Fahndung nach den Inflationstreibern
Bericht: Hanspeter Madlberger
Am achten Mai will Sozialminister Johannes Rauch mit Vertretern der großen Supermarktketten und Experten über den Preisanstieg bei Lebensmitteln und dessen Ursachen (und Verursacher?) diskutieren und daraus Schlüsse für wirksame Maßnahmen der Inflationsbekämpfung ableiten.
Schenkt man den Preiserhebungen der Arbeiterkammer Wien, sowie Berichten in den Tagesmedien und im ORF (Hörfunk und Fernsehen) Glauben, dann steht der Lebensmittelhandel unter dem Generalverdacht, Profiteur der anhaltenden Inflation zu sein. Auch die seit über einem halben Jahr laufenden Erhebungen der BWB bei den Handelsketten, bei deren Lieferanten und jüngst auch bei den, was den Marktanteil betrifft, zu vernachlässigenden E-Food Händlern stützt sich auf die Hypothese von einem LEH, der seine Marktmacht missbraucht, um durch überzogene Preiserhöhungen die Inflation zu befeuern und seine Gewinne auf dem Rücken der Lieferanten und der Konsumenten zu steigern. Von einer „Profit-Preis-Spirale“ war kürzlich in einer Stellungnahme des Momentum-Instituts in Zusammenhang mit dem Inflationsschub die Rede.
Wir stellen also fest: Spar, Rewe, Hofer und Co stehen am Pranger, werden gar der kapitalistischen „Gierflation“ bezichtigt. Wer tritt zur Widerlegung der Vorurteile, zur Verteidigung der Vorverurteilten an? Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren: Wo entlang der Lieferkette die Opfer, Profiteure und Trittbrettfahrer der Inflation zu verorten sind, darüber sind sich die Interessensvertreter in den diversen Kammern alles andere als einig. Und so steht zu befürchten, dass auch nach dem 8. Mai die Hatz auf den „Inflationsprofiteur Lebensmittelhandel“ - es gilt die Schuldsvermutung - anhält und weitere Kreise zieht.
Jetzt ist die Expertise der Wirtschaftsforschung gefragt
Es sei denn, die Wirtschaftsforschung liefert endlich, was sie schon längst hätte liefern sollen: Nämlich eine Fakten-basierte Analyse, die die tatsächlichen Inflationstreiber entlang der Food Supply Chain benennt und evaluiert. Nur ein solider wirtschafts-wissenschaftlicher Befund kann dem unerträglichen Händler-Bashing ein Ende bereiten.
Eine solche Fact Finding Mission steht vor durchaus lösbaren Herausforderungen. Da geht es zunächst darum, auf den Produktionsstufen der Food Supply Chain die Kosten-Folgen der Energiepreissteigerung und einzelner Lieferengpässe auf die Abgabepreise zu quantifizieren. Knackpunkt der Inflations-Ursachenforschung auf dem heimischen Lebensmittelmarkt sind die realisierten Abgabepreise der Produzenten und Importeure bei den Lieferungen an den Handel. Während die Inflation bei den Konsumentenpreisen anhand von Nielsen- oder GfK-Daten exakt gemessen werden könnte (und sollte), präsentiert sich der Anstieg der Handels-Einstandspreise (=Lieferanten-Abgabepreise) als eine graue Nebelsuppe. Da sind auch statistische Angaben über die Inflation bei den Lebensmittel-Großhandelspreisen kaum hilfreich, weil der Begriff „Großhandel“ Umsätze unterschiedlichster Lieferketten-Glieder umfasst. Erlöse des Import- und des Exporthandels fallen ebenso darunter wie die Verkäufe von Markenartikel-Multis, die in Österreich nicht (mehr) produzieren und die Ware von ausländischen Schwesterbetrieben an den heimischen Handel liefern. Auf einem ganz anderen Inflations-Recherche-Blatt stehen die Lieferungen der GV-Produkte-Erzeuger an den Gastro-Großhandel, dessen Verkäufe an die Gastronomie und die Speisekarten-Preise der Wirte und Fastfood-Ketten.
Transparenz: Nur wenige Daten sind erforderlich
Für einen seriösen Befund über den kalkulatorischen Umgang des Lebensmittelhandels mit der Inflation braucht es lediglich die folgenden, empirisch belegten Eckdaten:
- Den prozentuellen Anstieg der Einstandspreise in der betreffenden Warengruppe
- den prozentuellen Anstieg der von der Inflation betroffenen Kostenarten (Energie-, Personal-, Logistikkosten) im Lebensmittelhandel,
- die Gewichtung dieser Kostenarten je nach Warengruppe
- sowie die seriöse Warenkorb-Preiserhebung in den Kategorien unter Berücksichtigung der Aktionsumsätze, die natürlich einen stark Inflations-dämpfenden Effekt haben.
- Das Ganze im einheitlichen Periodenvergleich (z.B. März 2023 versus März 2022).
Nach demselben Muster lassen sich für den Lieferanten/Produzenten die Zusammenhänge zwischen Rohstoff- und Kosten-Inflation, Wertschöpfung (Bruttospanne) und Gewinn (Nettospanne) evaluieren.
Komplex: Die Beziehungskiste „Inflation und Handelsmarken“
Für zusätzliche Komplexität sorgt die Umsatzgewichtung von Herstellermarken- und Eigenmarken-Sortimenten. Im Handel bedeutet ein hoher Eigenmarken-Anteil einerseits eine hohe Abhängigkeit von gestiegenen Rohstoffpreisen, die Folge ist ein prozentuell stärkerer Inflations-bedingter Preisanstieg, speziell bei den Preiseinstiegsmarken. Bei den Premium-Eigenmarken hingegen dominiert die höhere Wertschöpfung im Vergleich zu den Margen, die der Handel mit Herstellermarken erwirtschaftet. Verstärkte Aktionsintensität bei den Private Labels verstärkt den Preisdruck auf die Lohnproduzenten. Es verwundert nicht, dass Produzenten vor die Wahl gestellt, auf Marge oder auf Umsatz zu verzichten, sich zur Mengenreduktion (weniger Inhalt, gleicher Preis) entschließen. Solange der Handel den höheren Grundpreis am Regal ausweist, ist an dieser verdeckten Preiserhöhung (Shrinkflation) nichts Verwerfliches, es gibt ja andererseits auch Aktionen mit mehr Inhalt bei gleichem Preis, über die sich niemand aufregt.
Die Mehrwertsteuer-Zahllast, ein wertvoller Indikator
Wertvolle Hinweise zur Unterscheidung zwischen Inflationsopfern und Inflationstätern kann das Finanzministerium beisteuern. Wenn in den monatlichen Umsatzsteuer-Meldungen der Firmen die Zahllast, ausgedrückt in Prozenten des Nettoumsatzes, steigt, ist das ein Indikator dafür, dass das betreffende Unternehmen seine Wertschöpfung steigert. In diesem Fall lohnt es sich, näher hinzuschauen und der Frage nachzugehen, ob diese Margenverbesserung mit der überhöhten „Einpreisung“ der Inflation zusammenhängt. Andererseits könnte ein Rückgang der Zahllast auf Margenschwund und damit auf Inflations-getriebene Ertragseinbussen zurückzuführen sein.
Handelsexperten sind sich einig. Bislang liegen in Österreich wie in Deutschland keine Bilanzen großer Lebensmittelhändler vor, die sie als Inflations-Profiteure outen. Und dass sich kleine Kaufleute über die Inflation ein Zubrot verdienen, ist angesichts des harten Verdrängungswettbewerbs, des Energiekostendrucks und der grassierenden Aktionitis in der Branche erst recht auszuschließen.