frischfleisch und Frischfrisch über Wasserpflanzen und Lebendfische, scharfkantige Schrauben bis zu Duty Free-Produkten in vorgeschriebener transparenter Verpackung.
Ausnahmeregelung für Obst & Gemüse-Knotenbeutel?
Einen Sonderfall stellen die Plastik-Knotenbeutel im Lebensmitteleinzelhandel dar, die hierzulande bislang aufgrund freiwilliger Vereinbarung von den Kassen verbannt wurden. Die EU-Richtlinie sieht nämlich vor, dass die Knotenbeutel; definiert als „sehr leichte Kunststofftragetaschen mit einer Wandstärke unter 15 Mikron“ von den nationalen Maßnahmen des Plastiksackerl-Verbots ausgenommen werden können, wenn sie zur Erstverpackung von losen Lebensmitteln (z. B. Obst und Gemüse) vorgesehen sind, zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung beitragen und wenn keine tauglichen Alternativen verfügbar sind. Bioplastiksackerl auf Stärkebasis haben sich, so sagen die Experten aus dem Handel, nicht als geeignete Alternative zum Kunststoffsackerl erwiesen, weil sie feuchtigkeitsempfindlich und im Übrigen viel teurer sind. Im Ministerium ist das letzte Wort über ein etwaiges Verbot des Knotenbeutels offenbar noch nicht gesprochen, der Handelsverband setzt sich im Interesse seiner Mitglieder aus dem LEH für eine EU-konforme Ausnahmeregelung ein. Der Handelsverband erklärte sich auch bereit, gemeinsam mit der Politik eine PR-Kampagne zu starten, die bei der Bevölkerung um Verständnis und Akzeptanz für die gesetzlichen Maßnahmen für die Plastikvermeidung wirbt.
Einwegpfand steht bislang nicht auf der Agenda
Eine weitere Zielvorgabe der Bundesregierung: Bis 2025 soll in Österreich das Aufkommen an Plastikverpackungen schrittweise um 20 bis 25% gesenkt werden. Man setzt dabei auf die Selbstverpflichtung der Wirtschaft, erst wenn es bei der Zielerreichung hapert, sollen gesetzliche Maßnahmen nachhelfen. Ein gesetzlich vorgeschriebenes Einwegpfand bzw. eine Ökoabgabe auf Einwegplastik(-Flaschen), wie von diversen NGOs gefordert, steht derzeit nicht auf Köstingers Agenda. Sehr zur Freude der beim Gipfel anwesenden Vertreter von Rewe, Spar, Hofer, Lidl und Tchibo. Händler, Wirtschaftskammer und Handelsverband sind sich darin einig: Die Anschaffung von Rücknahmeautomaten für Einweggebinde würde Investitionen in Milliardenhöhe verursachen. Und sei auch nicht notwendig, denn das ARA Sammelsystem mit der gelben Tonne und dem gelben Sack funktioniere hierzulande dank diszipliniert entsorgender Haushalte tadellos.
Alle Gipfelteilnehmer aus dem Einzelhandel erklärten sich mit der Vorgangsweise der Regierung einverstanden und gelobten, ab Jahresbeginn 2020 die Einweg-Plastiktragetaschen aus ihren Geschäften zu verbannen. Auch wenn die kurze Übergangsfrist, wie Rainer Will betonte, “äußerst knackig“ sei.
Position der Einzelnen
Im Anschluss an das Gipfeltreffen erläuterten die anwesenden Repräsentanten des Einzelhandels ihre Position in dieser komplexen Frage. Und ließen dabei erkennen, welch hohen Stellenwert der Kampf gegen Plastik in ihrem Öko-Marketing einnimmt:
Marcel Haraszti, Vorstand Rewe International:
„Wir begrüßen jede Initiative zur Plastikreduktion, die zu ökologisch sinnvollen und zu ökonomisch tragfähigen Lösungen führt. Die Rewe International AG hat sich bereits 2016 an der freiwilligen Selbstverpflichtung des österreichischen Handels zur Reduktion von Plastik- und Einweg-Tragetaschen beteiligt und 2017 die letzten Plastiksackerln abverkauft. Wir sind damit frühzeitig in Vorleistung gegangen, haben als Erste der Branche den Verkauf von Einweg-Plastiksackerln komplett eingestellt und setzen auf Mehrweg-Tragetaschen. So konnten wir konzernweit eine jährliche Einsparung von rund 28 Millionen Stück erreichen. Mit unserer 2018 gestarteten Initiative „Raus aus Plastik“ wollen wir das gesamte Bio-Obst und –Gemüse bis Ende 2019 lose oder umweltfreundlicher verpacken und bis 2030 alle Verpackungen unserer Eigenmarken-Produkte auf umweltfreundlichere Alternativen umstellen“.
Nicole Berkmann, Leiterin Konzernzentrale PR und Information bei Spar AG:
„Wir begrüßen die Initiative zur Reduktion von Plastik. Spar bietet bereits jetzt verschiedene Alternativen zu Kunststoff-Tragetaschen an und hält auch beim Obst und Gemüse Papiersackerl und Mehrweg-Netze bereit. Daneben gibt es eine eigene Arbeitsgruppe, die sich seit längerem mit der sinnvollen Reduktion von Plastikverpackungen beschäftigt“. Wie Berkmann gegenüber dem Retail Report betonte, legt die Spar Wert darauf, dass man in Sachen Plastik das Kind nicht mit dem Bade ausschüttet; sondern aufgrund von Ökobilanzen maßgeschneiderte Lösungen für einzelne Produktkategorien entwickelt. Plastik könne ökologisch vertretbar sein, wenn es in entsprechendem Umfang rezykliert wird. Wichtig sei ein ganzheitlicher Ansatz, der auch das wichtige Thema der Lebensmittel-Abfallvermeidung berücksichtige, zu dem die richtige Verpackung einen wesentlichen Beitrag leiste.
Horst Leitner, Generaldirektor von Hofer:
„Wir unterstützen die Initiative der Bundesregierung aus voller Überzeugung und freuen uns, dass wir diesen wichtigen gemeinsamen Schritt mitgestalten dürfen. Hofer hat bereits mehrere Maßnahmen definiert, so ist u.a. im Jahr 2019 unser Ziel die Auslistung von Einwegplastikprodukten wie Becher, Geschirr, Besteck oder Wattestäbchen mit Plastikschaft. Darüber hinaus soll bis zum Jahr 2025 der Materialeinsatz unserer Eigenmarken-Verpackungen um 30% reduziert werden. Bis 2022 sollen zudem 100 % der Eigenmarken-Verpackungen recyclingfähig sein.
Christian Schug, Vorsitzender der Geschäftsführung von Lidl Österreich:
„Wir verfolgen in unserer Plastikstrategie einen klaren Ansatz und der heißt: Vermeiden – Reduzieren – Wiederverwerten. Dazu werden wir konzernweit den Plastikverbrauch bis 2025 um 20% reduzieren. Gleichzeitig wollen wir bis dahin alle Kunststoffverpackungen 100% recyclingfähig machen. Dafür haben wir schon Maßnahmen eingeleitet und umgesetzt. Dazu gehört auch der freiwillige Verzicht auf den Verkauf von Einweg-Plastiksackerl. Wir werden hier dran bleiben und Schritt für Schritt besser werden.“
Harald J. Mayer, Geschäftsführer von Tchibo/Eduscho:
„Wir haben uns 2016 als erste Händler Österreichs vom Einwegsackerl verabschiedet. Gemeinsam mit unseren Kunden entschieden wir uns stattdessen für Mehrwegtaschen, vorhandene Ressourcen zu verwenden, die Umwelt zu schonen und damit für eine zukunftsträchtige Ausrichtung. Diese Initiative nehmen wir uns selbst als Beispiel, um weitere sinnvolle Wege in eine bedachte Zukunft zu finden. Für manche Herausforderungen oder auch, um abrupte Ausweichmanöver von einer Ressource zur anderen zu vermeiden, sind eine branchenübergreifende Zusammenarbeit und ein Zeitpolster unabdingbar.“
Norbert W. Scheele, Country Director bei C&A und Handelsverband-Vizepräsident:
„Der Handelsverband hat beim heutigen Plastikgipfel einen konkreten Regulierungsvorschlag eingebracht und wird sich auch im Rahmen des nächsten Arbeitstreffens für eine verträgliche Umsetzung einsetzen. Angesichts des kurzen Umsetzungszeitraums versichert der heimische Handel auch seine Bereitschaft, gemeinsam mit der Politik eine Bewusstseinsbildungs-Kampagne für die Konsumenten zu starten.“
Nach dem Gipfel: Abstieg in die Mühen der Umsetzung
Soweit die Einträge prominenter Händler ins Plastik-Gipfelbuch. Fest steht: Das ambitionierte Projekt, die Plastikmüll-Vermeidung im Eilzugstempo durchzuziehen, wird speziell der Lebensmittelwirtschaft viel Arbeit bescheren. Vertikale Kooperation, wie vom Handelsverband gefordert, wird an ihre Grenzen stoßen, denn jeder Händler will sich ja im Wettbewerb mit der Konkurrenz als Musterknabe und nicht als Mitläufer im Branchenkonvoi präsentieren. Zumal in Deutschland die Discounter sich mit den Supermärkten um das Championat im Bio- und Öko-Wettbewerb matchen. Da werden auch Österreich-Töchter in die Pflicht genommen.
Umso mehr bedarf es hierzulande der vertikalen Kooperation des einzelnen Händlers mit seinen Lieferanten aus der Landwirtschaft und der Lebensmittel-Produktion. Da kommen, wie aus den Statements herauszulesen, speziell auf die Private Label-Produzenten herausfordernde Zeiten zu. Entlang der Frischwaren-Supply Chain wird die Frage aufgerollt: Auf welcher Stufe soll, wenn überhaupt, (vor)verpackt werden? Beim Produzenten, im Zentrallager, am POS? Wie kniffelig das Problem ist, zeigt das Gurken-Beispiel: Bio-Gurken sollen im Markt unverpackt angeboten werden, aber nur wenn sie aus der Region stammen und erntefrisch angeliefert werden. Bei konventionelle Gurken, die einen langen Transportweg hinter sich haben, ist hingegen die Plastikhaut ein Vorteil, weil sie das Austrocknen verzögert. In der Getränkebranche, aber auch bei der Milch, nimmt die Diskussion „Mehrweg gegen Einweg“ wieder an Fahrt auf. Die Verpackungsindustrie ist – Stichwort: Bioplastik – gefordert, nach innovativen Materialien zu forschen.
Entscheidend für den Umsatzerfolg all dieser Öko-Anstrengungen des Handels und seiner Lieferanten ist die Frage: Wie hoch ist der Anteil der Kunden, die bereit sind, den Weg der Nachhaltigkeit mitzugehen und dafür auch einen höheren Preis zu bezahlen? Das tatsächliche Kaufverhalten, nicht die Meinungsäußerung der LOHAS Shopper ist seriös zu hinterfragen.