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Das relativ neue Amazon Verteilzentrum in Wien Liesing

Online-Handel: der Damm ist gebrochen

War man zu Beginn der Pandemie noch zurückhaltend, so ist jetzt klar: alles kann und wird über online bestellt. Die Onlinehändler strecken ihre Fühler weiter aus.

In der aktuellen Jahresbilanz des Einzelhandels für 2021 der Sparte Handel in der WKO steht es schwarz auf weiß: Online in Österreich hat 2020 massiv zugelegt (+18,4%) und sich 2021 eingependelt (+1,1%). Der ausländische Online-Handel boomt nach wie vor stark.

Auch RegioData Research bestätigt in einer Umfrage, dass die Online-Umsätze in Österreich massiv zugelegt haben: Jeder Österreicher kauft im Jahr um durchschnittlich 1.350 € im Internet ein – um 14 % mehr als noch vor einem Jahr. Doch das Einkaufsverhalten im Netz unterliegt aktuell einem sich rasch wandelnden Prozess.
Bekleidung und Elektronik sind die Online-Kassenschlager

Online werden ganze 260 € für Bekleidung und 250 € für Elektro- und Elektronikgeräte ausgegeben, sagt RegioData Research. Diese mittelfristigen Bedarfsgüter wandern demnach bereits zu 30 bis 40 % ins Netz. Eine stark steigende Entwicklung lässt sich auch rund um Besorgungen des lang- und kurzfristigen Bedarfs verzeichnen. So belaufen sich die Online-Ausgaben für Möbel auf rund 120 €, gefolgt von den Lebensmittelausgaben mit durchschnittlichen 80 €, wobei letzterer Anstieg größtenteils auf die Pandemie zurückzuführen ist.

Österreich im europäischen Spitzenfeld

Im internationalen Vergleich siedelt sich Österreich mit aktuell etwa 17 % Onlineanteil aller Ausgaben der privaten Haushalte direkt im mittleren Spitzenfeld an. Europaweit positioniert sich nur Großbritannien mit 27 % deutlich darüber, während Deutschland und Dänemark lediglich um ein Quäntchen höher als Österreich liegen. 

Konzentrationsprozess im Internet gestoppt

Die letzten Jahre waren durch steigende Marktanteile der „Big Three“ - Amazon, Otto und Zalando - geprägt. Zuletzt gaben die Österreicher 34 % aller Onlineausgaben bei einem dieser drei Unternehmen (inkl. Amazon Marketplace) aus. Aktuell steigen die Umsätze zwar immer noch, doch nicht mehr ganz so rasch wie der Markt selbst. Die Gründe: Einerseits entstehen viele spezialisierte Anbieter und virtuelle Marktplätze, andererseits greifen die Österreicher mittlerweile auch online etwas mehr auf lokale Anbieter zurück.

Auch im Internet gibt es ein Ladensterben

Die Zahl der Onlineshops, die für Österreicher relevant sind, legt stetig zu und befindet sich momentan bei knapp 9000. Davon kann jedoch nur ein geringer Teil Umsätze erwirtschaften, die den Aufwand für den Betrieb, das Marketing und die dahinter stehende Logistik decken. Schätzungsweise nur 350 Shops können die 1-Million-Euro Marke umsatztechnisch tatsächlich knacken. Dies hat zur Folge, dass viele Shops nach kurzer Zeit nicht mehr aktiv gepflegt.

Retouren kosten Geld

Eine EHI-Studie sieht auch in den Retouren einen enormen Kostenfaktor und hat diese aufgeschlüsselt. Als größte Kostentreiber im Retourengeschäft beurteilen nahezu zwei Drittel der befragten Online-Händler (65 %) der befragten Onlinehändler die Prüfung, Sichtung und Qualitätskontrolle der Artikel. 49 % bewerten die Versand- bzw. Porto- und Transportkosten der retournierten Artikel als entscheidende Kostentreiber. Einen nicht zu unterschätzenden Kostenblock bilden auch alle physischen Prozesse, die mit der Rücknahme von Retouren verbunden sind. Hierzu zählen Annahme, Vereinnahmung und Identifikation (46 %), Aufbereitung, Reinigung und Reparatur (38 %) sowie die Wiedereinlagerung der Artikel (32 %).
Der Wertverlust von Artikeln, die nicht mehr als A-Ware weiterverkauft werden können, stellt für immerhin 39 % einen gravierenden Kostenfaktor dar. In einem Fall wurde auch die Vernichtung von nicht mehr verwendbarer Ware genannt, dies dürfte gerade für Artikel mit begrenzter Haltbarkeit eine wichtige Rolle spielen.

Sidestep: 22-Euro-Grenze bringt Steuereinnahmen

Seit 1. Juli 2021 fallen auch Paketsendungen aus Drittstaaten, deren Wert unter 22 Euro liegt, unter die Einfuhrumsatzsteuer. Seither ist das Paketvolumen aus Drittstaaten, insbesondere aus China, um rund 50 % zurückgegangen. Die Zahl der Pakete aus Asien hat sich in Österreich innerhalb von nur 3 Monaten halbiert, die steuerlichen Mehreinnahmen liegen bei etwa 35 Mio. Euro im Jahr 2021.

Marktplätze und ihre Zukunft

Der „Erfinder“ des virtueller Marktplatzes, Amazon, verbucht 12 % aller Onlineumsätze der Österreicher, sagt RegioData Research. Viele andere ziehen nach, doch Amazon geht konsequent auf die Hersteller, ihre Bedürfnisse und ihre Größe ein. Über 2000 österreichische KMU haben im Jahr 2020 mehr als 15 Millionen Produkte über Amazon verkauft. Das ist mehr als die Hälfte der in den Online-Shops verkauften Produkte. Ihr durchschnittlicher Jahresumsatz betrug 250.000 Euro, zudem haben 2020 25 KMU aus Österreich erstmals die Umsatzmarke von 1 Million Euro geknackt. 

Das jüngste Angebot richtet sich an Start-Ups  - auch aus Österreich – die nachhaltige Produkte launchen. Amazon und das European Institute of Innovation and Technology (EIT) Climate-KIC, Europas führende Initiative für klimafreundliche Innovationen, starten das Amazon Launchpad Sustainability Accelerator. Es handelt sich dabei um ein zwölfwöchiges, maßgeschneidertes Programm für innovative Start-ups, die nachhaltige Produkte entwickeln und schnell wachsen möchten. Das Programm eignet sich vor allem für junge Start-ups, die eigene Produkte herstellen und es Menschen erleichtern, ein nachhaltiges Leben zu führen. Die Gründer sollten ihre Waren online verkaufen wollen – und beim Aufbau ihres Geschäfts stets dessen Umweltauswirkungen berücksichtigen.

Teilnehmende erhalten nach erfolgreicher Bewerbung Sach- und Geldleistungen im Wert von umgerechnet mehreren zehntausend Euro. Bewerbungen für den Amazon Launchpad Sustainability Accelerator sind ab sofort möglich. Die Bewerbungsfrist endet am 25. März 2022.

Auch bei sich selbst setzt Amazon in der Nachhaltigkeit massiv an: Plastikverpackungen soll es bei Amazon künftig so gut wie nicht mehr geben, weder im eigenen Geschäft von amazon noch bei den über Amazon versendeten Produkten anderer Händler. Künftig sollen kleinere Lieferungen in Versandtaschen und -tüten auf Papierbasis geliefert werden, nur noch größere Artikel in Kartons aus Wellpappe. Amazon verfolgt in der Initiative „Climate Pledge“ zahlreiche Maßnahmen zu Nachhaltigkeit.

Alternativen zum Onlinehandel: Frachtgeschäft

Schon lange hat sich Amazon weltweit um andere Geschäftsbereiche umgesehen und ist darin erfolgreich. Dispo.cc und das Handelsblatt berichtete vor Kurzem, dass Amazon nun auch ins Frachtgeschäft einsteigen will. Amazon baut derzeit unter dem Namen „Amazon Global Logistics“ – kurz AGL – ein neues Geschäftsfeld auf. Damit will der weltgrößte Onlineversender für die unabhängigen Händler auf seinem Marktplatz zunehmend den weltweiten Transport der Waren übernehmen. 
Bisher war die Warenbeförderung bis in die regionalen Verteilzentren fast ausschließlich den Händlern und deren Spediteuren überlassen. Das soll nun AGL übernehmen. Amazon nutzt dazu freie Kapazitäten auf Containerschiffen und Frachtflugzeugen, die sie schließlich Importeuren zur Verfügung stellt.
Hier nutzt Amazon den Umstand der erheblich gestiegenen 
Frachtraten für Container: „Die von den Speditionen aufgerufenen Preise unterbietet Amazon massiv“, berichtet die Zollexpertin und Wirtschaftsjuristin Francine Dammholz.
Mit dieser Niedrigpreispolitik könnte AGL zur ernsthaften Konkurrenz für Frachtdienste und Speditionen werden, weil sich Amazon damit rasch Marktanteile sichern wird. Für die Marketplace-Händler stellt das eine zusätzliche Dienstleistung dar. Amazon positioniert sich damit als End-to-End-Logistiker.

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geschrieben am

18.02.2022