Der Praxisbezug wird bleiben
Autorin: Michaela Schellner
retailreport.at: Herr Wlömert, Sie haben mit Jahresbeginn die Leitung des Instituts für Handel und Marketing an der WU Wien von Peter Schnedlitz übernommen. Wie haben Sie die ersten Monate in der neuen Funktion erlebt?
Nils Wlömert: Der Start in einer neuen Position ist naturgemäß mit einigen Herausforderungen verbunden. Insgesamt kann ich aber sagen, dass ich die Erfahrungen in den unterschiedlichen Bereichen in den ersten vier Monaten sehr positiv beurteile. Als Nachfolger von Prof. Schnedlitz habe ich das Glück, dass ich ein Institut mit einem sehr etablierten und beliebten Lehrprogramm übernehme und mit einer sehr guten Vernetzung in die Praxis. Dass somit nicht alle Prozesse neu gedacht werden müssen, ist ein großer Vorteil. So bleibt genügend Raum erfolgreiche Elemente beizubehalten und Veränderungen nach und nach einfließen zu lassen.
Eine Veränderung ist ja schon nach außen hin sichtbar, denn das Institut wurde neu ausgerichtet und trägt nun den Namen Institut für Retailing & Data Science. Welche Schwerpunkte wollen Sie verbunden damit konkret setzen?
Der Handel wird inhaltlich nach wie vor eine übergeordnete Bedeutung haben, was wir im Namen des Instituts mit dem Begriff Retailing auch deutlich unterstreichen. Mit Data Science gibt es eine Ergänzung in der Bezeichnung, mit der wir dem Marktrend zu Big Data und Personalisierung folgen, der den Handel immer stärker beeinflusst. Unternehmen sammeln beispielsweise über Kundenkarten oder andere Kundebindungsprogramme sehr große Datenmengen über das Kundenverhalten und diese Daten ermöglichen im Rahmen von datengesteuerten Marketingstrategien eine gezieltere Kundenansprache. Hier wollen wir ansetzen und Data Science Methoden aus einer Managementperspektive in der Lehre und Forschung stärker implementieren, um das Institut als eine Kompetenzplattform in diesem Bereich zu etablieren. Unsere Forschung ist stark von praxisrelevanten Fragen geleitet und die Ergebnisse sollen letztlich Managern helfen, bessere Entscheidungen zu treffen.
Ein Asset des Instituts war bisher die gelebte Verbindung von Forschung, Lehre und Praxis. Werden Sie an diesem Kurs weiter festhalten?
Unbedingt. Ich möchte den Praxisbezug auf jeden Fall weiter ausbauen und zwar sowohl in der Lehre als auch in der Forschung. Mein Ziel ist es, gemeinsam mit Handels- und Industrieunternehmen langfristige Kooperation zu etablieren.
Welche Kooperationen könnten das sein?
In der Vergangenheit haben sich Forschungskooperationen sehr bewährt und wir werden auch an den etablierten Praxisdialogen festhalten. Diese Vortragsreihe ist ein gutes Beispiel für eine erfolgreiche Zusammenarbeit von Lehre und Praxis, denn während die Studierenden Informationen aus erster Hand erhalten, können sich die jeweiligen Unternehmen präsentieren und sich im besten Fall als attraktiver Arbeitgeber für die zukünftigen Absolventen positionieren. Ich würde mich sehr freuen, wenn das so bleibt. Außerdem können sich Unternehmen auch in Form von Datenkooperationen einbringen, denn es geht letztendlich wie bereits geschildert darum, die Schnittstelle zwischen Handel und Data Science abzubilden. Oftmals haben Forschungsfragen sowohl für die Wissenschaft, als auch für die Unternehmenspraxis Relevanz. Für uns ist es immer spannend neuste Methoden auf Basis realer Daten anzuwenden und unsere Kooperationspartner profitieren durch die Erkenntnisse, welche durch die Analysen erlangt werden.
Beim Thema Sammeln von Daten schrillen bei den Konsumenten oft die Alarmglocken - Stichwort Datenschutz. Sie beobachten die Branche ja bereits seit vielen Jahren. Sowohl das Rewe Multipartnerbonusprogramm jö Bonus Club, als auch Payback standen hier bereits in der Kritik.
Die Konsumenten wollen wissen, was mit ihren Daten geschieht und deswegen sind Offenheit und Transparenz im Zusammenhang damit so enorm wichtig. Ebenso, wie sich an die entsprechenden gesetzlichen Rahmenbedingungen zu halten. Grundsätzlich - und das habe ich in vielen Kooperationen erlebt - sind sich die Unternehmen dessen auch bewusst und befassen sich sehr intensiv mit der Frage, wie die Privatsphäre jedes Einzelnen bei gleichzeitig effizienter Nutzung der Daten geschützt werden kann. Das wichtigste ist wie schon erwähnt, mit dem Thema Datenschutz auch in der Kommunikation nach außen offen und transparent umzugehen. Wenn ich den Kunden sage und ihnen die Wahl lasse, wofür ich ihre Daten verwende, etwa um ihnen maßgeschneiderte Angebote zukommen lassen zu können, lässt sich zumeist schon sehr viel Skepsis ausräumen.
Wie groß war Ihre Skepsis als Marketingprofi, als sie vom Rebranding von Merkur zu Billa plus gehört haben?
Aus Effizienz- sowie Kosteneinsparungsgründen und als Reaktion auf die Marktdynamik mit Blick auf den Wettbewerb ist die Entscheidung natürlich nachvollziehbar. Wie erfolgreich man damit sein wird, wird stark davon abhängen, wie gut es gelingt, die Differenzierung zwischen Billa und Billa plus aufrechtzuerhalten. In der Vergangenheit hat man die Marken Merkur und Billa im Konzern nebeneinander geführt und voneinander abgegrenzt - auch in der Konsumentenansprache. Merkur hat sich mit seiner im Vergleich zu Billa hochwertigeren Positionierung an eine andere - auch kaufkräftigere - Zielgruppe gerichtet. Wenn diese Differenzierung jetzt verloren geht, dann beschneidet sich die Rewe in der Möglichkeit der Abschöpfung unterschiedlicher Zahlungsbereitschaften.
Wenn man sich die aktuellen Flugblätter ansieht, ist von Differenzierung - zumindest auf den ersten Blick - aber nicht so viel zu bemerken...
Ein Ziel der Markenfusion ist es ja gerade, Synergien zu erzielen. Somit ist es nicht überraschend, dass gerade in der Eröffnungsphase eine inhaltlich abgestimmte Kommunikationsstrategie gewählte wurde. Wichtig ist, dass die Differenzierung am POS, wie beispielsweise über das Sortiment und das Einkaufserlebnis, erhalten bleibt. Und danach sieht es aktuell aus.
Sie haben vorhin die Entwicklung der Konkurrenz angesprochen. Erstmals seit Jahren gab es im Vorjahr einen Wechsel an der Spitze im Lebensmittelhandel. Worauf führen Sie diesen zurück?
Die Spar-Gruppe hat im Vorjahr zum einen sicherlich von ihrer Standort- und Vertriebstypenstruktur profitiert. Die Konsumenten haben verstärkt auf One-Stop Shopping beim Vollsortimenter gesetzt, um ihre Kontakte beim Einkaufen zu reduzieren. Zum anderen ist der Fokus auf Wertschöpfung aus und in Österreich und das Investment in die Modernisierung der Standorte für ein besonders angenehmes Einkaufserlebnis bei den Konsumenten gut angekommen. Punkten konnte Spar zudem mit einer attraktiven Preis- und Aktionspolitik, einem regionalen Sortiment, einer großen Auswahl an Frischeprodukten sowie den Eigenmarken.
Die Händler unterstreichen immer, dass sie Ihren Kunden ein ganz besonderes Einkaufserlebnis bieten wollen. An welchen Schrauben muss hier Ihrer Meinung nach in Zukunft noch gedreht werden?
Das Einkaufserlebnis muss in Zukunft stärker ganzheitlich betrachtet werden. Es geht nicht mehr nur um moderne stationäre Läden auf dem neuesten Stand der Technik, sondern um die bestmögliche Verzahnung verschiedener Vertriebs- und Kommunikationskanäle im Sinne eines Omnichannel-Ansatzes, wie beispielsweise durch die Kombination lokaler Einkaufserlebnisse mit digitalen Promotionmaßnahmen. Hier gibt es noch viel Potenzial.
Überraschend war im Vorjahr auch die Tatsache, dass der Onlinehandel mit Lebensmitteln nicht so stark punkten konnte, wie angenommen - auch wenn alle in diesem Bereich tätigen Händler Steigerungen verzeichnen konnten. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Es stimmt, zu Beginn der Coronakrise hätte man gedacht, dass der Onlinehandel deutlich stärker profitieren würde. Aktuellen Marktdaten zufolge hat der Online-Anteil am FMCG-Markt 2020 im Vergleich zu 2019 nur von 2,3 Prozent auf 2,5 Prozent zugelegt. Zurückzuführen ist das unter anderem auf die hohe Filialdichte in Österreich und die wirksamen Hygienekonzepte der Händler.
Die Verzahnung von Online- und Offline Kanälen ist Teil unserer Forschungsagenda am Institut, um weitere Erkenntnisse für das Einkaufserlebnis auf allen Ebenen zu gewinnen. Da geht es darum herauszufinden, was stationär als Vorteil wahrgenommen wird und was online im LEH zusätzlich leisten kann. Gerade auf diesem Gebiet gibt es noch viele interessante Forschungsfragen, die sich für Forschungskooperationen anbieten.
Herr Wlömert, vielen Dank für das Gespräch.