Solidarität statt Konkurrenzneid
Hanspeter Madlberger hat sich in den folgenden Zeilen viele Gedanken über den Handel in Zeiten der Corona-Krise gemacht. Noch während er seinen Text fertigstellte, ereilte uns die Nachricht, dass sich die fünf größten Händler mit dem Non-Food-Handel solidarisch zeigen und eine freiwillige Selbsteinschränkung für manche Warengruppen setzen.
Trotzdem wollen wir Ihnen die Gedanken nicht vorenthalten, denn sie sind für die Zukunft unserer Wirtschaft in Zeiten von Krise sehr wichtig: Solidarität ist gefragt und nicht der harte Konkurrenzneid.
Der Corona-Virus stiftet Zwietracht in der Wirtschaft und das ist wirklich schlimm. Vertreter des Nonfood-Handels rebellieren gegen die vorbildlichen Corona-Schutz-Programme der Regierung, proben gar den Aufstand mit „Rampenverkauf“ und attackieren rüde den Lebensmittelhandel, weil er ihnen Osterumsätze „wegnimmt“. Sogar der VP-Wirtschaftsbund beteiligt sich an dieser Lebensmittelhändler-Hatz. Unfassbar: Eine Handelsbranche, die als Kernelement der systemkritischen Infrastruktur wesentlich dazu beiträgt, dass in diesen Krisenzeiten die Menschen im Land zu essen haben und die alles unternimmt, damit der Infektionsschutz beim Lebensmittel-Einkauf aufrecht bleibt, wird der unsolidarischen Geschäftemacherei bezichtigt.
Entsprechend erbost reagierte die Spar in ihrer Presseaussendung vom 3. April: Kein Schulheft, kein Spielzeug für die Kinder zu Hause? Diese Diskussion mit aufgebracht Kunden würde die Mitarbeiter endgültig an den Rand der Kapazitäten bringen, warnte Spar Zentralbetriebsratsobmann Egon Karabacek. Und weil die Spar viele Nonfood Produkten von heimischen Lieferanten bezieht, würde ein solcher Umsatzverzicht viele weitere heimische Arbeitsplätze vernichten. Und überdies Mehrumsätze dem internationalen Online-Handel zuschanzen, der fast nichts zur Inlandswertschöpfung beiträgt.
Der konkrete Vorwurf der Nonfood-Fraktion lautet: Der LEH missbrauche sein „Privileg“ der Öffnungserlaubnis zwecks Grundversorgung der Bevölkerung dazu, auch Sortimente wie Blumen, Spielzeug, Werkzeug oder Gartengeräte zu verkaufen und damit „seine marktbeherrschende Stellungen auf Kosten anderer Sektoren auszubauen, die derzeit per Verordnung geschlossen haben müssen“ (NÖ Wirtschaftsbund Landesobmann Wolfgang Ecker und NÖ WB-Direktor Harald Servus im O-Ton).
In Deutschland protestieren Baumarkt-Betreiber gegen Nonfood-Aktionen der Discounter bei Sortimenten des Heimwerker- und Gartenbedarfs. Von Wettbewerbsverzerrung und Diskriminierung ist bei all diesen Protesten die Rede. Der Wirtschaftskammer und dem Handelsverband, die mit diesen Beschwerden überhäuft werden, sind freilich die Hände gebunden, weil sie ja die Interessen aller ihrer Mitglieder vertreten müssen. So können sie nur die Hilferufe der von, zugegeben schrecklicher Umsatzatemnot bedrängten, Nonfood-Händler an den Staat weiterleiten. Und das tun sie auch mit großem Einsatz. Und da sind dann noch die Online-Initiativen der Interessensvertretungen. Nett aber bisher nicht sehr wirkungsvoll.
So absurd sich die Vorwürfe des „Wildern in fremden Revieren“ des LEH ausnehmen, so sehr sollten in dieser Ausnahmesituation die Lebensmittelhändler als Systemerhalter das Gespräch mit den derzeitigen „Krisenverlierern“ suchen. Solidarität, nicht als Bringschuld des Food-EH gegenüber dem Nonfood-EH, sondern als freiwillige Geste kollegialer Gesinnung und gemeinsamer Verantwortung. Und bei näherer Betrachtung sind auch einige Initiativen möglich, die sehr wohl zur Entschärfung dieses unnötig hochgepushten Konfliktes beitragen können.
Aldi kooperiert mit McDonald`s
Innerhalb eines branchenmäßig stark diversifizierten Unternehmens ist solidarische „Nachbarschaftshilfe“ eine Selbstverständlichkeit. So setzt die Spar seit Beginn der Corona-Schließungen Hervis-Mitarbeiter im Lebensmittelhandel ein. Ein lobenswertes Beispiel zwischenbetrieblichen Zusammenhaltens - nicht zwischen Food und Nonfood sondern zwischen LEH und Gastronomie -setzte Aldi in Deutschland mit der kurzfristigen Einstellung von unterbeschäftigtem McDonald`s-Personal. Dieser „Personalverleih“ funktioniert auf freiwilliger Basis, beide Firmen unterstützen als Vermittler diesen befristeten Jobwechsel, der die Kostenlast bei McDonald`s senkt und den Arbeitsengpass bei Aldi mildert.
Handlungsbedarf in Warenhäusern und Einkaufszentren
Dieser kreative Ansatz einer Personalpartnerschaft könnte auch in Einkaufszentren, Warenhäusern und Ladenzeilen von Verbrauchermärkten funktionieren. Kurzfristig ließen sich Nonfood-Shop-in-the-Shop-Module nach Tchibo-Vorbild (das alte Rack Jobbing-Modell) in den Verbrauchermärkten als Ausweichlösung für geschlossene Fachgeschäfte in der Ladenzeile einrichten. Buchhandlungen könnten sich befristet mit einem Corona-Kochbuch -Shop in Großmärkten einmieten. Maßnahmen wie diese wären jedenfalls besser, als eine verfrühte Wiedereröffnung der Fachgeschäfte mit dem Risiko einer zweiten Infektionswelle.
Wenn Österreichs einziges namhaftes Warenhausunternehmen Kastner & Öhler einen dramatischen Hilferuf an die Bundesregierung richtet, könnte ein Beitrag zur Rettung darin bestehen, dass die im Stammhaus eingemietete Lebensmittelabteilung ein ausgewähltes K&Ö-Sortiment an Textil und Haushaltsartikeln „einlistet“. In Deutschland kämpfen die mitten in einer radikalen Umstrukturierung befindlichen Galeria Karstadt Kaufhof (GKK) Warenhäuser der Signa Retail Gruppe ums Überleben und haben vor wenigen Tagen beim Amtsgericht Essen ein Schutzschirmverfahren beantragt. Dabei handelt es sich um einen gerichtlich überwachten Umschuldungsprozess, der eine in Krise geratene Firma vor dem Zugriff ihrer Gläubiger schützt, ohne dass Insolvenz angemeldet werden muss. Starke Lebensmittelabteilungen in den GKK-Häusern könnten in diesen Zeiten die Umsatzausfälle der Nonfood-Abteilungen abfedern. Leider steht Firmenchef Stephan Fanderl, dem jetzt der ehemaligen Schlecker-Insolvenzverwalter Arndt Gleiwitz als Generalbevollmächtigter unter die Arme greift, mit der Revitalisierung des Lebensmittelgeschäfts erst am Anfang. Langjährige Kooperationen mit der Rewe (Feinkostformat Perfetto) dürften bislang weitgehend im Sand verlaufen sein.
Wie steht die Immobilienbranche zu umsatzabhängigen Mieten?
Senkung der Fixkosten ist die betriebswirtschaftliche Erste-Hilfe-Aktion für Nonfood-Händler, deren Umsätze kollabieren. Neben den Personalkosten zählen die Mietkosten zu jenen Schrauben, an denen der Corona-Krisenmanager drehen muss. Das EHI legte am 2.4. die Ergebnisse einer Umfrage vor, wonach nahezu der gesamte deutsche Nonfood-Einzelhandel mit den Vermietern wegen Stundung bzw. Senkung von Mieten in Verhandlung getreten ist. 49% konnten die befristete Aussetzung der Miete erwirken, 35% eine Stundung. Der Ruf nach umsatzbasierten Mieten ertönt lauter denn je, die Immobilieninvestoren dürften not amused sein.
SES-Chef Marcus Wild gab gegenüber retailreport.at zur prekären Situation zahlreicher Shoppingcenter-Mieter folgende Stellungnahme ab:
Wir sind mit unseren Shoppartnern in engem Kontakt und erarbeiten gemeinsam individuelle Lösungen für jeden Standort. Wir raten unseren Partnern, die staatlichen Zuschüsse wo möglich zu beantragen. Gleichzeitig ist nicht klar, wie hoch diese für die einzelnen Unternehmen aus dem Hilfsfonds sein werden. Hier warten wir auf Klärung, da das Epidemiegesetz außer Kraft getreten ist, das alles klar geregelt hätte.
Die Schließung der Shops trifft auch die Bestandgeber. Es gilt, die Folgewirkungen für die gesamte Immobilienwirtschaft und alle damit zusammenhängenden Branchen (Banken, Dienstleister, Zulieferer, Bau, etc.) in Grenzen zu halten. Es gibt dazu auch Vorschläge vonseiten des Shopping-Center-Verbands und des Handelsverbands an die Regierung, wie beispielsweise für einen Strukturförderungsbeitrag zur Erhaltung der stationären Infrastruktur an die Bestandsgeber, Zuschuss zur Abschreibung auf unverkäufliche Waren und dringend die offensive Besteuerung der über Online getätigten Einzelhandelsumsätze.“
Bei allem Verständnis für die großen finanziellen Schwierigkeiten, in der sich jetzt viele Unternehmen befinden: Manche Firmenchefs übertreiben auch, wenn sie von Medien eingeladen werden, ihren Hilferufen an die Regierung Nachdruck zu verleihen. Großgärtner Ludwig Starkl regt sich im Interview mit dem Standard vom 30. März darüber über auf, dass Discounter das große Ostergeschäft mit (Import-) Blumen machen, während bei ihm in diesen Wochen 60% seines Jahresumsatzes (!) statt im Verkauf am Kompost lande. Starkls Beschwerde richtet sich indirekt gegen die Importe an Fairtrade-Blumen aus Afrika, die Discounter aber auch Supermarktketten aus ganz Europa seit Jahren tätigen. Es überrascht nicht, dass Fairtrade Österreich-Geschäftsführer Hartwig Kirner sich da zu Wort meldet und darauf hinweist, dass ein Blumenverkaufsverbot für Supermärkte dem heimischen Fachhandel keinesfalls helfe, andererseits aber afrikanische Fairtrade -Blumenfarmen, die Teile ihre Fairtrade-Prämien in den Bau von Spitälern stecken, in den Ruin stürzen würde.
Herr Starkl zeichnet da ein sehr einseitiges Bild der Lieferketten in seiner Branche. Es darf an dieser Stelle daran erinnert werden: Gerade im Frischwarenbereich - dazu zählen ja auch Blumen und Pflanzen - arbeiten unsere Lebensmittelhändler äußerst umfangreich mit hunderten heimischen landwirtschaftlichen und gewerblichen Produzenten zusammen. Die Flugblätter und Inserate von Billa, Spar, Hofer und Lidl sind voll davon.
Ähnlich befremdend sind die Aussagen mancher Großbäcker in Richtung Supermarkt-Konkurrenz. Sie dürfen ja, wie der LEH, ihre Geschäfte offen halten, beklagen aber laut Standard vom 26. März Umsatzeinbrüche „von Wien über die Steiermark bis in Tirol von 70 Prozent.“ Wie das? Der Grazer Großbäcker Martin Auer wartet mit der Hypothese auf, dass sich infolge der Ausgangsbeschränkungen Lebensmittelmärkte mehr denn je zu One-Stop-Shops entwickelten, was dazu führe, dass Bäckereien weitgehend leer ausgingen. In den Supermärkten aber würden sich die Österreicher „bei Brot und Gebäck … vor allem mit haltbarer, abgepackter Industrieware eindecken“. Nachsatz: „Vieles davon ist importiert“. Und natürlich sind den gewerblichen Bäckern die Aufbackstationen der Supermärkte ein Dorn im Auge, obwohl die meisten von ihnen sich ebenfalls dieser Technologie bedienen. In Wahrheit ist die Zusammenarbeit zwischen dem Bäckergewerbe und den Handelsketten bei weitem nicht so schlecht. Nicht nur Spar und Rewe, auch Hofer und Lidl arbeiten intensiv mit mittelständischen Bäckern in den einzelnen Regionen zusammen, forcieren Spezialbrote teils als Bio-Eigenmarken aber auch als Herstellermarken.
Bleibt zu hoffen, dass sich die Wogen der Empörung glätten werden, sobald der Virus gezähmt ist. Bisher ist Österreich gut damit gefahren, dass dem Gesundheitsschutz absoluter Vorrang eingeräumt wird und dass zwangsläufig eingetretene Verluste in einzelnen Branchen durch die Hilfspaketen des Staates angemessen abgegolten werden. Für die Zeit nach Corona wird die gesamte heimische Konsumgüterwirtschaft unter Wahrung eines fairen Wettbewerbs mehr vertikale und horizontale Kooperation und den Verzicht auf wirtschaftsinterne Haxelbeisserei dringend benötigen.