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Interimistische Generaldirektorin der BWB, Natalie Harsdorf-Borsch erhält Award „Juristin des Jahres 2021“ als erste Frau im öffentlichen Dienst

BWB: Dauerbrenner Lebensmittel

Mit einer Untersuchung wie jener der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) in Bezug auf Lebensmittel wird Klarheit über einen Markt geschaffen. Retailreport.at im Gespräch mit Dr. Natalie Harsdorf-Borsch.

Die interimistische Leiterin der BWB, Dr. Natalie Harsdorf-Borsch, hat nach dem Weggehen von Dr. Theodor Thanner im Dezember 2021 seine Agenden ex lege als Leiterin der Geschäftsstelle übernommen. Viel verändert hat sich für die Juristin nicht, da sie schon immer mit den Themen des Wettbewerbsrechts vertraut war, seit vielen Jahren in der BWB - auch in leitender Funktion - tätig ist und vor allem schon selbst mehr als 70 Hausdurchsuchungen mitgemacht und viele Verfahren geführt hat. So manche Händler und Industriepartner wissen ein Lied davon zu singen.
Ihr liegt eines am Herzen: die Arbeit der Behörde voranzutreiben und den Fokus zu 100% auf dem Wettbewerb zu haben. Für die ausgeschriebene Stelle als oberste/r Wettbewerbshüter/in hat sich Dr. Harsdorf-Borsch natürlich ebenfalls beworben.

Spät etabliert – gut aufgeholt

Prinzipiell hat Österreich im Vergleich zu anderen europäischen Ländern erst spät – nämlich 2002 – eine unabhängige Wettbewerbsbehörde gegründet. In Deutschland gibt es eine Behörde dieser Art seit den 1950er Jahren und in den USA überhaupt schon seit Ende des 19. Jahrhunderts. Umso schwieriger ist es in Österreich Märkte zu untersuchen und Mechanismen aufzubrechen, in den es früher erlaubte Kartelle gab. „Das ist genau unsere Aufgabe“, so Dr. Harsdorf-Borsch. Dabei sieht die Expertin im Bereich Lebensmittel – sowohl Handel als auch Industrie – immer Themen, die es genauer zu betrachten gilt. „Dauerbrenner Lebensmittel, könnte man auch sagen – von klein bis groß und auf jeder Ebene in der Lieferkette können Unregelmäßigkeiten entstehen: Wir bekommen Beschwerden vom Bauern bis zum Konsumenten“, so Harsdorf-Borsch. Das ist auch mit ein Grund für die aktuelle Marktuntersuchung „Lebensmittel“ im Bereich Industrie und Handel. „Wir fordern von den Marktteilnehmern allgemeine Informationen ein, wir schauen uns Beschwerden an und wir gehen in die Tiefe. Das ist eine lange Kette an Maßnahmen, wo auch eine Aussage eine weitere nach sich zieht“.
Ähnliche Branchenuntersuchungen gab es bereits im Kraftstoffmarkt, sowie jüngst bei der E-Ladeinfrastruktur.

Branchenuntersuchung Lebensmittel

Branchenuntersuchungen basieren auf dem Verdacht, dass der Wettbewerb verzerrt sein könnte. Es gibt Beschwerden von Unternehmen über andere Unternehmen, es gibt Beschwerden von Privatpersonen und es gibt Whistleblower. „Wir wissen absolut nicht, wer hinter einem Whistleblower steht, aber wir gehen den Beschwerden nach“, erklärt die interimistische Leiterin. Gibt es harte Verdachte, so werden die Unternehmen damit konfrontiert. „Aktuell führen wir nicht so viele Verfahren, wie an Beschwerden eingebracht wurden, sondern nur dort wo ein klarer Anfangsverdacht vorhanden ist. Auch aus diesem Grund gibt es die Branchenuntersuchung, es geht darum einen bereiteren Blick auf den Markt zu werfen“. Mit Sicherheit hat auch das ergänzende Fairnessbüro (angesiedelt im Landwirtschaftsministerium) zu diesem Anstieg an Beschwerden beigetragen, da das Bewusstsein für Wettbewerbsrecht in der Branche steigt.

„Das Instrument der Markt- und Branchenuntersuchung dient dazu die teilnehmenden Unternehmen und die Marktmachtmechanismen zu durchleuchten und auf Wettbewerbsverzerrungen aufmerksam zu machen. Der Hintergrund ist auch ein Sichtbarmachen von Fehlentwicklungen, wir betreiben im wahrsten Sinne ‚Advocacy‘“, so Harsdorf-Borsch. Die aktiven Personen in der BWB sind nicht ausschließlich Juristen, sondern auch Volkswirte und Forensikexperten.

Das Ergebnis ist nicht ein einzelnes Unternehmen zu sanktionieren, sondern Klarheit zu schaffen und die erforderlichen Stoßrichtungen in einem Markt voranzutreiben. All das ist wiederum wichtig, um auch der Politik einen Bericht über einen Markt zu geben. „Wir sind unabhängig und machen die Untersuchungen aus eigenem Antrieb heraus“, so Harsdorf-Borsch. Die BWB untersucht, das Kartellgericht verhängt Bußen.

Die aktuelle Untersuchung im Lebensmittelbereich ist deutlich breiter angelegt als jene 2007. Unterschiedliche Themen sind im Mittelpunkt: Onlinehandel, Eigenmarken, Marktmachtverhältnisse, Preissteigerungen und wohin sie fließen. „Durch die Inflation wird unsere Arbeit etwas erschwert, aber wir schieben den Schaum der Inflation zur Seite, um zum Kern zu kommen. Wir setzen uns mit allen Themen auseinander“, so Harsdorf-Borsch. Mikrowarenkörbe der Statistik Austria werden herangezogen und adaptiert, Stakeholdergespräche geführt und Konsumenten und Arbeitnehmer ebenso befragt, wie Marktteilnehmer. Ende 2023 wird es voraussichtlich zu einem Endbericht kommen.

Schulung in Compliance

Genau aus diesem Grund ist die Prävention und Compliance-Schulung so wichtig für Unternehmen. Ein Großteil an Verstößen im Wettbewerbsrecht wird dadurch verhindert. „Wettbewerb ist eine positive innovative Kraft im Markt und muss auch so gesehen werden, nur ist bei manchen Unternehmen die Verlockung groß im Einzelfall unangenehmem Wettbewerb aus dem Weg zu gehen“, fasst Dr. Harsdorf-Borsch die Arbeit der BWB zusammen. In der BWB hat sie Ende 2022 ein eigenes Compliance Referat eingerichtet.

Leitlinien zur Anwendung von Nachhaltigkeitskooperationen

Die BWB beschäftigt sich parallel mit diversen Themen und hat – auch für die Lebensmittelindustrie und den Handel wichtig – die Nachhaltigkeits-Leitlinien veröffentlicht.
Mit dem "European Green Deal" hat die Europäische Kommission ein ambitioniertes Programm zur Transformation der europäischen Wirtschaft und Gesellschaft vorgelegt, welches die Erreichung der Klima- und Nachhaltigkeitsziele der Union absichern soll.

„Ein nachhaltiger und wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstandort ist ein deklariertes Ziel im aktuellen Regierungsprogramm. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es wichtig, dass Nachhaltigkeit eine zentrale Stellung innerhalb der Unternehmen einnimmt. Vor diesem Hintergrund ist es besonders positiv, dass das Kartellrecht nun Nachhaltigkeitskooperationen ermöglicht. Die Leitlinien der Bundeswettbewerbsbehörde bilden für Unternehmen, die solche Kooperationen umsetzen möchten, eine hilfreiche Stütze“, so Bundesminister Martin Kocher.

In § 2 Abs 1 KartG, welcher die Freistellung ansonsten wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen regelt, hat der österreichische Gesetzgeber für "Nachhaltigkeitskooperationen" eine Sonderregel eingefügt. Danach wird bei wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen, die aber gleichzeitig zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder der Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, eine angemessene Beteiligung der Verbraucher vermutet, sofern der entstehende Gewinn wesentlich zu einer ökologisch nachhaltigen oder klimaneutralen Wirtschaft beiträgt. Ende 2023 wurde auch der Fairnesskatalog der BWB aktualisiert und gemeinsam mit dem Fairnessbüro präsentiert.

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geschrieben am

16.01.2023