Unser LEH: Garant für Vollversorgung in Krisenzeiten
Der Lebensmittelversorgungs-Gipfel im Bundeskanzleramt vom 3. Mai, zu dem auch die Chefs der großen Handelsketten geladen waren, setzte eine Reihe positiver Signale in stürmischen Zeiten. Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger hob hervor, dass die Versorgung der heimischen Bevölkerung durch unsere Landwirtschaft trotz Krieg in der Ukraine, Pandemie und Störfällen in den globalen Lieferketten in hohem Maße gesichert ist. Unser Selbstversorgungsgrad bei Getreide und Fleisch beläuft sich auf 100%, bei Milch liegt er stark darüber. Bei Eiern beträgt er 90%. Ausbaufähig ist die Inlandsproduktion von Soja, Raps, Gemüse und Geflügel. Dass steigende Lebensmittelpreise der Preis für unsere Versorgungssicherheit sind, den die Wirtschaft, der Sozialstaat und besser verdienende Konsumenten gemeinsam zu entrichten haben, ist mittlerweile eine Binsenweisheit.
Ein elementarer Baustein unserer Lebensmittelversorgungs-Sicherheit aber blieb bei diesem Gipfeltreffen am Ballhausplatz weitgehend ausgespart. Nämlich die Tatsache, dass diese Sicherheit eine enge partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Gliedern der Lebensmittel-Liefer- und Wertschöpfungskette voraussetzt. Während im Tagesgeschäft Bauern, Lebensmittel-Produzenten und Lebensmittelhändler in aller Regel hochprofessionell zusammenarbeiten und gemeinsam dafür sorgen, dass der Esstisch der Familie Österreicher auch in der Krise gedeckt ist, wird an dieser, auf freier Marktwirtschaft aufbauenden Food Supply & Value Chain, ständig Kritik geübt.
Wer würdigt die Versorgungsleistung unseres LEH?
Bemerkenswert: Auch bei diesem Gipfeltreffen blieb der Beitrag des LEH zur Voll- und Nahversorgung der Bevölkerung allenfalls eine Randnotiz. Wohingegen bei der Erörterung der Inflationsursachen der "hochkonzentrierte Lebensmittelhandel" einmal mehr mit Schelte überhäuft wurde. Eine Senkung oder befristete Aussetzung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel käme deshalb nicht in Frage, weil dann die Gefahr bestünde, dass der LEH diesen Preisvorteil nicht zur Gänze an seine Kunden weitergeben würde, deutete die Ministerin auf der Pressekonferenz an.
Der Lebensmittelhandel als Inflationstreiber, dieses Narrativ bedienen auch manche Tagesmedien. So schrieb Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister am 26. April im Standard: "Hohe Gewinne von Energiekonzernen, im Einzelhandel und der Immobilienwirtschaft zeigen: Bei den Preisen ist noch Luft nach unten." Von einem Nationalökonomen müsste man eigentlich erwarten können, dass er den Unterschied zwischen Bruttomarge (sie liegt im LEH je nach Betriebstyp in der Größenordnung von 20 bis 25%) und Nettomarge (rund 2% im LEH) unterscheiden kann. In seinem Kommentar: "Kampf der Inflation durch mehr Markt" schlug Schulmeister die Einrichtung einer Agentur für Markttransparenz vor, die Richtwerte für eine faire Verteuerung, insbesondere bei Lebensmitteln erstellen und deren Einhaltung kontrollieren sollte. Dass dieser Fairness-Check offenbar ausschließlich die Letztverbraucherpreise und damit die Preisgestaltung in den Supermärkten ins Visier nehmen sollte, die ab-Hof-Preise der Bauern und die ab-Fabrik-Preise der Produzenten jedoch außer Betracht lässt, zeigt wie unausgewogen Schulmeisters Vorschlag ist.
ECR neu: Ein Programm für Efficient Cost Reduction
Ein sachlicher Diskurs darüber, wie die von außen der heimischen Lebensmittel-Wertschöpfungskette aufgezwungenen Kostenerhöhungen in einem fairen Prozess von der Produktion an den Handel und von diesem an die Konsumenten in Form von Preiserhöhungen weitergereicht werden können, ist jetzt dringend geboten. "Es braucht (russisches) Gas um Milch zu pasteurisieren und Strom zum Kühlen. Nahrung wird daher teuer werden können" schrieb Die Presse am 4. Mai. Aber, damit aus den evidenten Kostensteigerungen auf den einzelnen Stufen faire Preissteigerungen abgeleitet werden können, bedarf es einer transparenten Kalkulation, die sich je nach Branche, Produktionsverfahren, Marketing- und Vertriebsstruktur sehr unterschiedlich darstellt.
Tiefkühlgemüse braucht entlang der Lieferkette mehr Strom als Glashausgemüse, dieses wiederum mehr Wärme- und Lichtenergie als Freiland-Gemüse. Die global vernetzte heimische Lebensmittelwirtschaft steht einer multikausalen Kostenexplosion historischen Ausmaßes gegenüber. In dieser Situation sind pauschale Schuldzuweisungen- "der Handel will unsere exorbitanten Kostensteigerungen nicht entsprechend abgelten" - nicht hilfreich. Was es vielmehr braucht, ist eine neue ECR- Zusammenarbeit: ECR als Kürzel für Efficcient Cost Reduction.
Kosteneinsparung: eine große Palette an Möglichkeiten
Kosten-Einsparungs-Programme in der heimischen Food Supply Chain als wirksames Werkzeug zur Inflationsbekämpfung: Da gibt es eine breite Palette an Möglichkeiten:
- Je dichter das Nahversorgernetz, desto geringer die Spritkosten für die Konsumenten. Die Linzer Kepler Uni legte dazu eine Studie vor.
- Ein Ausbau der regionalen Lieferketten senkt, ganz abgesehen vom Öko-Bonus, die Logistikkosten, die Kühlkosten bei Frischware und den Warenverderb.
- Mehr Kreislaufwirtschaft, von GS1 propagiert, ist ein probates Mittel zur Vermeidung von Verpackungs- und Müll-Entsorgungskosten.
- Thermalwasser-beheizte Glashäuser, wie vom steirischen Spar-Partner Frutura vorexerziert, sparen Energiekosten.
- Handelsmarken senken die Werbekosten, was natürlich der Markenartikelindustrie wenig Freude bereitet.
- Noch mehr Diskonthandel senkt die Personalkosten und damit die Wertschöpfung auf der Distributionsebene. Auch ein zweischneidiges Schwert, weil die Vollsortimenter mit ihren Bedienungsabteilungen wesentlich mehr Arbeitsplätze sichern als Hofer & Co. und damit einen höheren Anteil ihrer Wertschöpfung in die Einkünfte und damit in die Kaufkraft der Arbeitnehmerschaft weiterleiten.
Säulen der Food Security: EU-Binnenmarkt und Fairtrade
Im Streben nach Lebensmittel-Versorgungssicherheit ausschließlich auf maximale Autarkie zu setzen, wäre unrealistisch und zudem ein schwerer wirtschaftspolitischer Fehler. Die marktwirtschaftliche Arbeitsteilung bei der Lebensmittelproduktion in Europa ist und bleibt die Grundlage unseres Wohlstandes auch und gerade in Krisenzeiten. Jedes EU-Land soll auf die Herstellung jener Lebensmittel fokussiert sein, die es aufgrund seiner geographischen Lage, seiner Boden- und Klimaverhältnisse und seiner Verarbeitungstraditionen in besonders hoher Qualität und zu günstigen Preisen liefern kann.
Mopro- und Rindfleisch-Exporte in den EU-Raum sowie Gemüse- und Speiseöl-Importe aus anderen EU-Ländern sind solcherart kommunizierende Gefäße. Fastfood-Riese McDonalds ist Liebkind der österreichischen Rinderbauern, weil die Firma ausschließlich AMA-zertifiziertes Rindfleisch für die heimischen Filialen kauft und darüber hinaus auch den Gästen in der Schweiz Laberln rotweißroter Herkunft serviert. Chicken McNuggets hingegen kommen, zum Leidwesen unserer Geflügelfarmer, von Federvieh aus Spanien. Schlecht, die ausgeglichene Export-Import-Bilanz?
Der Krieg in der Ukraine lehrt uns, wie wichtig europäische Solidarität ist, auch bei der Lebensmittelversorgung. Wie Köstinger berichtete, arbeitet die EU an einem "grünen Korridor", der sicherstellen soll, dass die in der Ukraine lagernden Erntemengen in Reaktion auf die russischen Seeweg-Blockaden auf dem Landweg in den Westen gelangen, von wo aus sie an die vom Hunger bedrohten Länder in Nordafrika (insbesondere am Goldenen Horn) geliefert werden können.
Last but not least bleiben auch globale Lieferketten eine unverzichtbare Säule unser Food Security (nicht zu verwechseln mit der Food Safety). Solidarität mit der hungernden Bevölkerung in der Dritten und Vierten Welt zu beweisen, dazu ist jetzt die europäische Lebensmittelwirtschaft aufgerufen. Ein Schritt in diese Richtung ist die Schaffung des grünen Korridors, ein anderer der Ausbau der Fairtrade-Importe. An Engagement für Fairtrade hat es bei heimischen Lebensmittelhändlern nie gefehlt. Und der Aufpreis für ein gutes Gewissen ist auch Inflations-geplagten Konsumenten zumutbar.