Geschäfte ohne Geoblocking
Bericht von Dr. Hanspeter Madlberger
Der mitteleuropäisch aufgestellte Spar Österreich-Konzern will Markenartikel in jenem Land kaufen, wo sie qualitativ am besten und, was die Konditionen betrifft, am günstigsten sind. Seine Einkäufer wollen bei attraktiven Produktneuheiten auch nicht zuwarten, bis der internationale Lieferant geruht, diese Innovation auch in Österreich, in Slowenien oder Kroatien auf den Markt zu bringen. Ein Händler-Ansinnen, das recht und billig erscheint, wenn man auf die vielen Salzburger Konsumenten blickt, die nach Freilassing pilgern, um dort beispielsweise bei Kaufland für Markenkosmetik um 20% weniger zu bezahlen als bei uns.
Mit dem Ruf nach Beschaffungsfreiheit, gerichtet an die Verkaufsstrategen in den Headquarters der internationalen Markenartikelindustrie sorgt die Spar Österreich mitten im Hochsommer für Aufregung in der europäischen FMCG-Branche. Mag. Johannes Holzleitner, seines Zeichens Bereichsleiter Lieferantenpolitik & Sortimentsstrategie in der Salzburger Spar Hauptzentrale sieht gute Chancen, dass er für seine Forderung nach einem Verbot territoriale Angebotsbeschränkungen mittelfristig Rückendeckung durch die zuständigen EU-Behörden bekommt. Diese Hoffnung gründet sich nicht zuletzt auf dem Umstand, dass mit dem EU-Verbot des Geoblocking für Onlinehändler im b2c–Bereich ein wettbewerbsrechtlicher Präzedenzfall vorliegt, der analog und konsequenterweise auf die b2b-Lieferkette zwischen Markenartikel –Multis und FMCG-Einzelhändlern anwendbar sein sollte. Holzleitner: „Seit zwei Jahren sind wir an diesem Thema dran, jetzt zeigt sich ein Licht am Ende des Tunnels.“
Worum geht’s konkret? Im Exklusivgespräch mit retailreport.at legt Holzleitner eine Reihe von Fakten aus seinem Einkäufer-Alltag auf den Tisch, Beweismaterial für den Tatbestand territorialer Lieferbeschränkungen durch namhafte Markenartikel-Multis.
Der Fall Weißer Riese: In Kroatien, wo die Spar Österreich ihre Marktposition mit der Übernahme von 62 Billa-Filialen im Dezember 2016 kräftig ausbaute, wohnen viele aus Österreich zurückgekehrte,ehemalige Gastarbeiter, die gewohnt waren, die Henkel-Billigmarke Weißer Riese zu kaufen. Auf ihre Anfrage bei Henkel Kroatien, dieses Produkt zu liefern, erhielt die Spar einen abschlägigen Bescheid. Das Holzleitner-Team wandte sich daraufhin an Henkel Österreich, das ja den Weißen nach wie vor gelistet hat und bestellte eine Lieferung mit der Zieladresse Zagreb. In der Wiener Erdbergerstraße ließ man sich diesen Exportauftrag mit dem Argument entgehen, die Marke Weißer Riese sei nicht für den kroatischen Markt bestimmt. Worauf die Spar von ihren österreichischen Lagern aus die Ware, mit einem entsprechenden Sticker in Kroatisch ausgestattet, an die Tochterfirma im Land des Fußball-Vizeweltmeisters lieferte.
Der Fall Nutella:Auf unerwartete Probleme stieß die Absicht des heimischen Tannenunternehmens, seinen Supermarkt-Kunden in Slowenien die Haselnusscreme Nutella in jener Qualität anzubieten, wie man sie von Einkäufen in Österreich oder Deutschland her kennt und schätzt. Ferrero Österreich weigerte sich, Nutella in dieser gewünschten Qualität an Spar Slowenien zu liefern. Hintergrund dieser Angebotsbeschränkung: Der italienische Süßwarenriese liefert nämlich in Slowenien Nutella in einer Qualität aus, die sich hinsichtlich Textur und Geschmack von jener unterscheidet, wie man sie hierzulande kennt und schätzt. Der Unterschied in den Rezepturen rührt daher, dass Nutella für den CEE-Raum von der Ferrero Fabrik in Polen erzeugt wird, während die Ferrero-Vertriebstochter in Österreich die Ware vom Werk in Deutschland, der europaweit größten Nutella-Produktionsstätte bezieht.
Der Fall L`Oréal: Das Produkt Excellence Haartönung ist in Österreich bei dm um 7,95 €, bei Spar um 7,99 €, in deutschen Drogerie-, Diskont- und Verbrauchermärkten hingegen um 2,99 € erhältlich gewesen. Es liegt auf der Hand, dass eine so extreme Preisspreizung zwischen D und A auf unterschiedliche Fabriksabgabepreise des Markenartiklers in den betreffenden Ländern zurückzuführen ist, weshalb die Spar bei L’Oréal Deutschland wegen einer Belieferung anklopfte. Und prompt eine Abfuhr erhielt, obwohl die Österreicher sogar mit einer Geschäftsadresse in Deutschland aufwarten konnten, über die der Einkauf hätte abgewickelt werden können
Der Fall Schweppes: Der deutsche Brauereireise Krombacher ist einer der wenigen globalen Lizenznehmer der Limonade Schweppes und vertreibt die Marke auch in Österreich. Als Krombacher die Spar mit einer deutlichen, sachlich ungerechtfertigten Preiserhöhung für Schweppes konfrontierte, hielt Holzbauers Sourcing Scouts Ausschau nach einem Schweppes-Lieferanten, der mit günstigeren Konditionen aufwarten könnte. Und sie wurden in Italien fündig. Doch nachdem die erste LKW-Lieferung Schweppes die italienisch-österreichische Grenze passiert hatte, fand diese junge Geschäftsbeziehung auch schon wieder ihr jähes Ende. Auf Weisung „von oben“, also vermutlich erlassen vom globalen Lizenzgeber, durfte der italienische Lizenznehmer nicht mehr nach Österreich liefern. Woraufhin sich die Spar, nach einem Check des Tonicwater–Segments und der lokalen Markenstärke von Schweppes kurzerhand entschloss, den britischstämmigen Markenklassiker durch eine neue Eigenmarke zu ersetzen.
Der Fall Dr. Oetker: Seit eineinhalb Jahren bezieht die Spar die TK-Torten der Dr. Oetker-Marke Coppenrath & Wiese über einen deutschen TK-Händler. Anlass für diesen Parallelimport war damals eine deutliche Preiserhöhung seitens der Oetker-Vertriebstochter in Österreich. Im Oetker-Hauptquartier war man über diesen Lieferantenwechsel seitens der Salzburger „not amused“ und reagierte auf harsche Weise. Wenn die Spar Coppenrath &Wiese-TK-Torten nicht bei der Österreich-Tochter kaufe, sehe man sich veranlasst, das wesentlich umsatzstärkere Geschäft mit dem Dr. Oetker-TK-Pizza-Sortiment nicht mehr mit Aktionsrabatten zu unterstützen.
Der Fall Haribo: Spar Österreich will Haribo-Artikel bei Haribo Deutschland bestellen, weil die Ware dort zu deutlich besseren Konditionen angeboten wird als in Österreich. Haribo in Bonn weigert sich jedoch, ein Angebot zu legen und verweist die Salzburger an die dafür „zuständige“ Haribo-Tochter in Linz.
Dreifaches Handicap: Bei Konditionen, bei Produktauswahl und bei der Qualität
Auf Schritt und Tritt sieht sich die Spar solcherart mit territorialen Lieferbeschränkungen von Markenartikel-Multis konfrontiert. Holzleitner: Wir erleben diese Beschränkungen in dreierlei Ausprägungen:
Erstens in Form schlechterer Einkaufskonditionen. So kostet das Sortiment von Johnson & Johnson in Deutschland um rund 20% weniger als bei uns.
Zweitens in Form einer geringeren Warenverfügbarkeit, wie das Beispiel Weißer Riese in Kroatien zeigt. Auch werden manche Produktneuheiten den österreichischen Konsumenten schlicht vorenthalten. So sind beispielsweise die süßen Aufstriche der Marken Mars, Snickersund Bounty bei Mars Österreich bislang nicht erhältlich. Der Mischkonzern Atlantic praktiziert Geoblocking, was die Lieferung von „barcaffe“ betrifft.
Drittens werden Marken nicht selten in verschiedenen Ländern in unterschiedlichen Qualitäten angeboten. Nutella ist kein Einzelfall. Coca-Cola wird in Österreich mit Rübenzucker, in Ungarn mit Fructose gesüßt.
Aktuelle Studien liefern die Faktengrundlage für die Aufarbeitung des Problems auf EU-Ebene. Das Papier der EU-Kommission vom 19. April dieses Jahres mit dem Titel „Ein den Anforderungen des 21. Jahrhunderts gewachsener europäischer Einzelhandel“ prangert die regionalen Angebotsbeschränkungen erstmals massiv als wettbewerbsschädlich an. Die wichtigsten Passagen daraus finden unsere Leser im Anhang. (Dokument zur Spar-Initiative gegen Geoblocking beim Markenartikel-Einkauf).
Bis es zu einer wirksamen Gesetzgebung kommt, wird freilich noch einige Zeit vergehen. Der von Ungarn vehement thematisierte Teilaspekt der unterschiedlichen Produktqualitäten von europäischen Lebensmittelmarken in einzelnen Ländern („Dual Quality Food“) soll bis Jahresende 2018 mit einem „Code of Good Practice“ einer Lösung zugeführt werden. Das Startsignal für eine umfassende Regelung könnte am 31. Mai 2022 fallen, denn zu diesem Zeitpunkt treten die Bestimmungen außer Kraft, die derzeit den noch nicht marktbeherrschenden Lieferanten erlauben, mit ihren Lieferpartnern (Tochterfirmen) in einzelnen Ländern vertikale Vereinbarungen betreffend regionale Angebotsbeschränkungen zu treffen. Trotz anfänglich zögerlichen Branchensolidarität innerhalb der europäischen Händlerschaft findet die Initiative nun breite Unterstützung von namhaften Händlern aus Deutschland, Frankreich, Belgien, Niederlande und Spanien.
Holzleitner versteht seinen Vorstoß bei der EU in Sachen Lieferbeschränkungen ganz und gar nicht als Kampfansage an die Österreich-Vertriebstöchter und –Vertriebspartner der Markenartikel-Multis: „Oberstes Ziel der Spar-Sortimentsstrategie ist ein Markenartikel-Angebot, das die Wünsche der österreichischen Konsumenten abbildet und die Freiheit für den Händler, dieses EU-weit zu den besten Konditionen zu beschaffen. In diesem Sinn erwarten wir von unseren Lieferpartnern aus der Markenartikelindustrie, dass sie bei den Rezepturen den Geschmackswünschen der Österreicher Rechnung tragen, dass sie die aktive Markenführung auf die Kunden in Österreich abstimmen.“ Nachsatz: „Markenführung, maßgeschneidert für den österreichischen Markt, wird heute von vielen Markenartikel-Multis vernachlässigt. Wenn D-A-CH- Strukturen im Management dazu führen, dass unser Land als x’ tes deutsches Bundesland betrachtet wird, dann ist es um die Zukunft des internationalen Markenartikels in Österreich schlecht bestellt.“