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BWB befragt nun Lieferanten des Lebensmittelhandels

BWB: Rehabilitierung und weitere Untersuchung

Der im Mai einberufene Lebensmittelgipfel von Minister Rauch und Vizekanzler Kogler fiel mitten in die Branchenuntersuchung der BWB. Die Ergebnisse der heute veröffentlichten Branchenuntersuchung zeigen ein anderes Bild, als von der Politik dargestellt - nicht so bei den Lieferanten.

Die im Herbst 2022 gestarteten Untersuchungen der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) zum Lebensmittelsektor in Österreich sollten intensiv werden. Nach knapp einem Jahr sind die Ergebnisse bekannt und sie sind umfassend. Mehr als 200 Seiten umfasst die Branchenuntersuchung und sie befasst sich mit vielen Details der Branche. Die Ergebnisse sind vielschichtig und haben für alle Beteiligten gute und schlechte Nachrichten. Im Nachhinein gesehen ist eine der wesentlichen Aussagen: die Wichtigkeit, dass der Markt in dieser Intensität untersucht wurde (und weiter wird) zeigt sich in den Ergebnissen, auch wenn sie lange auf sich warten ließen. Das ist den sehr detaillierten Mengen an Informationen aus Handel, Industrie, Landwirtschaft und Konsumenten geschuldet, die mit Infos von GfK, OeNB, RegioData, etc. verknüpft wurden.

Für die frisch gebackene Leiterin der BWB Dr. Natalie Harsdorf-Borsch war es der erste große Auftritt in ihrer neuen Funktion, gemeinsam mit ihrem Team hat sie bereits jahrelange Erfahrung gerade im Lebensmittelbereich gesammelt. Denn: 2007 füllten die Ergebnisse der damaligen Untersuchung gerade einmal 21 Seiten, hingegen muss sich der Interessierte heuer durch 260 Seiten durcharbeiten.

Die grundsätzlichen Fragen führen zu zwei großen Ergebnissen

Die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung sind:

  1. Der Lebensmittelhandel hat sich in Folge der allgemeinen Inflation nicht bereichert und wurde fälschlicherweise von der Politik als „Gewinner der Krise“ angeprangert. Eigentlich stünde zumindest eine Entschuldigung an, denn Rufschädigung ist nicht zu unterschätzen
  2. Im Gegenzug muss aber auch der Lebensmittelhandel Anschuldigungen einstecken, denn in Preisverhandlungen geht es weniger fein zu. Hier wurden die „fairen Praktiken untersucht“ und diese Untersuchungen gehen definitiv weiter, wie die Generaldirektorin weiß.

Denn: 4 von 10 Lieferanten gaben bei der Befragung an mit einer schwarzen Handelspraktik konfrontiert gewesen zu sein. „Hier sehen wir massive Dunkelziffern“, so Harsdorf-Borsch. 14,3% wurden mit einseitigen Vertragsänderungen konfrontiert, 13,6% mit Zahlungen ohne eine Verbindung zu den Lieferungen und 13,4% mit Zahlungen für unverschuldete Qualitätsverluste.

Die BWB wird als zuständige Durchsetzungsbehörde im Sinne des Faire Wettbewerbsbedingungen-Gesetz (seit Jänner 2022 in Kraft) die Bekämpfung solcher unlauteren Handelspraktiken mit hoher Priorität verfolgen. Weiters wird eine Verschärfung des Faire Wettbewerbsbedingungen-Gesetzes angeregt.
Somit ist für die Industrie als Lieferanten ein wichtiger erster Schritt in Richtung Fairneß gegangen worden.

„Die Analyse zeigt mehrere Schwachstellen im Hinblick auf die Wettbewerbssituation. Die Anzahl der eingemeldeten unfairen Praktiken gegenüber Lieferanten ist beunruhigend, gleichzeitig sehen wir Schwächen des Binnenmarktes und die Situation der Verbraucher:innen im Hinblick auf Preistransparenz sollte gestärkt werden.“, erklärt Natalie Harsdorf-Borsch.

Wie wurde untersucht?

Die BWB hat insgesamt 10 Runden Auskunftsverlangen versendet, 700 Handelsunternehmen sowie über 1500 Lieferanten befragt. Weiters wurden umfangreiche Daten von GfK zugekauft und analysiert. Die OenB hat tägliche Preisdaten, die aus einer Auswahl von Online-Shops des österreichischen Lebensmittelhandels aufgenommen wurden für die BWB analysiert. Zusätzlich wurde eine Konsumentenbefragung mit rund 1.000 Personen im Alter zwischen 18 und 65 Jahren durchgeführt. Für die Untersuchung wurde als Grundlage ein Referenzwarenkorb zusammengestellt. Die Analyse konzentrierte sich dabei auf Lebensmittel des täglichen Bedarfs wie bspw. alkoholfreie Getränke, Fleisch, Fisch, Wurst Eier, Ost Gemüse, Brot/Gebäck/Feinbackwaren, Molkereiprodukte, Convenience Food, Speiseöl, Tiefkühlkost, Süßwaren sowie pikante Snacks.

Allgemeine Erkenntnisse

Dass die Konzentration in Österreichs Lebensmittelhandel sehr hoch ist, weiß die Branche. Die großen Vier (Spar, Rewe, Hofer, Lidl) stellen 90% des Marktes dar. In Tirol gesellt sich MPreis dazu und hat im westlichen Bundesland einen nicht zu unterschätzenden Marktanteil (zwischen 10-20%). Je stärker die Filialstruktur, desto besser die Möglichkeiten in der Teuerungswelle zu überleben – auch das ist eine Erkenntnis der Untersuchung. Die traurige Gewissheit zeigen rund 200 Nahversorger aus Österreich (mehrheitlich Nah&Frisch), die seit 2019 vom Markt verschwunden sind. Hingegen konnten die Top vier des österreichischen Handels ihre Filialstruktur ausbauen. Die Markteintrittsbarrieren für neue LEH werden als sehr hoch eingestuft (Bsp.: hohe Investitionskosten, Übersättigung aufgrund Filialdichte).

Die Industrie: Markenartikler und Eigenmarken

Auch im Bereich der Industrie gilt das gleiche Gesetz wie im Handel: je größer, desto einfacher ist die Überlebenschance in Zeiten der Inflation. Die Untersuchung ergab, dass keine Produktgruppe von Preisanstiegen verschont geblieben ist. Insbesondere waren Butter, Margarine und Mischfette davon stärker betroffen. Verkaufspreise von Eigenmarkenprodukte sind vergleichsweise stärker gestiegen als Verkaufspreise von Markenprodukten. In unterschiedlichen Produktgruppen weisen Hersteller hohe Gesamtmarktanteile auf. So halten die drei größten Hersteller bei löslichen Bohnenkaffee im Jahr 2022 einen gemeinsamen Marktanteil von knapp 84%. Bei Kartoffelsnacks und Suppen zeigt sich ein ähnliches Bild.

Besonders international tätige Hersteller konnten ihre Gewinnmargen in einzelnen Produktgruppen im Beobachtungszeitraum deutlich steigern (z.B. Butter, Margarine, Mischfette, rund + 7%). In anderen Produktgruppen kam es aber auch zu massiven Einbrüchen der Gewinnmargen (z.B. Naturjoghurt -11%). Die Entwicklung der Gewinnmargen war in der Lebensmittelindustrie stark von der jeweiligen Produktgruppe abhängig. By the way: In 9 Produktgruppen dominieren Lebensmittelkonzerne den Umsatz.

Die starke Entwicklung bei Eigenmarken wurde zu Beginn von Diskontern getrieben und von Supermarktketten aufgenommen. Damit entstanden Preisdruck auf die Hersteller, Markteintrittsbarrieren für Markenartikler sowie Kopie-Gefahr. Spannend ist, dass die Verkaufspreise in der Inflation prozentuell stärker gestiegen sind als jene der Markenhersteller – allerdings von einem niedrigeren Niveau aus. Das, was die Industrie hier immer schon vermutet hat, ist eingetreten und nun bestätigt.

Konsumentensicht

Die BWB hat sich auch damit befasst, wie die Konsumenten die Preissteigerungen im Handel erleben und bewerten. Intensiverer Wettbewerb unterstützt einkommensschwache Konsumenten überproportional: In Bezug auf das Haushaltseinkommen der Konsumenten wirkt die inflationäre Preisentwicklung bei Lebensmitteln sozial unterschiedlich. Gerade Haushalte mit geringerem Einkommen würden von stärkeren Wettbewerb und dadurch günstigeren Lebensmittelpreisen überproportional profitieren.
Preisvergleichsplattformen könnten Transparenzlücke für Konsumenten schließen: Für Konsumenten können Preisvergleichsplattformen ein gutes Instrument darstellen um sich rasch eine Preis- und Angebotsübersicht zu verschaffen. Zu diesem Thema hat die BWB bereits im September 2023 einen Fokusbericht vorgestellt. Dieser enthält vier Punkte zur Stärkung der Preistransparenz für Konsumenten. Im Fokus der BWB- Vorschläge steht ein schneller, unbürokratischer und dezentraler Datenzugriff für Preisvergleichsplattformen.
Verbraucherschutz bei Verpackungsreduktionen im Hinblick auf Menge und Qualität verbesserungswürdig: Konsumenten haben in der Befragung angegeben, dass sie den Lebensmitteleinzelhandel in der Pflicht sehen, transparent über „Shrinkflation und Skimpflation“-Aktionen zu informieren. Shrinkflation bedeutet, dass es bei gleichen Packungspreisen zur Verkleinerung der Packungsgrößen oder dem Abfüllen einer geringeren Menge kommt. Unter Skimpflation versteht man eine versteckte Qualitätssenkung in der Produktion bei gleichem oder ähnlichen Preis und Menge. Beides stellen versteckte Preiserhöhungen dar.
Spannend ist auch, dass
Konsumenten Dauertiefpreise den ständigen laufenden Aktionen bevorzugen würden.

Österreich mit Preisaufschlag

Die Untersuchung ergab, dass die Lebensmittelindustrie mit besonderem Anreiz für internationale Konzerne für gleiche Produkte entsprechend ihren Länderstrategien teilweise unterschiedliche Preise verrechnen. Diese Strategien können ein wesentlicher Faktor für unterschiedliche Lebensmittelpreise und damit höhere Preise in Österreich sein. Die Thematik des Österreichaufschlags geht über die nationale Ebene hinaus, da es sich im Wesentlichen um eine EU-Binnenmarkt Thematik handelt. Die BWB wird den Sachverhalt an die Europäische Kommission rasch übermitteln. Von 54 Lieferanten wurden diesbezüglich Infos eingeholt. Der derzeitige Preisunterschied zwischen Österreich und Deutschland liegt bei rund 13%. „Unterschiedliche Einkaufspreise werden von Lieferanten gemacht, das ist ein starkes Thema für den europäischen Binnenmarkt“, heißt es von Seiten der BWB. All jene, die das Thema „Geoblocking“ bis dato verfolgten, werden nun einen Hoffnungsschimmer hegen, dass ein gleicher Einkauf über die europäischen Grenzen hinweg möglich ist.

Empfehlungen der BWB

Die Ergebnisse der Branchenuntersuchung veranlassen die BWB nun zu ersten Empfehlungen:

  1. Umsetzung der von der BWB im „Fokuspapier Preisvergleichsplattformen“ empfohlenen Maßnahmen zur Erhöhung der Preistransparenz für Konsumenten im LEH.
  2. Stärkung des Binnenmarkts und Befassung der Europäischen Kommission hinsichtlich unterschiedlicher Einkaufspreise in den EU-Mitgliedstaaten aufgrund von Länderstrategien von Lebensmittelkonzernen
  3. Verbesserung der Transparenz bei Lebensmitteln
  4. Aufwertung und Stärkung des Verbraucherschutzes
  5. Keine Irreführung bei Preisnachlässen
  6. Marktuntersuchungen aufgrund des FWBG
  7. Rechtssicherheit für Lieferanten durch Schriftform
  8. Kein Druck zur Zustimmung zu Praktiken des Anhangs II zum FWBG
  9. Verbesserte gesetzliche Grundlage zur Durchsetzung wettbewerbsrechtlicher Maßnahmen aufgrund von Branchenuntersuchungen

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geschrieben am

03.11.2023