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Wie behaupten sich  große Markenartikler im Inflations-Hurrikan?

Segelkünstler und Gestrandete

Wie behaupten sich große Markenartikler im Inflations-Hurrikan? Eine Analyse von Hanspeter Madlberger.

Ratlosigkeit breitet sich in weiten Kreisen unserer Wirtschaft aus. Anhaltende Krise oder Anzeichen eines baldigen Aufschwungs, welchen Diagnosen der Wirtschaftsforschung, betreffend den Verlauf der europaweiten Inflation, kann man Glauben schenken? Erfolgsmeldungen über Wirtschaftswachstum und steigende Gewinne tauchen ebenso häufig in den Medien auf wie Alarmsignale, die vor drohenden Insolvenzen, massiven Umsatz- und Ertragseinbrüchen warnen.

Die Faktenlage ist oszillierend: Markenartikel-Klassiker wie Beiersdorf mit der Ikone Nivea aber auch Kult-Drink Red Bull vermelden nicht nur steigende Umsätze, sondern auch steigende Erträge. Bei den Unilever-Shareholdern weisen die Mundwinkel nach oben,  Henkel-Aktionäre hingegen ziehen, wie man hierzulande sagt, ein Schnoferl. Turbulent geht es auch im Handel zu: Die Media Markt Gruppe schrieb im letzten Geschäftsjahr eine „rote Null“, Aldi in Deutschland schlüpft ins Robin Hood Kostüm, verzichtet auf Spanne und verteilt solcherart eigene Deckungsbeiträge unter den Kunden. Im Gegensatz dazu schaut  Lidl, wenn man der LZ Glauben schenkt, „verstärkt auf die Rendite“. Schweizer Handelsriesen wie Migros und Coop (einschließlich Transgourmet und Bell Food) melden steigende Umsätze, hohe Online-Verkäufe und eine stabile Ertragslage.

Nestlé wuchs durch Preiserhöhungen

Börsennotierte Konzerne der Markenartikelindustrie legen in diesen Wochen ihre Jahresberichte vor und liefern damit den Analysten jede Menge Indikatoren über die Auswirkungen der Inflation im Jahr 2022 auf die Margen und damit auf das vertikale Wertschöpfungs-Verteilungs-Tauziehen zwischen Produktions- und Distributionsstufe.

Beispiel Nestlé: Dass die operative Marge des weltgrößten Lebensmittelproduzenten im letzten Jahr  nur um 0,4 Prozentpunkte auf 17,1% vom Umsatz zurückging, während die Bruttomarge massiver, nämlich um 2,6 Prozentpunkte auf 46,2% schrumpfte, wird von CEO Mark Schneider als erfolgreiche Krisen-Bekämpfung verkauft. Eine Einschätzung, die auch von den Analysten grosso modo geteilt wird. „Nestlé wuchs hauptsächlich durch Preiserhöhungen“, meldet das Handelsblatt vom 17. Februar. Um 8,3% ist der Konzernumsatz auf 84,4 Milliarden Franken (entspricht rund 95 Milliarden Euro) angestiegen, Davon  gehen nicht weniger als  8,2% auf das Konto der Preiserhöhungen, die beim Handel durchgesetzt werden konnten. Ein klarer Punktesieg der Eidgenossen im Match mit den deutschen Handelsriesen, deren vermeintliche Trumpfkarte Handelsmarke offenbar gegen Maggi, Kitkat und Nescafé nicht wirklich stach. Für heuer stellte Schneider ein organisches Umsatzwachstum von sechs bis acht Prozent und eine operativen Gewinn von 17,0 bis 17,5 Prozent in Aussicht. 

Niedrigwasser für Henkel-Gewinne am Düsseldorfer Rheinufer

Weniger Fortune hatte Henkel Konzernchef Karsten Knobel. Die Düsseldorfer, die 2022 die Sparten Wasch/Reinigungsmittel und Kosmetik zu einer Division „Consumer Brands“ verschmolzen, meldeten für das letzte Geschäftsjahr zwar ein Umsatzplus von 12%, der Nettogewinn aber rasselte um 23% herunter. Hauptverursacher dieses Ertragseinbruchs war ein Anstieg der Energie-, Rohstoff- und Frachtkosten im Ausmaß von nicht weniger als zwei Milliarden Euro. Ein wesentlicher Verlustbringer ist das Russland-Geschäft, wo Henkel noch immer elf Fabriken laufen hat, die für fünf Prozent des globalen Umsatzes aufkommen. Der Versuch, die gestiegenen Kosten in Form höherer Fabriks-Abgabepreise an den Handel abzuwälzen, war nur zum Teil erfolgreich. Henkel hat die Preise für Wasch- und Reinigungsmittel, laut Handelsblatt zwar um fast 13% erhöht, musste aber dafür einen Absatzrückgang von rund fünf Prozent in Kauf nehmen. Insbesondere im Bereich Reinigungsmittel hatten Markenklassiker wie Pril das Nachsehen gegenüber stark wachsenden Billig-Handelsmarken. Jetzt hofft man, in naher Zukunft durch die Verschlankung von Marketing und Vertrieb massive Kosteneinsparungen zu erzielen und dadurch  die Nettomarge an das Niveau von Mitbewerbern wie Unilever er oder Beiersdorf heranzuführen. 

Übrigens beweist die Eigentümerstruktur von Henkel, dass traditionelles Familienimperium und börsennotierter Konzern durchaus koexistenzfähig sind. Der Henkel Clan hält 61 % der Stammaktien und stellt mit Simone Bagel-Trah die Vorsitzende des Gesellschafterausschusses. Das Unternehmen ist global aufgestellt, erzielt 85% seines Umsatzes außerhalb Deutschlands und ist Weltmarktführer bei Klebstoffen mit einem Jahresumsatz von 11,2 Milliarden Euro: Fast ebensoviel, nämlich rund 11 Milliarden steuert die Sparte Consumer Brands bei.

Nivea-Bilanz ist buchstäblich schneeweiß

Eindeutig  auf der Gewinnerseite in der Auseinandersetzung mit dem Inflationsmonster ist der Hamburger Kosmetik-Konzern Beiersdorf. Ähnlich wie bei den Persil-Machern am Rhein, hält bei der Nivea-Company an der Elbe ein Familienclan die Aktienmehrheit. Bei Beiersdorf ist es die Familie Herz, die mit der Kaffeefirma Tchibo eine zweite Top-Marke der deutschen FMCG-Branche besitzt. Die Beiersdorf-Aussendung über den Geschäftsverlauf  im Jahr 2022, retailreport berichtete darüber, wartet mit spektakulären Highlights auf. Das Unternehmen konnte seinen Umsatz von 2021 auf 2022 um 10,2 % auf 8,8 Milliarden Euro steigern, der größte Zuwachs der letzten 20 Jahre. Das Ebit (Ergebnis vor Zinsen und Steuern) erhöhte sich um 17% und das, obwohl die Kosten um 20% anstiegen. Fazit der Analysten: Beiersdorf konnte die Preiserhöhungen beim Handel durchdrücken und damit die Inflationsfolgen abfedern. 

Bei der Dividendenausschüttung ist man zurückhaltend, die Bargeldreserven in Höhe von über vier Milliarden Euro lassen vermuten, dass in der Firma hanseatische Kaufmannstugenden groß geschrieben werden, wie sie Thomas Mann in seinen Buddenbrooks beschreibt. Fokussierung auf die Kernmarke Nivea und auf Innovations-getriebene, margenstärkere Gesichtspflege-Produkte immunisieren das Sortiment weitgehend gegen die Verdrängung durch Billighandelsmarken. Auch heuer stünden weitere Preiserhöhungsgespräche mit den Großkunden im Raum, aber „mit dem Wissen um die starke Marke Nivea“ verhandle man mit dem Handel mutig, ließ Finanzchefin Astrid Hermann das Handelsblatt wissen. 

Wer siegt im Match Edeka gegen Coca-Cola?

Im Spannungsdreieck Inflation - Herstellermarken - Handelsmarken kam es im deutschen Konsumgütermarkt zum Showdown zwischen dem Coca-Cola Abfüller Coca-Cola Europacific Partners und LEH-Marktführer Edeka. Weil die Händlergenossenschaft die  Preiserhöhungs-Vorschläge von Coca-Cola nicht akzeptierte, verhängte der Abfüller einen Lieferstopp. Edeka klagte Europacific „wegen einseitigen Vertragsbruchs“, das zuständige Oberlandesgericht Hamburg aber wies diese Klage zurück. Der Coke-Abfüller kam recht glimpflich davon: Der Absatz und die Marktführerschaft laut Nielsen konnten trotz des Edeka-Boykotts 2022 gehalten werden, Cola-Handelsmarken kamen landesweit über einen Marktanteil von 13,8% nicht hinaus, der Marktanteil der CC-Range im deutschen LEH übertrifft jenen des Verfolgers Pepsi um das mehr als Fünffache. Und noch ein starkes Argument für jeden deutschen Supermarkt-Filialisten, der US Markenikone eine Regalplatz einzuräumen, haben die Nielsen Marktforscher anzubieten: Shopper, die bei der Coca-Cola Range zugreifen, geben im Durchschnitt 30,27 Euro für den Einkauf weiterer Artikel aus, das liegt deutlich über dem Durchschnittseinkauf in Höhe von 16,73 Euro. 

Inflation 2023: Wie geht’s weiter?

Warum steigt die Verbraucherpreisindex hierzulande nach wie vor stärker als in Deutschland, in der Eurozone, in der Schweiz?  Dafür dürften nach Ansicht der Konjunkturforscher mehrere Gründe maßgeblich sein. Zum einen sind die Energiekosten bei uns aus bekannten Gründen stärker gestiegen als im EU-Ausland. Aber auch die Kerninflation (ohne Preiserhöhungen bei Treibstoffen- und Lebensmitteln) ist bei uns höher als im EU-Schnitt. Mutmaßungen, dass zu geringer Wettbewerb die heimische Inflation anheizen könnte, stehen im Raum, haben sich aber, was den LEH betrifft, bislang nicht erhärtet. Lediglich die Lieferdienste Mjam und Lieferando stehen im Raum Wien zurzeit unter Observanz der BWB.

Hohe Lohnabschlüsse setzen die Lohn-Preis-Spirale in Gang, was zur Folge hat, dass die Inflation in Österreich 2023 nicht so rasch zurückgehen wird. Höhere Arbeitnehmer-Einkommen bewirken aber zugleich eine Stabilisierung der Umsätze bei den Gütern des täglichen Bedarfs, was speziell für den Lebensmittelhandel ein Vorteil ist. Das allgemeine Jammern über den Rückgang der Absatzmengen (= reale Umsatzentwicklung) erscheint übertrieben, zumal ja geringere Mengen in der Distribution auch niedrigere Logistikkosten bedeuten.

Das Gerangel über die Weitergabe des Schwarzen Peters im Inflations-Diskurs zwischen Industrie und Handel, zwischen Herstellermarken und Handelsmarken bleibt solange auf der Tagesordnung, solange die Interessensvertreter der Wirtschaftsstufen primär einen Konfrontationskurs fahren. In der Absicht, seine Klientel Vater Staat als unterstützungsbedürftiges Krisenopfer zu verkaufen. Insolvenz-gefährdeten Kammermitgliedern solidarisch zur Seite zu stehen, ist die eine Sache. Aber gesunden Unternehmen, geführt von tüchtigen Managern, stehen, wie die oben angeführten Beispiel zeigen, genügend Optionen offen, das Inflationsgespenst zu verscheuchen. Beispielsweise durch eine Kooperation zur effizienten Kostensenkung und nachhaltigen Qualitätssteigerung entlang der Lieferkette. ECR  neu, sozusagen.  

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geschrieben am

10.03.2023