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Vorstandsvorsitzende der Österreichischen Hagelversicherung, Dr. Kurt Weinberger (li.) und Zukunftsforscher Matthias Horx.

Welche Landwirtschaft wollen wir 2050?

Eine Trendstudie des Zukunftsinstituts im Auftrag der Österreichischen Hagelversicherung sieht eine smarte und nachhaltige Landwirtschaft für die weitere Versorgung mit Lebensmitteln in Österreich für unerlässlich.

Die jüngste von der Hagelversicherung in Auftrag gegebene Studie des Zukunftsinstituts bestätigt: jeder von uns ist Teil der Landwirtschaft, denn ohne Landwirtschaft kein Essen und ohne Essen kein Leben. Alle anderen Bedürfnisse kommen danach, wie Gesundheit, soziale Sicherheit, materielle Güter.

Schon heute mit dem Ukraine Krieg im Hintergrund gibt es bei gewissen Produkten wie Getreide, Kartoffeln, Obst und Gemüse keine ausreichende Selbstversorgung mehr. Die Situation verschärft sich: So fällt die Ukraine (ebenso wie Russland) als Exporteur wichtiger Rohstoffe weg. Das äußert sich bereits jetzt in steigenden Rohstoffpreisen. Zudem gibt es beispielsweise Exportbeschränkungen in Ungarn, ebenso als Antwort auf die Ausfälle an Rohstoffen aus der Ukraine.

„Auch unsere Landwirtschaft ist von zwei besonderen Spannungslagen geprägt: der globalen Erderwärmung mit den nationalen Konsequenzen in Form zunehmender Unwetterextreme und dem heimischen Bodenverbrauch. Diese beiden Herausforderungen gefährden massiv die Versorgungssicherheit als Megathema in den nächsten drei Jahrzehnten. Denn eines ist klar: An der Zukunft der Landwirtschaft muss jede Österreicherin und jeder Österreicher ein existentielles Interesse haben. Wie schon gesagt: Ohne Landwirtschaft kein Essen, ohne Essen kein Leben“, so der Vorstandsvorsitzende der Österreichischen Hagelversicherung, Dr. Kurt Weinberger.

Folgende Veränderungen sind Zukunftstreiber auf dem Land 

1.    Megatrend Neo-Ökologie: Ökonomie und Ökologie schließen sich bei der Neo-Ökologie nicht gegenseitig aus. Umweltbewusstsein wird vom individuellen Lifestyle zur gesellschaftlichen Bewegung, Nachhaltigkeit vom Konsumtrend zum Wirtschaftsfaktor: Das Landleben wird neu gedacht, regionale und nicht zuletzt biologische Lebensmittel gewinnen weiter an Bedeutung, die konventionelle Landwirtschaft positioniert sich stark dank ausgebauter Markenprogramme und der Bodenschutz rückt zunehmend in den Mittelpunkt neo-ökologischen Handelns.   

2.    Megatrend Gesundheit: Die Gesundheit des Planeten und die Gestaltung unserer Umwelt sind untrennbar verbunden mit unserer individuellen Gesundheit. Vor allem die Corona-Pandemie hat diesem Megatrend einen immensen Schub gegeben: die Ernährungssouveränität als Gebot der Stunde und damit einhergehend ausreichend Äcker und Wiesen für eine stabile, vom Ausland unabhängige Produktion. 

3.    Megatrend Urbanisierung: Immer mehr Menschen sehnen sich auch durch die pandemiebedingten Lockdowns nach der „ländlichen Idylle“ und versuchen, diese zunehmend in den städtischen Raum zu integrieren. In der neuen Urbanität wird damit versucht, das Beste aus beiden Welten zu kombinieren, wie den Wunsch nach Regionalität und auch lokaler, städtischer Autarkie mit gemeinschaftlichen Urban-Farming-Initiativen. Neben der „Verdörflichung“ der Stadt kommt es zu einer „Verstädterung“ des Landes. 

4.    Megatrend Konnektivität: Digitale Technologien und künstliche Intelligenz nehmen eine zentrale Rolle ein. So kann eine gesunde, vielfältige und sichere Ernährung für eine wachsende Bevölkerung sichergestellt, gleichzeitig der Klimawandel bewältigt und die Auswirkungen auf die Umwelt begrenzt werden. 

5.    Megatrend Globalisierung: Durch Corona und durch den Ukrainekrieg wurden Grenzen geschlossen, Wertschöpfungsketten unterbrochen. Das Verhältnis zwischen lokal und global muss neu austariert werden. Die Globalisierung wird dabei nicht verschwinden, aber sie wird sich anpassen, durch die Rückholung vieler Wertschöpfungsketten in regionale Kontexte und durch eine neue Balance zwischen Weltoffenheit und Heimatverwurzelung.

6.    Megatrend Sicherheit: Klimawandel und Preisdruck beeinträchtigen das Gefühl der Sicherheit bei hofübernehmenden Generationen, auch wenn es gilt, im digitalisierten und globalisierten 21. Jahrhundert Unsicherheiten auszuhalten. Das Thema Resilienz gewinnt an Relevanz.

Matthias Horx: Welche Landwirtschaft wollen wir 2050?

„Ausgehend von den Megatrends sind vier Szenarien denkbar, wie eine österreichische Landwirtschaft 2050 aussehen könnte – von radikal bis zu einer ausgewogenen und strukturierten Landwirtschaft. Jedenfalls wird und muss sich einiges ändern, um das Megathema der Versorgungssicherheit in den nächsten drei Jahrzehnten zu erreichen“, so Zukunftsforscher Matthias Horx: 

1.    Szenario 1 - Post-Landwirtschaft 2050: Nach ungebremstem Bodenverbrauch und anhaltender Erderwärmung werden die schlimmsten Befürchtungen wahr. Heimische Landwirtschaft ist nicht mehr möglich, Österreich gibt die Landwirtschaft weitgehend auf.  

2.    Szenario 2 - Stadt-Landwirtschaft 2050: Die Grenzen der Städte verschieben sich in den ländlichen Raum hinein. Immer mehr Agrarflächen sind versiegelt, Urban Farming kann die Versorgungslücke nur partiell schließen. Österreich kann sich bei weitem nicht selbst versorgen und ist abhängig von Importen. 

3.    Szenario 3 - Biologische Landwirtschaft 2050: Österreich bleibt Musterland der ökologischen Landwirtschaft und passt sich beispielhaft an die Herausforderungen des Klimawandels an. Doch Lebensmittel sind aufgrund höchster Produktionsstandards teuer, das Land bleibt hinter den eigenen Möglichkeiten zurück.

4.    Szenario 4 - Robuste, smarte Landwirtschaft 2050: Satelliten und Drohnen ersetzen weitestgehend die Augen und Ohren der Bauern auf dem Feld, Roboter ihre Hände. Im Einklang mit der Natur und dank Big Data lassen sich Anforderungen und Erträge in der Landwirtschaft präziser vorhersagen, wobei die Erträge durch die Zunahme der Wetterextreme zunehmend volatil werden. Die Lebensmittelversorgung ist durch den Erhalt der noch bestehenden Agrarflächen gewährleistet, Klimaschutz ist ein Gebot der Stunde.

Handlungsempfehlungen für smarte und nachhaltige Landwirtschaft 2050+

„Faktum ist: Nur ein hoch digitalisierter Agrarsektor mit ausreichend Agrarflächen kann die Balance zwischen Ernährungssicherheit, Umweltgesundheit und hochwertigen Produkten herstellen. Politik, Gesellschaft und (Agrar-)Wirtschaft müssen schon jetzt auf diese vier agrarischen Handlungsempfehlungen reagieren, damit diese smarte und nachhaltige Landwirtschaft 2050 keine Utopie bleibt“, weist Horx auf die Dringlichkeit hin:

1.    Verständnis für Landwirtschaft und Landleben fördern: Bäuerinnen und Bauern müssen wieder Wertschätzung für ihre Arbeit erfahren, damit auch kommende Generationen noch in der Landwirtschaft arbeiten wollen. Zudem muss die Qualität der heimischen Ernährung in der Schulausbildung Berücksichtigung finden. Der ländliche Raum gehört durch Digitalisierungsoffensiven gestärkt.   

2.    Faire Einkommen und Work-Life-Balance garantieren: Die Politik muss den Preiskampf um landwirtschaftliche Produkte entschärfen, Konsumentinnen und Konsumenten müssen angemessenere Preise zahlen. Der Gesundheitsschutz der Landwirte muss darüber hinaus einen höheren Stellenwert bekommen.

3.    Bodenschutz priorisieren: Der Bodenverbrauch in Österreich muss so schnell wie möglich gestoppt werden. Stadt- und Gemeindeentwicklung darf nicht mehr auf Kosten fruchtbarer Flächen betrieben werden. Innovativ planen und bauen, Leerstand nutzen, aber auch politische Zuständigkeiten und Steuern reformieren – effektiver Bodenschutz setzt an vielen Hebeln gleichzeitig an. Dafür braucht es ein umfassendes Maßnahmenbündel.

4.    Nachhaltigkeit intensivieren: Österreich muss zum Forschungs- und Entwicklungsstandort für Nachhaltigkeit werden. Mehr Digitalisierung, moderne Tierwohlkonzepte, verstärkter Klimaschutz und wegweisende Pflanzenzüchtungen schaffen Sicherheit unter unsicheren (klimatischen) Bedingungen.

„Es muss ein Umdenken stattfinden, ein neuer Umgang mit der Natur erfolgen, in der der Mensch als ihr Gestalter auftritt, nicht als ihr Zerstörer. Und gerade Corona und der jetzige Krieg in der Ukraine zeigen auf dramatische Weise, wie wichtig eine intakte Landwirtschaft im eigenen Land ist. Die Lösung liegt jedoch nicht primär in einem „Zurück zur Natur“, sondern in einer klugen Synthese von traditionellen Methoden und neuen Technologien. Der Umbau der Landwirtschaft muss rasch beginnen, in einem betriebs- und volkswirtschaftlichen Erfolg münden und auch soziale Anerkennung verdienen. „Denn wir dürfen eines nicht vergessen: Die Landwirtschaft ist zweifelsfrei eine Schlüsselbranche für die Zukunft der Menschheit. Wir brauchen sie zum Leben. Von ihr kommen unsere Lebensmittel, sie gestaltet die Schönheit unseres Landes“, so Kurt Weinberger.

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geschrieben am

05.04.2022