Gastro-Großhandel im Long COVID-Stress
Bericht von Dr. Hanspeter Madlberger
Zugegeben, das Bild über die Verwerfungen, hervorgerufen durch die Gastronomie-Lockdowns in den Jahren 2020 und 2021 ist noch unvollständig, weil das entscheidende vierte Quartal '21 mit Lockdown Nummer Vier noch in Gang ist. Trotzdem liefert der jüngste Befund über die Geschäftsentwicklung der zweitgrößten Lebensmittelhandels-Sparte, den Stefan Obergantschnig retailreport.at vorlegte, jede Menge an Orientierung.
Der D-A-CH-Vergleich zeigt, dass auch 2021 die Umsatzschwankungen des Gastro-GH bei uns wesentlich stärker ausfallen, als in den beiden Nachbarländern. In A gingen die Umsätze im Februar versus 2020 um 66,6% zurück, um im April um 56 % gegenüber dem Vorjahr anzusteigen. In der Schweiz nahm diese Berg- und Talfahrt einen viel flacheren Verlauf: Minus 41 % in 2/21 , Plus 48% in 4/21. In den Monaten August und September erholte sich das heimische Gastro-Geschäft stärker als beim nördlichen und beim westlichen Nachbarn. Weil sich für das vierte Quartal '21 infolge des vierten Lockdowns speziell in unseren westlichen Bundesländern erneut schwere Einbrüche abzeichnen, fällt voraussichtlich die Gesamtjahresbilanz für den Gastro-GH in Österreich deutlich negativer aus als für die Kollegen in D und CH.
Die betriebswirtschaftlichen Konsequenzen dieser heftigen Turbulenzen im Umsatzverlauf kamen bisher im öffentlichen Diskurs kaum zur Sprache. Einerseits muss der Großhändler seine Lagerbestände aufstocken, um stark schwankende Bestellmengen abzufedern. Andererseits beeinträchtigen die Störfälle in den Lieferketten die Warenverfügbarkeit. Flexibilität beim Aufspüren zusätzlicher regionaler und internationaler Lieferanten avanciert zu einem vorrangigen Wettbewerbsfaktor. Glättung der Warenströme durch den Einsatz von ECR-Tools (wie gemeinsam erstellte Umsatzprognosen) dämpft zu normalen Zeiten die Logistikkosten, Lockdowns werfen alle Prognosen über den Haufen. Das gilt ganz besonders für die Saison-Eindeckung, die beim Geschäft mit der Wintersaison-Gastronomie und -Hotellerie eine bedeutende Rolle spielt.
Dazu kommen, wie das folgende Chart zeigt, die Umsatzveränderungen nach Sortimentsgruppen.
Nach wie vor ist ein starkes Minus im Geschäft mit Fleisch- und Wurstwaren festzustellen, ein Trend , der schon 2020 zu beobachten war. Dass die Einbussen des Gastro-GH beim Verkauf von alkoholischen Getränken in Corona-Zeiten deutlich größer sind, als jene im AF-Getränkegeschäft, bedarf einer tiefer gehenden Analyse. Da hinterlassen zum einen die Lockdowns in der Nachtgastronomie tiefe Spuren. Aber auch der steigende Trend zur Direktvermarktung (z.B. bei den Winzern) könnte eine Rolle spielen. Ebenso Gesundheitstrends, die den Konsum harter Spirituosen am Pistenrand, auf Adventmärkten und in Silvester-Partynächten, (so sie überhaupt stattfinden) einbremsen.
Quintessenz all dieser Trendindikatoren: Die Differenzierung im Gastro-Business erfährt eine noch stärkere Ausprägung. Vereinfacht gesagt: Die Gräben zwischen erfolgreichem und missglücktem Gastro-GH-Marketing werden immer tiefer.
Völlig eindeutig und stabil zeigt sich indes der Trend von der Abholung zur Zustellung.
Im Februar 2020, dem letzten Monat vor Ausbruch der Pandemie, lag der Umsatzanteil der Gastro-Zustelldienste bei 71%, nur 29% entfielen auf die C&C-Abholung. Im Dezember 2020 erreichte der Anteil der Zustellung den Minusrekord von 52%, Abholung kletterte auf den Rekordwert von 48%. 2021 setzte die Erholung im Zustellservice ein. Der Anteil kletterte von 60% im Jänner auf 70% im August und 69% im September. Damit war die Umsatzrelation der beiden Vertriebsformen, wie sie vor Corona bestand, fast wieder hergestellt. Ausbau des Zustellgeschäfts steht für verstärkte Kundenbindung. Auch unter dem Aspekt des digital gesteuerten Verkaufs weist die "Seller Journey" aus Händlersicht gegenüber der Shopper Journey eine höhere Effizienz auf. Wie retailreport.at berichtete, unternimmt Metro in diesen Monaten große Anstrengungen, den Zustell-Anteil zu steigern, ungeachtet des geplanten Übernahme-Deals mit AGM/Rewe, der aktuell das Kartellgericht beschäftigt.
Zweifellos erreicht der Long COVID Stress der Gastronomie und ihres stärksten Warenlieferanten, des Gastro-Großhandels in diesen Dezembertagen ihren bisherigen Höhepunkt. Wann und unter welchen Begleitmaßnahmen wird die Bundesregierung nach absolvierter Generalüberholung Lockdown 4 beenden? Diese gesundheits- und wirtschaftspolitische Weichenstellung ist für die Tourismuswirtschaft in den Wintersaison-abhängigen Bundesländern von elementarer Bedeutung.
Bei der Umsatzgewichtung von Wintersaison (November bis April) und Sommersaison (Mai bis Oktober) im Gastro-Großhandel waren, wie das Chart zeigt, schon vor Corona große Unterschiede zwischen den neun Bundesländern festzustellen. Stark Wintersaison-lastig ist das Geschäft in Tirol (56,9% Anteil) und Salzburg (56,0%). Der Tiroler Skiwinter markiert auch in, absoluten GH-Umsatzzahlen gerechnet, den Bundesländerrekord. In Kärnten erreicht die Sommersaison (mit 58,6%) ihren höchsten Anteil. In Euro gerechnet, sind die Sommersaison-Umsätze des Gastro-GH in Tirol, Wien, Niederösterreich und der Steiermark annähernd gleich hoch.
Einmal mehr zeigt sich: Orientierung und damit Entscheidungshilfe für die Fahrt auf der Lockdown-Buckelpiste unseres Gastro-Großhandels bietet eine aktuelle Marktübersicht, wie sie von Gastro Data retailreport.at dankenswerterweise zur Verfügung gestellt wird.