Monsieur Lionel bäckt kleine Brötchen
von Dr. Hanspeter Madlberger
Was die Medienleute da zu hören bekamen, war eine nonchalant und humorvoll vorgetragene Aneinanderreihung von Beruhigungspillen. Bei der Rewe herrscht business as usual, wie es sich für einen im Besitz von Kaufleuten befindlichen Genossenschaftskonzern mit einer Eigenkapitalquote von 31,4% gehört. Die Rewe Group steht für soliden kaufmännischen Mittelstand, präsentiert sich als Gegenpol zur börsenotierten Retail Industry, auch wenn sie 2018 beim Umsatz die 60 Milliarden €-Marke überschritten hat.
Konsolidierung hat unter Lionel Souque Vorrang vor Expansion. Das heißt im Detail: Keine Prestigeduelle mit der Markenartikelindustrie, wie sie zurzeit bei Edeka und Kaufland en vogue sind. Eine maßvolle Eigenmarken-Strategie. Die finanzielle Einbindung der eigenbrötlerischen Rewe Dortmund (Umsatz rund 1,3 Mrd. €) in den Konzern. Der planmäßige Fortschritt der Sanierung von Baustellen, als da sind die aus einer Insolvenz übernommenen Sky Märkte im Norden, das schweizerischen Reisebüro-Unternehmen Kuoni und die österreichischen Bipa Parfümeriekette. Bipas Verluste haben freilich nur Peanut-Dimension. Und als Innovations-Signal: Das unvermindert starke Engagement im Online-Handel. Mit dem neuen, im September 2018 eröffneten Food Fulfillment-Center 2.0 in Köln-Niehl, ausgestattet mit modernster Kommissionier-Robotik, einer Referenzinstallation des österreichischen Lagerlogistik-Spezialist Knapp.
Keine neuen Auslandsmärkte
Monsieur Lionel bäckt für die Rewe auch bei der Expansion kleine Brötchen. Jour-Gebäck sozusagen. Zwei Drittel des Investitionsvolumens 2019 in Höhe von rund zwei Milliarden € (praktisch zur Gänze aus dem Cash Flow finanziert) wird in Deutschland investiert, das restliche Drittel in den Ländern der Rewe International und in Litauen, wo die Rewe gemeinsam mit Leclerc die Supermarktkette Iki betreibt. „Wir konzentrieren uns voll auf die Auslandsmärkte, in denen wir heute präsent sind. Wir haben nicht die Absicht, neue Länder zu erschließen“, betont Souque. So wie bei Billa in Österreich steht auch bei Rewe in Deutschland das Grading up bestehender Standorte im Vordergrund. Das Programm dazu nennt sich „Rewe 2020“, hat seinen Fokus im „Marktplatz der Frische“. Nicht weniger als 60% der Ladenfläche ist den Frischwaren gewidmet. Penny profiliert sich in Deutschland, Österreich und Italien gegenüber Lidl und Aldi als Nachbarschafts-Discounter mit viel Bio und viel Convenience.
Die größte Marktanteilsverschiebung im deutschen LEH kündigt sich mit dem bevorstehenden Eigentümerwechsel bei den Real Verbrauchermärkten an. Aber weil Metro-Chef Olaf Koch nur den Verkauf größerer Filialpakete anstrebt, setzt Souque auf Abwarten. “Wir sind gegebenenfalls nur an ein paar einzelnen Real-Standorten interessiert“. Weil die Metro das ablehnt, gibt es auch momentan keine Verhandlungen.
Überraschung: Rewe beliefert Karstadt und Kaufhof
Von retailreport.at befragt, wie sich die Zusammenarbeit der Rewe mit den Lebensmittelabteilungen der neuformierten Warenhausgruppe Galeria Karstadt Kauhof entwickle, wartete Souque mit einer Sensation auf: Im Spätherbst 2018, wenige Wochen vor dem Abschluss des Joint Ventures zwischen Karstadt und Kaufhof unter der Regie von René Benkos Signa habe die Rewe mit Kaufhof eine umfassende Kooperation betreffend das Lebensmittelgeschäft vereinbart. Weil die Rewe schon seit Jahren mit dem Format Perfetto Food-Abteilungen in Karstadt-Häusern betreibt, sind damit die Weichen für eine umfassende Kooperation zwischen der Rewe und den neuen Signa-Warenhaus-Joint Venture im Lebensmittelgeschäft gestellt. „Wir kennen uns ja schon gut von früher“, mit dieser Bemerkung spielte Souque auf den Umstand an, dass Dr. Stephan Fanderl, Sohn einer Edeka-Kaufleute-Dynastie aus Ingolstadt und heute Herr über Galeria Karstadt Kaufhof, in den Jahren 2001 bis 2007 in Rewe-Diensten stand und nach sechsjähriger Tätigkeit für die damalige Eurobilla kurzzeitig auch dem Vorstand in Köln angehörte. Fanderls Chef, Dr. Dieter Berninghaus, der von Zürich aus die Signal Retail Gruppe leitet, gehörte einst sogar als „Kronprinz“ (weil designierter Reischl-Nachfolger) dem Rewe Vorstand an, ehe er später über Denner-Migros zu Benkos Signa wechselte.
Ein kurzer Lokalaugenschein in der Delikatessenabteilung des Kaufhof-Flagship-Hauses in der Kölner Innenstadt ergab, dass österreichische Produzenten wie Julius Meinl, Kärntner Milch oder Staud dort gut vertreten sind. Momentaufnahme: Eine Kundin an der Käsetheke entschied sich für Mölltaler Bergkäse, wahrscheinlich deshalb, weil sie, wie sie berichtete, am Millstätter See schöne Urlaube verbrachte. Insgesamt ist jedenfalls für Dependancen des „Feinkostladens Österreich“ in den Signa-Warenhäusern, zu denen neben den Karstadt- und Kaufhof-Betrieben auch Premium-Einkaufstempel wie das Berliner KaDeWe oder das Carsch-Haus in Düsseldorf zählen, viel Potential vorhanden. Ein Potential, das gemeinsam mit der Benko-Truppe zu erschließen, gerade der Rewe-Konzern mit seiner Österreich-Affinität berufen wäre.
Was steckt hinter dem Bereich „Handel International“?
Ein für die österreichische Handelszene wichtiger organisatorischer Schritt ist die Schaffung der beiden Bereiche „Handel Deutschland“ (von Souque geleitet) und „Handel International“. Letztgenannter Bereich fällt in das Ressort von Jan Kunath, dem stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden der Rewe Group, der daneben auch noch für den gesamten Digitalbereich, vom E-Commerce bis zu den IT-Plattformen (Rewe Systems) verantwortlich zeichnet. Mit der Organisationseinheit „Bereich“ werden das Supermarkt- und das Discountgeschäft in Deutschland und im Ausland jeweils zusammengefasst. In Köln führt Souque Regie über die Rewe- und die Penny-Märkte in Deutschland.
In Wiener Neudorf, der “Auslandszentrale“, wie es im Rewe-Jargon heißt, sitzt der sechsköpfige Vorstand der Rewe International AG (RIAG) und steuert den Bereich „Handel International“. Das Team, zu dem per 1. April Jan-Peer Brennecke als neuer „Bereichsleiter Ware“ (=Einkaufschef) stieß, berichtet an Kunath und managt die Handelsfirmen Billa (in Österreich sowie in Bulgarien, Russland, Slowakei, Tschechien und Ukraine), Merkur (nur in Österreich), Bipa (Österreich und Kroatien), Adeg AG (Großhandel für Adeg Kaufleute und „Billa unterwegs“- Tankstellenshops sowie AGM) aber auch alle Penny Märkte außerhalb Deutschlands (Tschechien, Italien, Österreich, Ungarn und Rumänien). Mit einem Umsatz von 17,6 Mrd. € trägt das Auslandsgeschäft der Rewe in den genannten zehn Ländern 31,6% zum Food-Geschäft des Konzerns bei.
Jan Kunath über die Selbstständigkeit von Wiener Neudorf
Wie selbstständig ist der „Handel International“ -Einkauf in Wiener Neudorf oder, andersrum gefragt, wie stark ist der Einfluss von Köln auf die Geschäftsbeziehungen der Auslandstochter mit den nationalen und internationalen Lieferanten? Beim anschließenden Lunch gewährte Jan Kunath dem retailreport.at ein aufschlussreiches „Privatissimum“ zu dieser Frage, die alle heimischen Markenartikler bewegt. Kunaths Kernaussage: Das Warengeschäft in Österreich genießt ein Höchstmaß an Unabhängigkeit gegenüber der Kölner Konzernzentrale. Warum? „Weil der österreichische Markt seine ausgeprägten Eigenheiten hat, wie beispielsweise den in Vergleich zu Deutschland viel höheren Aktionsanteil.“
Zweiter zentraler Strategieansatz: Dieser hohe Grad an „Autonomie“ der Auslandstochter schließt eine noch engere Kooperation mit der deutschen Mutter nicht aus. Im Gegenteil: Für die Außenwelt nicht immer erkennbar, werden intern durch Erfahrungsaustausch und Bündelung der Kräfte viele Synergien gehoben. Kunath schränkt ein:“ Fragwürdig sind solche Synergien, wenn sie zulasten des Endverbrauchers gehen. Das wollen wir strikt vermeiden“.
Verstärkte interne Kooperation ist ganz besonders im Bereich des Eigenmarken-Sourcing gefragt. Aktuelles Vorzeige-Projekt ist das neue Energy Drink-Private Label Maximal G, als Preiseinstiegs-Alternative zu Red Bull konzipiert. Der Drink wird großteils in Ungarn erzeugt und sowohl über die Vollsortiments-Formate (Rewe bzw. Billa) als auch über Penny europaweit vertrieben. Im Eigenmarken-Geschäft kommt es auch zu internationalen Ausschreibungen, oft aber entscheiden die Logistikkosten, ob zentral an einer Stelle oder in mehreren Ländern produziert wird. Bei der Produktion von Frische- Bio- und Convenience-Eigenmarken haben die Orientierung am lokalen Konsumenten und, daraus resultierend, die Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft des betreffenden Landes eindeutig Vorrang. Köln wäre ja auch schlecht beraten, würde man beispielsweise in ein Österreich-typisches Erfolgsmodell wie Ja!Natürlich ändernd eingreifen.
Österreicher haben freie Hand bei Adeg/AGM
Weitgehend freie Hand hat Wiener Neudorf auch bei anderen „Austriaca“. So sieht Kunath keinen Anlass, in die strategische Ausrichtung der Adeg AG und deren Tochterfirma AGM einzugreifen. Die Adeg AG stehe jetzt finanziell gut da, die Zusammenarbeit mit den Adeg Kaufleuten und dem Ländle-Großkaufmann Suterlüty, von dem Kunath schwärmt, entspricht voll der genossenschaftlichen Ausrichtung der Kölner. Mit Blick auf die internationale Markenartikelindustrie ist der Reformkurs bei Bipa ein Thema, dem auch die Konzernmutter einige Bedeutung beimisst. Kursierenden Gerüchte, wonach Bipa zum Verkauf stünde, erteilt Kunath in verklausulierter Form eine Absage: “Ein solcher Schritt würde uns bei Firmen wie L’Oreál sicher schaden“. Dass eine Rewe, im Wettbewerb mit der Schwarz Gruppe, den beiden Aldis und Edeka, gegenüber der internationalen Markenartikelindustrie alle Register zieht, versteht sich von selbst. Die Lieferanten haben sich längst darauf eingestellt, dass sie es mit einem Rewe-Einkauf auf vier Ebenen zu tun haben:
- Einkauf auf Landes-Ebene, wie beispielsweise in Tschechien, wo Billa und Penny mit marktstarken Ladennetzen vertreten sind.
- Einkauf der RIAG in der Auslandszentrale Wiener Neudorf
- Einkauf in der Konzernzentrale Köln, wo Lionel Souque die Ressortverantwortung hat und
- Konditionsverhandlungen der Eurelec in Brüssel, als Joint Venture mit Leclerc.
Und zum Abschluss noch eine gute Nachricht: Die Rewe zeigt volles Verständnis dafür, dass die Produzenten für ihre Marken von Land zu Land unterschiedliche Preise und Konditionen festlegen. Ein Prinzip „Equal Price“, wie es von Österreichs Spar vertreten wird, sei für die Rewe nicht vorstellbar, betonte Kunath. „Weil die Rahmenbedingungen für die Lieferanten von Land zu Land unterschiedlich sind“.