Direkt zum Inhalt

Lebensmittelhändler: Prügelknaben der Politik?

Die hohe Inflationsrate bei Lebensmitteln, wie sie die Konsumenten beim Einkauf in den Super- und Discountmärkten tagtäglich erleben, avancierte in dieser Woche zur Causa Prima der heimischen Innenpolitik.

Kommentar von Hanspeter Madlberger

Beim Lebensmittelgipfel am 8. Mai des Sozialministers durften Vertreter der Handelsketten zusammen mit Experten in Kurzstatements, ihre Vorschläge zur Inflationsbekämpfung darlegen. Der Zeitplan – 40 Teilnehmer, 90 Minuten Dauer - machte dieses Treffen zwischen Minister und Händlern freilich zur Farce, ließ keinen konstruktiven Dialog zu.

Nach dem Ministerrat vom 10. Mai präsentierten Bundeskanzler und Vizekanzler ein Inflationsdämpfungspaket der Bundesregierung. Dessen wesentlichste Maßnahme in Richtung LEH sieht die Veröffentlichung eines regelmäßigen Lebensmittel-Transparenz-Berichts vor,  der neben den Verkaufs- auch die Einkaufspreise eines durch die Bundesregierung definierten Warenkorbes umfasst. Weiters eine Verschärfung des Wettbewerbsrechts durch Stärkung der BWB, Meldepflicht der Supermärkte über Ausmaß der Lebensmittel-Abfälle und Förderung von Lebensmittel-Spenden an Sozialmärkte nach dem Motto: „Spenden statt verschwenden“. Verschärfte Gewinnabschöpfung bei den Energiekonzernen soll die Energiepreise  senken.

Ideologische Wurzeln des Händler-Bashing

Wenn über steigende Lebensmittelpreise leidenschaftlich diskutiert wird, rückt automatisch der Lebensmittelhandel in das Scheinwerferlicht des öffentlichen Interesses. Und diese Publicity wiederum ruft jene Kräfte auf den Plan, die aus Gründen klassenkämpferischer Ideologie, des Konkurrenzneides oder purer Sensationslust den Handel vor ein Tribunal zerren. Das geschieht, indem man dem Lebensmittelhandel das Stigma des gewinngierigen Preistreibers eintätowiert. Als Inflationsprofiteure gebrandmarkt, werden unsere Supermarkt- und Discounterketten durch die Boulevards der öffentlichen Meinung gejagt wie die Stiere beim Volksfest in Pamplona.

Rainer Will und Rainer Trefelik redeten sich den Mund fusselig, um in Interviews mit ORF- und Tageszeitungsjournalisten Vorurteile zu entkräften, Falschmeldungen zu widerlegen und ihren Gesprächspartnern plausibel zu machen, dass es sich beim Ausmaß des Preisanstiegs in den Supermarkt-Regalen um das Endresultat einer Preissteigerungswelle entlang der Liefer- und Wertschöpfungskette handelt, an deren Anfang der Urknall einer Energieverknappung stand, die zwangsläufig zu einer Energiepreis-Explosion historischen Ausmaßes führte.

Aber was haben diese Aufklärungsaktionen von Handelsverband und WKÖ-Sparte Handel bisher Image-mäßig gebracht? Herzlich wenig. Weil die Fragesteller auf die Argumentation der Handels-Repräsentanten meist gar nicht eingehen, sondern in die tiefste Lade populistischer Polemik greifen, in die Lade mit der Aufschrift „What Aboutism“, auf Deutsch: Sie lenken ab und bringen ein Thema aufs Tapet, das mit der Inflationsdiskussion so gut wie nichts zu tun hat. In der ZIB 2: „Herr Will, können Sie mir erklären, warum die Lebensmittel in Österreich um 14% teurer sind als in  Deutschland?“. Im Ö1 Radio:„Herr Haraszti, ihr Konzern macht 500 Millionen Gewinn!“

Unsere Händler sind keine „Lebensmittelkonzerne“

Eine besonders subtile, man kann auch sagen, heimtückische Masche, den Lebensmittelhandel moralisch anzupatzen, besteht darin, die Branche mit dem irreführenden Etikett „Lebensmittelkonzerne“ zu versehen. Lebensmittelkonzerne, das sind im normalen Sprachgebrauch globale Food-Produzenten wie Nestlé oder Unilever. Aber will man wirklich Familienunternehmen wie Spar, M-Preis oder Unimarkt, Einzelhändler-Genossenschaften wie Rewe oder Adeg, als profitgeile Kapitalisten abstempeln? Als coole Geschäftemacher, denen die Inflation willkommenen Anlass bietet, Shareholder-Value-Interessen beinhart durchzusetzen. Der Begriff „Lebensmittelkonzerne“ schlägt die polemische Assoziations-Brücke vom Lebensmittelhandel zur „Gierflation“. Dass Minister Johannes Rauch und Vizekanzler Werner Kogler sich dieses diskreditierenden Etikettenschwindels bedienen, ist ein hoffentlich unabsichtliches Foul Grüner Regierungsmitglieder an einer Branche, die vor drei Jahren, anlässlich des Ausbruchs der Corona-Epidemie noch als systemrelevant  für die Aufrechterhaltung der Lebensmittelversorgung gefeiert wurde.

Fehldiagnosen halten sich hartnäckig

Der Fortschritt wissenschaftlicher Erkenntnis besteht sehr häufig darin, dass falsche Hypothesen durch Empirie widerlegt werden. Das lehrte der aus Österreich stammende Jahrhundert-Philosoph Karl Popper mit seiner „Trial and Error“-Theorie. Bei der aktuellen Diskussion über die „Verstrickung“ des Lebensmittelhandels in das Inflationsgeschehen begegnen wir reihenweise Hypothesen, die längst falsifiziert sind, aber im öffentlichen Disput weiterhin fröhliche Urständ`feiern. 

Eine besonders drollige Fehldiagnose lieferte jüngst die Österreichische Hangelversicherung. „Die höchste  Anzahl von Supermärkten pro Kopf in Europa  führt zu hohen Lebensmittelpreisen“, lautet die Überschrift einer Aussendung. Die hohe Verkaufsflächendichte führe dazu, so die Argumentation, dass die steigenden Energiekosten steigende Lebensmittelpreise 1:1 nach sich zögen.Um Objektivität bemühte Wirtschaftsforscher hingegen deuten die hohe Geschäftsdichte in unserem Land als Ausdruck einer funktionierenden Nahversorgung und einer geglückten Zusammenarbeit zwischen regionaler  Lebensmittel-Produktion und regionaler Lebensmittel-Distribution. Dass die Energiekosten-Explosion vor allem den kleinen Nahversorgern  schwer zu schaffen macht, steht auf einem anderen Blatt. Da ist öffentliche Unterstützung  durch Bund, Land und Kommune ebenso gefragt wie die Selbsthilfe durch Kaufleute und ihre Großhandels-Partner. Wer die Sendung „Am Schauplatz“ verfolgte, konnte sich übrigens ein Bild davon machen, wie in den Handelsketten von Kastner und Unimarkt, innovative Lösungsansätze für dieses Problem gefunden wurden. Die Eurospar-Kaufleute-Familie Uher im südlichen Niederösterreich lässt mit beispielhaften Solardach-Lösungen aufhorchen.

Hohe Konzentration bedeutet nicht zwangsläufig höhere Preise

Besonders hartnäckig  hält sich hierzulande die ökonomische Fehldiagnose, wonach der „hohe Konzentrationsgrad im heimischen LEH“ automatisch zu einem höheren Preisniveau  führt, wenn man dieses mit jenem in Deutschland vergleicht. Ganz abgesehen davon, dass  absolutes Preisniveau als statische Größe und Inflation als Veränderungsrate zwei verschiedene Paar Schuhe sind. Will wies zu Recht darauf hin, dass die unterschiedlichen Preisniveaus zwischen D und A ganz andere Ursachen haben und dass die Konzentration im Schweizer LEH noch höher ist als bei uns. Briefkästen, voll gestopft mit Aktionsflugblättern, beweisen Woche für Woche, dass der Preis- und Aktionswettbewerb zwischen den Big Four in unserem Land tadellos funktioniert. Zum Wohl der Bevölkerung, die durch eine clevere Einkaufsstrategie ihre persönlichen Kaufkraftverluste spürbar herunterschrauben kann.

Und vielleicht sollte man in diesem Zusammenhang auch daran erinnern, wie dieses Oligopol, das von einem Monopol meilenweit entfernt ist, im Lauf der letzten Jahrzehnte zustande kam. Nicht durch die Gefräßigkeit eines kapitalistischen Handelsmonsters, das sich laufend Mitbewerber einverleibte. Sondern durch kapitale Managementfehler, die dazu führten, dass Konsum Österreich, Julius Meinl   und Zielpunkt der Reihe nach aus dem Markt ausschieden, ohne dass eine Wettbewerbsbehörde diesen, der Marktwirtschaft systemimmanenten Ausleseprozess hätte hemmen können.  

BWB-Untersuchung und Transparenzbericht werfen Probleme auf 

Die BWB  steht vor der Herkulesaufgabe, anhand einer umfassenden Branchenerhebung  die seitens des Handels mit Einkaufs- und Verkaufs-Daten aus den letzten 17 (!) Quartalen beschickt wurde, heraus zu bekommen, ob und wie sich die Wertschöpfung auf Lieferanten/Produzenten-Ebene und im LEH verändert hat. Die  jetzt von der Bundesregierung den Handelszentralen verordneten Transparenzberichte verfolgen dasselbe Ziel in Hinblick auf die aktuelle Ein- und Verkaufspreis-Überwachung bei ausgewählten Grundnahrungsmitteln. Ob sich aus diesem beiden Datenkonvoluten schlüssig ableiten lässt, wer in Ausübung von Marktmacht aus der inflationären Preisentwicklung Mehrerträge abzweigt, ist die große Frage. Einerseits, weil bei der Erfassung der Netto-Netto-Einstandspreise stets ein gewisser Interpretationsspielraum besteht (der unter das Kapitel „Geschäftsgeheimnis“ fällt) und überdies im LEH Mischkalkulation und das Verhältnis von Aktions- und Kurantspanne eine große Rolle spielen, andererseits, weil die zahlreichen Kostensteigerung (Energiekosten, Personalkosten, Logistikkosten) das Verhältnis von Wertschöpfung und Reingewinn spektakulär beeinflussen. Ja und bei den Eigenmarken schaut diese Lieferanten-Kunden-Beziehungskiste wieder ganz, ganz anders aus.

Die Recherchen der Wettbewerbshüter und Inflations-Verhüter, bedeuten jedenfalls eine schwere Belastungsprobe für die Beziehungen zwischen  den Lebensmittelhändlern und ihren Lieferanten. Die Manager in den D-A-CH-Headquarters der Markenartikel-Multis mag diese Inflations-Treiber-Fahndung kalt lassen. In den Chefetagen heimischer Handels- wie Herstellerfirmen rumort es gewaltig. „Man soll uns bitte in Ruhe arbeiten lassen, wir tun  ohnehin aus ureigenstem Interesse alles, um die Inflation, die der Lebensmittelbranche von außen aufgezwungen wurde, nach Möglichkeit zu dämpfen!“  So wurde uns von beiden Seiten immer wieder versichert.

Zum Schluss die gute Nachricht

Die Fairness im vertikalen Wettbewerb zwischen Lebensmittelproduktion und Lebensmitteldistribution wurde in den letzten Jahren viel strapaziert. Vor allem von Seiten unserer Agrarpolitiker, die jetzt darüber heilfroh sind, dass die führenden Lebensmittelhändler des Landes in diesen schwierigen  Zeiten speziell bei den Grundnahrungsmitteln den heimischen Produzenten die Treue halten und so der Verlockung widerstehen, durch billige Auslandsware ihre Inflations-Bekämpfungs-Bilanz aufzubessern.  Ein schönes Lebenszeichen der Ökosozialer Marktwirtschaft, die einst von einem „schwarzen“ Steirer, Josef Riegler erfunden wurde und heute von einem „grünen“ Steirer, Werner Kogler eingemahnt wird.

Kategorien

Tags

geschrieben am

11.05.2023