Von Konflikt und Kooperation
Konflikte brodeln, Kooperationschancen bleiben ungenutzt. Angesichts einer sich abzeichnenden Umsatzflaute und wachsender Bedrohung durch globale Digitalmonster wäre es hoch an der Zeit, den Dialog zu versachlichen und Win/Win-Potentiale kooperativ zu heben. Das meint Mag. Günter Thumser, Geschäftsführer des österreichischen Verbandes der Markenartikelindustrie im Gespräch mit retailreport.at.
Kann der Geschäftsführer des MAV den häufig geäußerten Vorwurf entkräften, internationale Markenartikelunternehmen, denen wir Medienleute gerne das Kürzel „Marken-Multis“ verpassen, hätten in den letzten Jahren und Jahrzehnten massiv Marketingkompetenz von ihren Österreich Töchtern abgezogen und diese in D-A-CH-Headquarters verlagert? Thumser differenziert: Bei Konzernen, die ihren Stammsitz außerhalb Europas haben, sei diese Tendenz wohl zu beobachten. “Weil sie aus ihrer globalen Position heraus in größeren Regionen denken.“ Auf europäische und insbesondere deutsche Markenartikler aber treffe dieses Urteil gewiss nicht zu. Für viele habe ein Österreich-spezifisches Marketing einen hohen strategischen Stellenwert. Denn “typisch für diesen Markt ist der überproportional hoher Anteil des Premium-Segments. Er lässt sich intensiv bearbeiten und eignet sich auch als Testmarkt für Innovationen“.
Ein gravierender Nachteil seien die viel zu hohen Medienkosten mitsamt der Werbesteuer. “Wenn sie auf den Preis für eine Sekunde ORF-TV-Werbung blicken, kommen Medienplanern in Deutschland die Tränen“. Ausgeprägte Unterschiede zwischen Österreich und anderen europäischen Ländern bestünden beim Lebensmittel-Konsum. Forschung und Entwicklung, die für einen Markenartikler von entscheidender strategischer Bedeutung sind, müssten sich, wenn sie erfolgreich sein wollen, auf die Spezifika der österreichischen Esskultur einstellen. „Bei Kosmetika sind die Unterschiede nicht so relevant, ausgenommen sind die Düfte, denn da sind die landesspezifischen Präferenzen überraschend stark ausgeprägt.“ Älteren Semestern fällt da vielleicht die Zeile aus dem Lied der EAV vom „Märchenprinzen“ ein: „Eingehüllt in eine Wolke Pitralon…“.
Und dann gibt es noch den Sonderfall des „Marketingstandortes Salzburg“. Vor dem EU-Beitritt war die Festspielstadt beliebter Stützpunkt deutscher Markenartikler für den EFTA-Raum. Nach 1995 haben manche von Thumsers damaligen Branchenkollegen, dieses regionale Headquarter von Salzburg abgezogen. Vor der deutschen Wiedervereinigung geisterte durch manche Köpfe der Markt Österreich als „Verkaufsregion Nielsen 5“, heute müsste man, analog zu dieser Denke, von „Nielsen 8“ sprechen. Und von dieser „Vereinnahmung“ zur D-A-CH-Region ist es nur mehr ein kleiner Schritt.
Ein Must: Key Account-Betreuung für österreichische Handelszentralen
Rückzug der Marken-Multis aus Österreich? Das mag in punkto landesspezifisches Marketing da und dort zutreffen. Aber mit Sicherheit nicht im Vertriebsbereich, betont Thumser. „Es wird weiterhin nicht gespart bei der Handelsbetreuung in Österreich. Die intensive Key Account-Arbeit mit den österreichischen Kunden ist auch in einer D-A-CH-Organisation unerlässlich.“ Und Thumser lässt auch Kritik an der eigenen Kollegenschaft anklingen: “Die speziellen Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit den Vollsortimentern werden von manchen internationalen Markenartikelfirmen nur teilweise genutzt“. Gezieltes Shopper Marketing in Zusammenarbeit mit Supermarkt- und Nahversorger-Formaten wäre da wohl ein guter Ansatz.
Das Match zwischen Herstellermarken und Handelsmarken hat viele Facetten
Nennen wir das Kind beim Namen: Rewe und Spar kämpfen auf dem kleinen und engen rotweißroten Markt vehement nicht nur gegeneinander, sondern auch gegen den Vormarsch von Hofer und Lidl. Während die Aldi-Süd-Tochter im Markenartikelgeschäft mit Hauptmitbewerber Lidl gleichzieht, geben die Vollsortimenter, insbesondere Spar, aber auch Billa/Merkur, bei den Eigenmarken Gas. Zugleich legt man in Wiener Neudorf wie in Salzburg bei den Markenartikel-Preispromotions wieder einmal ein Schäuferl nach. Diese Konstellation treibt den Markenartikel-Verkäufern die Schweißperlen auf die Stirn, wenn sie zu Jahresgesprächen bei den Austro-Key Accounts antreten. In Industrie-Kreisen kursiert das Schlagwort vom „Industrie-Bashing“, das manche Handelsbosse betreiben würden. Diese wiederum bezichtigen manche multinationale Markenartikler des „Geo-Blocking“. Was kann der Markenartikelverband dazu beitragen, diesen Dauerkonflikt zu entschärfen und einen Klimawandel herbeizuführen?
Thumser setzt auf Diplomatie und Versachlichung. Nein, er sehe keinen direkten Zusammenhang zwischen dem Aktionitis-Hype bei den Vollsortimentern und den Markenartikel-Listungen von Hofer. Er begrüßt die Initiativen von Handelsverband und Nachhaltigkeitsministerium zur Vermeidung von Plastikmüll, fordert jedoch unbedingt ein Vorgehen mit dem nötigen Augenmass. Ein Thema, das übrigens die chemische Industrie weltweit mit Nachdruck angeht. „Alles, was die Vernunft fördert, kann nur richtig sein“, sagt der ex-Präsident von Henkel CEE und Henkel Europe. Er zeigt sogar in Ansätzen ein gewisses Verständnis für die Private Label-Begeistung im Tannenimperium. „Bei der Spar ist das Engagement für die Eigenmarke seit Jahrzehnten tief verwurzelt“. Will heißen: Es wäre wohl verlorene Liebesmüh, dem Spar-Management sein Faible für Eigenmarken ausreden zu wollen. Und er verkneift sich eine direkte Antwort auf den von Gerhard Drexel geäußerten Vorwurf, die Markenartikelindustrie würde hauptsächlich Line Extensions anstatt echter Innovationen auf den Markt bringen, weshalb Handelsmarken als Wachstumstreiber in die Bresche springen würden.
Das „Original“ blickt mit Mona Lisa-Lächeln auf die „Kopie“
Die indirekte, man kann auch sagen, ziemlich verklausulierte Antwort des Markenartikelverbandes und seiner Mitglieder auf die Challenge „Handelmarke“ wird in diesen Tagen auf Plakatwänden, in Inseraten und TV-Spots kundgetan. Die alljährliche Kampagne „Achten sie auf die Marke“ geht in die 23. Runde und bemüht Leonardo da Vincis Mona Lisa für die Vermittlung der Kernbotschaft, die da lautet: Die (ergänze: Hersteller-) Marke ist das Original. Teil Zwei der Message muss man sich dazu denken: Die Handelsmarke ist die Kopie. MAV-Kampagnen früherer Jahre haben sich da mehr aus der Deckung gewagt. Den Vormarsch der me too-Brands von Händlers Gnaden haben sie freilich nicht aufhalten können.
Jointly agreed Growth-Projekte sind jetzt gefragt
Die Pattstellung im Dauermatch zwischen Hersteller- und Handelsmarke sollte Industrie und Handel nicht davon abhalten, nach Kooperationsfeldern Ausschau zu halten, bei denen sich eine Win/Win-Chance auftut. Das seinerzeit von ECR Europe lancierte Projekt „Jointly agreed Growth“ drängt sich angesichts schwächelnder Konjunktur förmlich auf. Thumser: „Auf Industrieseite ist das Interesse, gemeinsam mit dem Handel Wachstumsimpulse zu setzen, ganz stark. Der Handel allerdings zieht es vor, solche Projekte im Alleingang mit einzelnen Industriefirmen voranzutreiben, er zeigt keine Bereitschaft, „Jointly Agreed Growth“ auf Plattformen wie ECR zu diskutieren.“ Unabdingbare Voraussetzung dafür, dass der Paarlauf zu mehr Umsatz über ein gedeihliches Marktwachstum gelingt, ist für den MAV-Chefdirigenten „ein fairer ökonomischer, strategischer und zukunftsorientierter Nutzen für beide Seiten.“
Der „Dash-Button“, ein Aufreger für den ex-Henkel-Manager?
Themenwechsel. Welche Assoziationen löst der von Amazon propagierte, gemeinsam mit Procter lancierte „Dash-Button“ beim ehemaligen Henkel-Topmanager aus? Mildes Lächeln, denn„diese Marke ist ja in Österreich nicht auf dem Markt“. Fangfrage elegant pariert. Aber das Problem hinter dem „Dash Button“ beschäftigt die Markenartikler weltweit. Wenn die künstliche Intelligenz der Roboter in den Smart Homes so programmiert wird, dass diese die Konsumgüter direkt und exklusiv bei einem bestimmten Hersteller einkaufen, dann läuft das auf die Ausschaltung des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs (zwischen den Herstellern ebenso wie zwischen den Einzelhändlern) hinaus. Längst beschäftigt daher das Modell „Dash Button“ die Kartellwächter auf internationaler Ebene. Thumser verweist auf die Parallelen zwischen dem intelligenten Waschmaschinen-Druckknopf und der vor wenigen Wochen präsentierten „Generation 7000“ der Miele Geschirrspüler. Das Gerät lässt sich über App und WLAN fernsteuern. Das eigens dafür entwickelte „Miele Powerdisk“ ersetzt den Monatsbedarf an Geschirrspül-Tabs. Der Wettbewerb zwischen Somat, Calgonit und Claro in den Regalen des Handels und im TV ist in diesem Fall wie weggespült.
Alexa, bist Du Markenartikel-affin?
Viel Unbill droht, nach Expertenansicht, den Markenartikel-Multis mit der Verbreitung von Voice Recognition-Systemen, wie sie Amazon zurzeit weltweit mit dem sprachgesteuerten Personal Assistent Echo und dem, mit selbstlernender Intelligenz ausgestatteten Sprechroboter Alexa lanciert. Alexa, so wird berichtet, tendiere dazu, Amazon-Eigenmarken zu empfehlen, wenn Kunden über Echo Angebote einholen. Thumser dazu: „Je mehr ein Produkt zur Commodity tendiert, desto größer ist die Bedrohungs-Gefahr für Marken durch den Online-Verkauf.“ Daher sei die Markenartikelindustrie gefordert, bei den Konsumenten die Awareness ihrer Marken sicherzustellen und die Loyalitäten zu pflegen. „Die digitalen Medien eröffnen dem Markenartikel ja auch die Chance, eine Nähe zum Konsumenten aufzubauen und zu leben, wie sie früher nicht möglich war.“
Allerdings trete das Risiko, dass Alexa einen Keil zwischen Marken und Konsumenten treiben könnte, hauptsächlich bei Gebrauchsgütern auf. Im FMCG-Bereich stelle der Online Handel speziell hierzulande wegen der großen Ladendichte weder für die stationären Händler noch für die Markenartikler eine gefährliche Konkurrenz dar. Auch mittelfristig werde der LEH-Marktanteil des reinen Onlinehandels sich auf einige wenige Prozentpunkte beschränken. Hingegen räumt Thumser den Multichannel-Systemen wie Click & Collect hervorragende Wachstumschancen ein.