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Ukraine-Krieg löst Inflationswelle im LEH aus

Ukraine-Krieg löst Inflationswelle im LEH aus

Flexible Preisvereinbarungen zwischen Industrie und Handel im Anrollen? Das fragt sich Hanspeter Madlberger.

Der seit Wochen tobende Krieg in der Ukraine fügt den Menschen dieses Landes unsagbares Leid zu, treibt Millionen in die Flucht. Je länger dieser Terror im Osten unseres Kontinents anhält, desto tiefere Spuren hinterlässt er aber auch im komplexen globalen Wirtschaftsgeflecht. Wie rasch der Ukraine-Krieg und der Mechanismus von Sanktionen des Westens und Reaktionen Moskaus auf den Alltag der Lebensmittelversorgung in EU-Europa durchschlagen, zeigen jüngste Meldungen aus Deutschland.

Aldi setzte bereits im Februar die ersten Signale. Sonnenblumenöl der Eigenmarke Bellasan wurde schon vor einigen Wochen um 28,8% teurer, der Preis für Penny Sonnenblumenmargarine stieg um 25,2% (Quelle: Preisbeobachtungs-Plattform Smaggle). Laut der Süddeutschen vom 22. März stiegen im Februar 2022 die Verbraucherpreise für Sonnenblumen- und Rapsöl im Vergleich zu 2021 um 28,9%, jene für Mehl um 14,7%. Wie die LZ aktuell berichtet, nahmen Aldi Süd und Aldi Nord in den letzten beiden Wochen bei 190 Produkten mit rund 450 SKUs Preiserhöhungen vor. Die Schwarz-Gruppe mit Lidl und Kaufland hat umgehend nachgezogen. Edeka und Rewe scharren in den Startlöchern..

Die Dämme brechen

Kein Zweifel, die Inflation bei den Lebensmittelpreisen nimmt beim nördlichen Nachbarn rasant Fahrt auf. Ein Unternehmenssprecher der beiden Aldis hat im Gespräch mit dem Spiegel die Preisstrategie des Discountriesen erstaunlich offen kommentiert. "Dort, wo sich die Kosten im Einkauf durch die derzeitige Marktsituation verändern, müssen wir auch die Verkaufspreise erhöhen". Aldi halte am Prinzip fest, bei steigenden Einkaufspreisen die Verkaufspreise entsprechend anzuheben und diese zu senken, sobald die Einkaufspreise zurückgehen. Nachsatz. "Bei unveränderter Marge".

Marktforscher von NielsenIQ rechnen damit, dass die Discounter heuer angesichts der steigende Inflation jene Marktanteile zurückerobern werden, die sie in den Corona-Jahren (Stichwort: One Stop Shopping) an die Super- und Verbrauchermärkte abtreten mussten.

Dass ausgerechnet die Billighändler mit ihren Preiseinstiegs-Eigenmarken besonders rasch auf die durch den Ukraine-Krieg ausgelösten Rohstoff-Preiserhöhungen reagierten, lässt den Schluss zu, dass die Handelsriesen die Lohnproduzenten ihrer Eigenmarken (die im Falle Aldi für mehr als 85% der FMCG-Umsätze aufkommen) im Interesse einer langfristigen Zusammenarbeit nicht im Regen stehen lassen. Nicht aus reiner Nächstenliebe, sondern weil Versorgungssicherheit in guten wie in schlechten Zeiten im wahrsten Sinn des Wortes ihren Preis hat.

Monatspreise statt Jahrespreise?

Ob die Big Player des LEH diese Flexibilität auch gegenüber ihren Lieferanten aus der Markeartikelindustrie an den Tag legen? Hermann Bühlbecker, Alleininhaber des deutschen Keksriesen Lambertz beklagte gegenüber dem Handelsblatt, "wir Mittelständler haben keine Möglichkeit, die Mehrkosten sofort an den Handel weiter zu geben“. Manche Handelsketten signalisierten jedoch mittlerweile schon ihre Bereitschaft, mit ihren Lieferanten  Einkaufspreise nicht mehr, wie bisher üblich, für die Dauer eines  Jahres, sondern für einen kürzeren Zeitraum zu fixieren. Und das aus gutem Grund: Jahrespreisvereinbarungen sind dem sich dramatisch verschlimmernden Weltwirtschaftsklima nicht mehr angemessen, Volatilität bei den Lebensmittelpreisen ist jetzt gefragt. Steht auch hierzulande auf der Agenda, wenn sich Handelseinkäufer mit Verkaufsleitern der Industrie über gemeinsame Krisenbewältigungsstrategien austauschen.

Keine gute Idee: Vater Staat soll helfen

Noch halten sich in Österreich die Markenartikel-Industrie  und der Fachverband der Nahrungs- und Genussmittelindustrie in der Frage verkürzter Preisvereinbarungs-Intervalle bedeckt. Das sei Sache der einzelnen Mitglieder, ließ der Fachverband retailreport.at anlässlich seiner Exportbilanz-Pressekonferenz wissen. Anstatt untereinander in einen direkten Dialog über das heiße Eisen "Preiserhöhungen" einzutreten, wenden sich die Interessensvertretungen von Landwirtschaft, Industrie und Handel an Vater Staat, er möge doch in Anlehnung  an die Corona-Hilfsmaßnahmen für ihre Klientel ein Förderpaket schnüren, das ihnen die durch gestiegene Rohstoff- und Energie-Preise auferlegten Mehrkosten zumindest abfedere. Gesunde Unternehmen als Bittsteller beim Finanzminister? Keine gute Idee.

Wie schafft der Mittelstand den Preis-Spagat?

Wie prekär die Situation tatsächlich auch hierzulande ist, lässt sich an der Stellungnahme ablesen, die Markant-Großhändler Christof Kastner gegenüber der Presse am Sonntag vom 20. März abgab. Allein in den letzten zweieinhalb Wochen hätten sich mehr als 50 Lieferanten mit teilweise saftigen Preiserhöhungsforderungen an seine Firma gewandt. Im Fall der Ablehnung sei mit Lieferboykott zu rechnen. Der mittelständische Lebensmittelhandel hat unter diesen Voraussetzungen die Wahl zwischen Pest und Cholera. Akzeptiert er die Anhebung der Einkaufspreise, dann läuft er Gefahr, angesichts knapper Umsatzrenditen (in Höhe von 1 bis 2%) tiefrote Zahlen zu schreiben, weil er aus Wettbewerbsgründen die höheren Einkaufspreise nicht 1:1 an die Konsumenten weitergeben kann. Riskiert er leere Regale, dann drohen ihm, insbesondere bei starken Herstellermarken Umsatzeinbußen, die wiederum zu Ertragseinbußen führen.

Wie realistisch ist der Ruf nach Kalkulations-Transparenz?

Wenn Spar-Vorstandsvorsitzender Fritz Poppmeier aktuell davon spricht, man werde die Preiserhöhungsvorschläge der Industrie sehr genau prüfen, um den Kunden einen möglichst günstigen Lebensmitteleinkauf zu sichern, dann bedeutet das wohl im Klartext: die Industrie muss ihre Kalkulation weitgehend offen legen. In welchem Ausmaß steigende Rohstoff-, Energie-, Logistik- und Verpackungskosten auf die Fabriksabgabepreise durchschlagen, ist von Branche zu Branche, von Unternehmen zu Unternehmen sehr verschieden, hängt von vielen Faktoren wie beispielsweise dem Veredelungs- und Conveniencegrad ab. Mischkalkulation und Quersubvention sind ein eigenes Kapitel.

Der Ruf nach Transparenz heizt jedenfalls den Wertschöpfungs-Disput an: Wenn es wirklich hart auf hart geht, können nur die Anbieter loyalitätsstarker A-Marken einen Lieferboykott ins Auge fassen. Für die Preiseinstiegs-Eigenmarken von Spar und Rewe gibt ohnehin Hofer den Preiserhöhungstakt vor. Dieser Mechanismus hat Tradition. Verständigen kann man sich speziell mit der Landwirtschaft auf ein gemeinsames  Regionalitäts-, Nachhaltigkeits- und Patriotismus-Marketing.

Hoffnungsanker: Hoher Selbstversorgungsgrad, resilienter Lebensmittelhandel

Jede Krise birgt auch Chancen, angeblich eine uralte chinesische Weisheit. Österreichs Lebensmittelwirtschaft ist im europäischen und im internationalen Vergleich gut aufgestellt. Bei Getreide und Fleisch haben wir einen 100%igen Selbstversorgungsgrad, unsere Milchwirtschaft deckt sogar 150% des Inlandsbedarfs. Heimischer Raps- und Donausoja-Anbau sind jetzt ein wahrer Segen. Das dichte Netz an Lebensmittelgeschäften und -märkten sichert eine optimale Nahversorgung im ländlichen wie im städtischen Bereich. Die beiden führenden Supermarkt-Ketten erzielen zwar eine magere Umsatzrendite, stützen sich aber auf solide Eigenkapitalquoten. Ausgeglichen ist die Bilanz von Lebensmittel-Einfuhr und Ausfuhr. Zwischen Österreich und den übrigen EU-Ländern, aber auch zwischen der EU und dem Rest der Welt.

Horrorszenario: Disruptive Deglobalisierung

Die weltweiten Rahmenbedingungen sind freilich einzigartig katastrophal und setzen auch einer vergleichsweise robusten Food-Branche ordentlich zu. Wissenschafter sprechen von einer "disruptiven Deglobalisierung", schreibt die Welt am Sonntag vom 20. März. Wirtschaftsweise in Europa und Amerika zerbrechen sich ihre Köpfe darüber, wie der demokratische Westen in den kommenden Jahren und Jahrzehnten einen ökonomischen Modus Vivendi mit den autoritären Regimes in Peking, Moskau und in manchen anderen Regionen dieses Globus zustande bringen könnte. "Ethische Kompromisse" sind unvermeidbar, um Zeit zu gewinnen. Einerseits für den Ausbau der Produktion alternativer Energien, andererseits für die  Steigerung des Selbstversorgungsgrades bei Lebensmitteln, (inklusive Futtermittel und Düngemittel) und bei den Bausteinen der Digitaltechnologien von einfachen Chips bis hochkomplexen automotiven Robotern. Denn gerade die Digitalisierung verheißt der Lebensmittelwirtschaft jenes Potential an Produktivitätssteigerung und Kostensenkung, das in Zeiten zerstörter Getreidefelder und drohender Dürrekatastrophen dringender denn je gefragt ist. Licht am Ende des Tunnels? Die Hoffnung stirbt nie, sagt Kardinal Schönborn. Und richtig, Ostern kommt bald!

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geschrieben am

24.03.2022