Direkt zum Inhalt
Rund um den Weltmilchtag gibt es viele Themen

Weißes Gold im Überfluss

Am traditionellen Weltmilchtag am 1. Juni ist der Branche nicht unbedingt zum Feiern.

Der Lockdown der Beherbergungsbetriebe aller Art brachte die Landwirtschaft in eine prekäre Situation: die Vertriebsmöglichkeiten wurden auf ein Minimum reduziert, der Lebensmittelhandel fing zwar einen starken Teil ab und sicherte auch die Preise, trotzdem gibt und gab es Milch, Fleisch und andere landwirtschaftliche Produkte im Überfluss. Marktwirtschaftlich gesehen ein Desaster für die Preisentwicklung.

Nun nahmen Landwirtschaft, Lebensmittelhandel und AMA Marketing den Weltmilchtag am 1. Juni zum Anlass, um Appelle an die Politik zu richten.

Wichtigstes Glied in einer Kette

In einem Plädoyer stellt Helmut Petschar, Geschäftsführer der Kärntner Milch und Präsident der Vereinigung Österreichischer Milchproduzenten fest, dass der Strukturwandel in der Milchwirtschaft weiter geht: es gibt 2019 nur mehr 25.600 Milchbauern, das sind abermals 3,7% weniger als 2018. Und auch die Milchanlieferungen (Inkl. Anlieferungen aus dem Ausland) sind um 0,4% gesunken auf 3,4 Mrd. Liter 2019. So auch der Milchpreis, der 0,2% verloren hat (Milch mit 4,0 % Fett und 3,4 % Eiweiß, exkl. USt.). „Das wichtigste in unserer aller Bestreben sind ein paar wesentliche Punkte. Dazu zählen Herkunftskennzeichnung, Stopp der Aktionitis – zum Beispiel bei Butter, kontinuierliche Preisentwicklung, Bewusstseinsbildung und Hervorhebung des Mehrwertes“, so Petschar.

Für eine Herkunftskennzeichnung setzt sich der VÖM-Präsident schon sehr lange ein. Sie würde viel Transparenz bringen, die derzeit vor allem bei Aktionsware nicht gegeben ist. „Gerade bei Butter und Rahm wäre die Herkunftskennzeichnung sehr wichtig“, meint Petschar. 

Und schließlich ist es nicht nur eine Frage der Abnahme und Preise, denn die Landwirtschaft (Milchwirtschaft und auch Fleischwirtschaft) ist eines der ersten und wichtigsten Glieder in einer Kette, die Österreichs Dasein bestätigt: Tourismus und Landschaftspflege. Die österreichische Milchwirtschaft steht nicht nur für die Produktion hochwertiger Lebensmittel, die Milchbauern sorgen auch für den Erhalt des Grünlandes, vor allem im Berg- und benachteiligten Gebiet und sichern damit eine gepflegte, lebendige und ansprechende Kulturlandschaft als Basis für den Tourismus. Die Milchwirtschaft prägt viele Fremdenverkehrsgebiete und produziert unter schwierigen Bedingungen bis hinauf in die Almen hochwertige Milchprodukte. Ohne diese Produkte und die gepflegte Landschaft wäre der österreichische Tourismus nicht vorstellbar.

Stopp der Aktionistis

Dr. Michael Blass, Chef der AMA Marketing, zeigt auf, dass in der Corona-Hauptkrisenzeit deutlich mehr Milch und Milchprodukte im Lebensmittelhandel gekauft wurden. 11% Plus waren es im 1. Quartal und das ist soviel „als hätte man ein 10. Bundesland dazugewonnen“, so Blass – im Lebensmittelhandel allerdings. Gastro- und Gemeinschaftsküchen fielen natürlich weg. Was aber noch deutlich zu erkennen war, ist die Tatsache, dass es deutlich weniger Aktionskäufe im März gab. Dazu kommt eine Steigerung der Bioanteile und der Glasflasche. Na bitte, geht doch – könnte man da sagen, aber es liegt „am Lebensmittelhandel, der mit seiner Macht entscheidet, ob es bei der Regionalität und bei der Preisentwicklung bleibt“, so Blass. 

Auch der Landwirtschaftskammer-Präsident lässt aufhorchen: „Der Milchpreis ist sehr volatil, mit großen Anstrengungen ist es aber gelungen, einen völligen Absturz zu vermeiden. Für einen nachhaltigen Erfolg hängt jedoch alles vom Anspringen des Tourismus und der erfolgreichen Wiedereröffnung von Gastronomie und Gemeinschaftsverpflegung ab. Auch der drohende Brexit hängt wie ein Damoklesschwert über der Branche. Denn wenn die vom EU-Austritt Großbritanniens unmittelbar betroffenen Iren ihre enormen Produktionsmengen bei Milch und Fleisch nicht mehr auf dem UK-Markt unterbringen, werden sie Druck auf den EU-Binnenmarkt ausüben. Daher brauchen wir rasch eine Stabilisierung der Märkte", betont Josef Moosbrugger.

Kampagne klärt auf

Die derzeit wohlwollende Stimmung nutzt die AMA in ihrer aktuellen Kampagne: „Die Konsumenten nehmen mit ihrer Einkaufsentscheidung Einfluss auf die Strukturen in der Landwirtschaft und der Verarbeitung. Der Handel ist in einer Schlüsselrolle, wenn es um die Absicherung der landwirtschaftlichen Produktion und der nachgelagerten Verarbeitungsstandorte geht. Diese Verantwortung fassen wir in unserem Claim `Wir alle brauchen uns alle` zusammen“. Als sichtbares Zeichen für die geprüfte Herkunft und Qualität stehen das AMA-Gütesiegel und AMA-Biosiegel. Sie sind verbindliche Güteparameter über alle Stufen der Produktion und schaffen Mehrwerte, die dem Handel und den Konsumenten zum Vorteil gereichen können“, erklärt Michael Blass.

AMA Gütesiegel

Das AMA Gütesiegel ist seit Jahren ein Gradmesser für die Branche und dient als Sicherheit für die Produktion der landwirtschaftlichen Produkte: für den Konsumenten, den Handel, den Bauern und vor allem auch das Tier. Erst jüngst kam das AMA Gütesiegel durch eine Vier-Pfoten-Aussendung in Anklage: bei Schweinefleisch sei nur ein absolutes Mindestmaß durch das Gütesiegel gegeben und das Tierwohl nicht optimal. Die AMA reagierte prompt:   „Die AMA orientiert sich an klar definierten und transparenten Anforderungen an die Tierhaltung. Das sind Gesetze, Verordnungen und die AMA-Produktionsrichtlinien. Die individuell gewählte Benchmark einer NGO kann naturgemäß über den gesetzlichen Anforderungen liegen. Aufgrund der offenen Märkte muss die AMA-Marketing den weltweiten Kontext im Auge behalten, da Schweinefleisch als Rohstoff für die Verarbeitung global gehandelt wird und den heimischen Verarbeitern zur Verfügung steht.

Tatsache ist: Die Vorstellungen über und Erwartungen an die Tierhaltung und die Realität entwickeln sich in unserer Gesellschaft zunehmend auseinander. In diesem Spannungsfeld besteht die Aufgabe der AMA-Marketing darin, über die Kriterien zu informieren, die den unterschiedlichen Produktionsstandards zu Grunde liegen, damit informierte Konsumenten die für sie passende Wahl aus dem breiten Sortiment treffen“. Denn: immer mehr Konsumenten entscheiden sich trotz Preisunterschieden für Fleisch mit dem „Tierwohl“-Siegel oder gar aus Bio-Produktion.                                    

Gute Unterstützung von Land schafft Leben

Der unabhängige und unpolitische Verein „Land schafft Leben“ zeigt den Konsumenten transparent und ohne zu werten, wie in Österreich Lebensmittel produziert werden, wie die Produktion vor Ort beim Bauern erfolgt, wie die Verarbeitung funktioniert und wie das fertige Produkt schließlich im Lebensmittelhandel landet. Der Verein setzt sich sehr für die bäuerlichen Strukturen ein und schafft ein höheres Werte-Bewusstsein für die Produkte.

Der durchschnittliche Milchbetrieb ist ein Bauernhof mit 22 Milchkühen. Vor allem viele kleinere Milchbauern kämpfen trotz Entgelten der öffentlichen Hand ums Überleben ihrer Milchwirtschaft, hören auf oder suchen sich eine zweite oder dritte Einnahmequelle. Österreichs Milchbauern erhalten artenreiches Grünland und verwandeln dabei für den Menschen ungenießbare Gräser in genießbare Milch. Damit die Kühe mehr Milch geben, verwenden sie auch so genanntes Kraftfutter, in unterschiedlichen Anteilen. Kontrolliert werden sie oft und regelmäßig, wie die Milch entlang ihres gesamten Weges, inklusive aller Verarbeiter und Verkäufer. 

Schaf- und Ziegenmilch zusammen machen weniger als ein Prozent der insgesamt in Österreich erzeugten Milch aus. Von der Kuhmilch sind rund 19 % Bio. Heumilch macht 15% aus. Beinahe die Hälfte jener Milch, die als Konsummilch verkauft wird, geht in den Export. Dennoch ist Österreich im Vergleich zu Neuseeland und Irland ein kleiner Milchproduzent. Diese Länder haben je gut die Hälfte der Einwohner von Österreich. Trotzdem produziert Irland über die Hälfte mehr Milch, Neuseeland sogar ein Vielfaches. Die Österreicher geben für Milchprodukte mehr Geld aus als für Milch, die in Verpackungen oder Flaschen abgefüllt ist. Diese macht nur 16,9 % der Ausgaben für Molkereiprodukte eines österreichischen Haushalts aus. Der größte Anteil fällt auf Käse, mit 40 %.

Forderungen der IG Milch

Auch der Verein IG-Milch setzt sich als unabhängige Gemeinschaft von Landwirten, die für faire Preise und faire Produktionsbedingungen der Bäuerinnen und Bauern stehen, ein und gibt sieben Forderungen an die Politik heraus:

1. Erster Ausgangspunkt für eine neue Milchwirtschaft ist der gesicherte Rohmilchpreis ab Hof im konventionellen Bereich von 0,50 EUR und im biologischen Bereich von 0,70 EUR für kleinstrukturierte Landwirtschaft bis 30 Milchkühe.

2. Zweiter Ausgangspunkt ist die Reduktion von Kraftfuttermittel auf 20 % des derzeitigen Einsatzes in Österreich und in der EU. Das sind etwa 200 kg pro Jahr und Kuh.

3. Dritter Ausgangspunkt ist eine dramatische Reduktion von Spritzmittel und künstlichem Dünger in der gesamten Landwirtschaft und die Ausweitung von Dauerwiesenflächen für eine nachhaltige Humusbildung.

4. Vierter Ausgangspunkt ist die Regionalisierung aller landwirtschaftlichen Produktions- und Verarbeitungsprozesse im Gegensatz zur laufenden und gängigen Zentralisierung.

5. Fünfter Ausgangspunkt ist die Verbesserung und Förderung der Stellung der Direktvermarkter.

6. Sechster Ausgangspunkt ist das Projekt „Richtig rechnen“ in mindestens 50 Betrieben ab Herbst 2020. Mit „Richtig rechnen“ wird ein neues Kapitel aufgeschlagen, in dem nicht die Ausbeutung und Optimierung der Natur die Basis und Richtung aller Berechnungen sind, sondern die Sorgfalt der Natur, der Mit- und Umwelt gegenüber mitgerechnet wird.

7. Siebter Ausgangspunkt ist die unkomplizierte Ermöglichung und Förderung neuer Übergabe- und Zusammenarbeitsformen landwirtschaftlicher Betriebe.

Milch Glasflasche
Milch Verbrauch pro Kopf
Milch Auszahlungspreis
Molkereien in Österreich

Kategorien

geschrieben am

29.05.2020