Handelsmarken boomen, E-Food kriselt noch
Dr. Hanspeter Madlberger berichtet
Corona bescherte dem Lebensmittel-Einzelhandel eine Sortimentsrevolution noch nie da gewesenen Ausmaßes. Das geht aus der RollAMA-Bilanz über das Jahr 2020 hervor, die AMA-Geschäftsführer Dr. Michael Blass und AMA-Marktforscherin Mag. Micaela Schantl am 3.3. den Medien präsentierten. Die RollAMA-Daten werden vom GfK Haushaltspanel generiert, die Auswertung erfasst rund ein Drittel der Gesamtumsätze im LEH, insbesondere den Frischwaren-Bereich mit Milch/Käse, Fleisch/Geflügel/Wurst und Obst/Gemüse. Weiters umfasst die Erhebung Eier, Gelbe Fette, Tiefkühlkost und Konserven. Leider fehlt bei der Frische die Warengruppe Brot & Backwaren, weil die Getreidebranche sich an den RollAMA-Kosten nicht beteiligt. Ausgeblendet bleibt dadurch auch der ofenheiße Verdrängungswettbewerb, den die Backstationen des LEH den Bäckereien liefern.
Discounter legen bei Frische etwas stärker als Vollsortimenter zu
Eine kleine Überraschung: Während Nielsen im Wachstumswettlauf 19/20 den Discounter-Duo Hofer/Lidl ein unterdurchschnittliches Plus und damit eine Marktanteils-Minus von 0,5%Punkten bescheinigt, haben laut GfK/RollAMA alle Discounter (Hofer, Lidl, Penny, Norma) bei den Frischwaren um 14,3% zugelegt. Die Vollsortimenter hingegen "nur" um 13,4%. Liegts vielleicht daran, dass das europäisch sehr gut vernetzte Discounter-Trio Hofer, Lidl und Penny bei Obst und Gemüse (wo Österreich über einen niedrigen Selbstversorgergrad verfügt) stark Dampf machte?
Stärkere Frischwaren-Umsatz-Zuwächse als der LEH zeigte auch der bäuerliche Ab-Hof-Verkauf, der um 23,9% zulegte. Allerdings sollte man hier auch die absoluten Zahlen ins Kalkül ziehen. Während der LEH (Supermärkte und Discounter) seine Frischwaren-Verkäufe an die Haushalte um 856 Millionen € steigerte, kamen die "alternativen" Einkaufsstätten (Ab-Hof-Verkauf, Bauernmärkte und Fleischhauer) zusammengerechnet bloß auf ein Plus von 125 Millionen €. Frischmilch, Eier und Erdäpfel sind jene Warengruppen, bei denen die agrarischen Direktvermarkter (ab Hof-Verkauf und Bauernmarkt) als Nahversorger in Corona-Zeiten am stärksten zulegten.
Wachstumstreiber Handelsmarken
Der Befund ist eindeutig: Von 2019 auf 2020 sank der Marktanteil der Herstellermarken laut RollAMA-Panel von 42% auf 40%, analog dazu stieg der Anteil der Handelsmarken von 59% auf 60% (ein %Punkt ging durch die Rundung verloren). In Wahrheit ist der Handelsmarken-Anteil noch um einiges höher, weil Frischfleisch, Feinkost-Bedienungsware sowie Obst und Gemüse außer Betrachtung blieben. Tatsächlich aber ist auch die Ware in diesen Kategorien sehr oft den Handelsmarken zuzuzählen, man denke nur an Frischfleisch und Wurst der Spar-Eigenmarke Tann. Und natürlich spielen auch bei Brot & Gebäck die Handelsmarken eine dominante Rolle.
Ein Fünftel der Handelsmarken-Umsätze im Frischwarenbereich entfallen auf die Bio-Eigenmarken der Handelsketten. Sie liefern einander einen heißen, werbeintensiven Wettbewerb, Herstellermarken mischen nur am Rande (z.B. bei Tiefkühlgemüse) mit.
Blindflug bei trendigen Öko-Sortimenten
Es wurde in letzter Zeit schon oft darüber berichtet, dass Corona den Appetit unserer, an den häuslichen Herd "verbannten" Konsumenten, auf regionale, nachhaltig produzierte, biologische und herkunftskonnotierte Lebensmittel ordentlich steigert. Diesen Mega-Trend bestätigt auch eine Motivanalyse (Befragung von 1970 Personen), deren Ergebnisse zusammen mit den RollAMA-Daten präsentiert wurden.
Wie weit Einkaufsverhalten und Kunden-Selbsteinschätzung bei Umfragen auseinanderklaffen, wird am Beispiel Bio deutlich. 48% der Befragten äußerten die Ansicht, Bio hätte in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Im Schnitt aber entfallen nur 10% des Lebensmitteleinkaufs auf Bio-Ware. Aber zumindest herrscht beim Bio-Thema Transparenz über die mangelhafte Eignung der Verbraucher als Trend-Coaches der Produzenten. Mit viel mehr Vorsicht sind Motivanalysen zu angesagten Trendthemen wie Regionalität, Tierwohl, Klimaneutralität und Herkunft zu genießen, für die kein Gegencheck durch Warenkorb-Analysen vorliegt.
Bei der AMA ist man sich dieser Problematik bewusst. Micaela Schantl erklärte auf Anfrage von retailreport.at, Bio-Ware könne anhand des Biosiegels von den Panel-Haushalten diagnostiziert werden, andere Nachhaltigkeitskriterien hingegen ließen sich nur dann über die RollAMA erfassen, wenn die Artikel-Codes (die von den Panel-Teilnehmern eingescannt werden) die betreffenden Informationen enthielten. Was aber nicht der Fall sei. Dass in dieser essentiellen Agrarmarketing-Frage dringender Gesprächs -Bedarf zwischen AMA und GS1 Austria herrscht, darf hier angemerkt werden.
Tristesse bei Fresh E-Food
Die Wahrheit ist den Marktteilnehmern zumutbar. Aus gegebenem Anlass dürfen wir uns bei der AMA für ein Extra-Chart bedanken, das wir unseren Lesern nicht vorenthalten wollen. Es geht um die marginale Bedeutung des Online Handels beim Verkauf von frischen Lebensmitteln in Österreich. Wie dem Chart zu entnehmen ist, lag der E-Food-Anteil im RollAMA-Warenkorb 2017 bei 1,7%, fiel 2018 auf 1,5%, 2019 weiter auf 1,4% und kletterte 2020 auf 1,6%. Da hat also auch Corona wenig bewegt.
Den höchsten Online-Anteil erreichen frisches und tiefgekühltes Obst & Gemüse inklusive Kartoffeln (2,3%). Mopro und Fleisch werden zu 98,6% bis 99% offline gekauft. So wie in Deutschland (wo auch Amazon Fresh auf niedrigem Niveau stagniert) ist hierzulande der Internet-Versand von Lebensmitteln noch eine sehr mickrige Angelegenheit. Ganz im Gegensatz zu Ländern wie Großbritannien und Frankreich.