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Ein glückliches Schwein, wird es davon in Zukunft noch viel mehr geben?

"Fair zum Tier" gibt Bauern Investitionssicherheit

Billa setzt Benchmarks im Tierwohl-Marketing mit der Fair zum Tier Offensive. Eine Analyse über den Tierwohl-Markt in Österreich, verfasst von Hanspeter Madlberger.

Billa setzt Benchmarks im Tierwohl-Marketing. Aktuell wandert laut zuverlässiger Experten-Einschätzung das Fleisch von nicht weniger als zwei Drittel  der heimischen Tierwohl-Schweine-Produktion über das Ladennetz der Rewe in die Einkaufswagen  Tierwohl-sensibler Konsumenten. Den Umsatzanteil von Tierwohl-Fleisch und  -Fleischzubereitungen wollen die Wiener Neudorfer in den nächsten Jahren rasant ausbauen. Voraussetzung dafür sind fünfjährige Lieferverträge mit Schweinebauern, die in die Tierwohl-Haltung investieren.
Bis zu 25.000 Schweine, die von der heimischen Landwirtschaft nach dem Standard TW 100 (100% mehr Stallfläche) erzeugt werden, wollen die Billa und Billa-Plus Filialen im ersten Jahr der soeben angelaufenen Fair zum Tier Initiative vermarkten. Dazu kommt  das Fleisch von rund 6000 bis 6500 Tierwohl-Rindern, wie sie von den steirischen Almo-Bauern geliefert werden.  Seit 12. Oktober verkaufen sämtliche Bedientheken von 40 Billa und 98 Billa-Plus Filialen in Wien, dem Burgenland, Niederösterreich und Oberösterreich ausschließlich Tierwohl-Fleisch von Schweinen, Rindern und Hühnern unter den Eigenmarken Fair zum Tier (konventionell produziert) und Ja! Natürlich (Bio Qualität).

Tierwohl-Wettlauf zwischen den Handelsriesen

Billas Fair zum Tier-Kampagne ist das Startsignal für einen Wettlauf zwischen Rewe, Spar, Hofer, Lidl und regional starken Händlern um mehrjährige Lieferverträge mit Landwirten, die ihre Ställe auf Tierwohl-Standard aus- und umbauen. Und dafür auf ihrem Hof 500.000 bis eine Million Euro investieren müssen. Allein die Verdoppelung der Stallfläche bei der Schweinemast (Standard TW 100) verschlingt erhebliche Summen. Weniger Geld müssen jene Bauern in die Hand nehmen, die sich für den Standard TW 60 (60% mehr Stallfläche) entscheiden. Auch der laufende Betrieb von Tierwohl-Ställen verursacht höhere Kosten, insbesondere einen vermehrten Arbeitseinsatz bei der Tierbetreuung  durch den Wegfall der Spaltenböden.

Solcherart sichern die Verträge mit fünfjähriger Laufzeit zwischen Tierwohl-Schweinebauern und Billa, die seitens des Landwirtes Exklusiv-Belieferung und seitens des Händlers eine Mindestpreis-Garantie und einen fixen Tierwohl-Aufschlag von 60 Cent/Kilo beinhalten, die ökonomische Machbarkeit dieses Quantensprungs in Richtung einer ökologischen Viehwirtschaft. "Fair zum Tier setzt das Bekenntnis: Fair zum Bauern voraus", meinte ein  hochrangiger Bauernvertreter bei der Medienpräsentation des Billa-Programms durch Simone Grossauer (Leiterin des Billa Fleischeinkaufs), Tanja Dietrich-Hübner (Bereichsleiterin Nachhaltigkeit der Rewe International AG) und Andreas Steidl (Leiter des Ja Natürlich-Qualitätsmanagements) im Billa-Plus Markt in Wien 10., Wienerbergstraße 27.

Großer Umbau der Billa Fleisch-Distribution

Organisatorisch bedeutet der Rollout der Tierwohl-Initiative für die zuständigen Billa-Teams eine Riesenherausforderung. Vor allem kommt es darauf an, bei der Distribution der neuen Fleischqualität den, wegen der hohen erforderlichen Investitionen nur langsam steigende Anlieferungsmengen Rechnung zu tragen. Zu diesem Zweck wurde das Liefergebiet in drei geographische Einheiten unterteilt, die stufenweise zugeschaltet werden und jeweils eigene Werbekampagnen fahren. Gebiet 1 umfasst Wien und Burgenland, Gebiet 2 die Bundesländer Nieder- und Oberösterreich, Gebiet 3 die restlichen Standorte im Westen und im Süden des Landes. In der ersten Phase sind die Rayons 1 und 2 am Zug, wobei Oberösterreich traditionell unter allen Bundesländern das größte Produktionsvolumen aufweist. 

Auch die Umstellung  der Sortimente erfolgt  nach einem Stufenplan. Das Angebot an Fair zum Tier-Artikeln (Rind, Schwein und Huhn) in der Bedien-Theke umfasst rund 50 Artikel, wobei die Auswahl saisonal variiert. Wie Grossauer auf Anfrage von retailreport.at mitteilte, kommen die Bedienungstheken von Billa und Billa-Plus für rund 15% des Frischfleisch-Umsatzes auf, 85% wird über SB-Kühlregale verkauft. Dort umfasst das Angebot an TW-SKUs 26 Artikel mit dem Fair zum Tier-Label und 73  Ja!Natürlich Artikel. Faschiertes ist ein umsatzstarker SB-Einzelartikel und wird in beiden Tierwohl-Klassen angeboten. Auch im Schinken- und Wurst-Bereich kommt Tierwohl-Fleisch verstärkt zum Einsatz. Teils über die Eigenproduktion, teils durch die Zusammenarbeit mit heimischen Produzenten. So liefert beispielsweise die Firma Berger eine Anzahl von Wurst- und Schinken-Produkten, die das Fair zum Tier-Label tragen. Auch die Umrüstung der Billa-Plus Ladengastronomie (Marktküchen) auf Menüs  mit Tierwohl-Fleisch will man in Angriff nehmen.

Tierwohl-Ware um 15 bis 20% teurer

Billas Preis- und Promotion-Strategie  für Tierwohl-Fleischwaren lässt sich unter das Motto "Fair zum Konsumenten" stellen. Gegenüber konventionellem Fleisch rechnet man bei Billa mit 25 bis 30% höheren Beschaffungskosten, im Verkauf ist die Ware um 15 bis 20% teurer. Andersrum: Ohne Spannenverzicht auf Seiten des Handels lässt sich in Inflationszeiten wie diesen teuer produziertes Qualitätsfleisch nicht verkaufen. Allein für die Kosten der Systemumstellung veranschlagt die Rewe einen Betrag von eineinhalb bis 2 Millionen Euro. Und bei den unverzichtbaren Preisaktionen auf allen Qualitätsstufen ist Augenmaß gefragt.

Billas Fair zum Tier-Initiative baut kommunikationstechnisch auf der Bekanntheit und dem Qualitäts-Image der Bio-Eigenmarke Ja!Natürlich auf, deren Qualitätskriterien ja die Erfüllung eines "Gold-Standards" in der artgerechten Nutztierhaltung mit einschließen. Weshalb Dietrich-Hübner als "Schirmherrin der Fair zum Tier-Initiative" auftritt und die Werbemaßnahmen für beide Initiativen eng miteinander verschränkt sind.

Erfreulicher Klimawandel in der Beziehung Landwirtschaft-Lebensmittelhandel

Last but not least eröffnet die Initiative ein neues, sehr erfreuliches Kapitel in der Wertschöpfungspartnerschaft zwischen dem Lebensmittelhandel und der Landwirtschaft in diesem Land. Während manche Markenartikel-Multis und manche Handelsriesen zurzeit einander in der Frage der Inflationsbekämpfung befetzen, macht der Fairness-Dialog zwischen Bauern und Kaufleuten hierzulande erstaunliche Fortschritte. Das Fair zum Tier-Programm kann durchaus als Vorzeigebeispiel für Efficient Consumer Response (ECR) betrachtet werden. Geht es doch darum, dem starken Wunsch der Konsumentenschaft, Lebensmittelmittel, die unter größtmöglicher Berücksichtigung des Tierwohls produziert werden, Rechnung zu tragen und dafür im Supermarkt leistbare Preise zu bezahlen. Qualität, Preis und Tierwohl, die drei Hauptanforderungen der Verbraucher beim Fleischeinkauf, werden gleichermaßen bedient. 

Ein "Green Deal", der ganz den Intentionen der ökosozialen Marktwirtschaft (Copyright: Josef Riegler) entspricht und den Finanzminister Magnus Brunner im Budget 2023 mit einer 80 Millionen Euro-Förderung der bäuerlichen Tierwohl-Investitionen unterstützt. Jetzt braucht nur noch die AMA aktiv zu werden und die überfälligen Kriterien für die Tierwohl-Zertifizierung  (Tierwohl-Modul im AMA Gütesiegel-Programm) festzulegen. Bis zum Jahresende 2022 soll es tatsächlich soweit sein, hofft Andreas Herrmann, Bereichsleiter des AMA Qualitätsmanagements.

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geschrieben am

14.10.2022