Fachmarkt-Zentren mit dem Hang zu Trash-Sortimenten
Bericht von Dr. Hanspeter Madlberger
Nicht nur in der Politik, auch in der Wirtschaft und speziell im Handel herrscht eine große Bandbreite, ein atemberaubender Niveau-Unterschied zwischen High End Quality und Superbillig-Trash. In der Politik ist es der demokratische Wettbewerb zwischen den Parteien, der nach Skandalen für die Selbstreinigung zu sorgen hat. In der Wirtschaft obliegt dieser Job dem Wettbewerb auf den Märkten. Welche Handelsformate den höheren Verbrauchernutzen stiften, darüber entscheidet der mündige Kunde. Die Kassa als Wahlurne.
Die Interessensvertreter unserer Branche in Wirtschaftskammer und Handelsverband tun sich naturgemäß schwer, strukturelle Fehlentwicklungen bei der eigenen Klientel aufzuzeigen oder gar anzuprangern. Zwei Veranstaltungen, die am Dienstag den 14. Mai über die Bühne gingen, machen dieses Dilemma deutlich. Vormittags analysierte das Beratungsunternehmen Standort +Markt im Handelsverband in der Wiener Alserstraße die Fachmarkt-Agglomerationen unter dem bezeichnenden Motto: “Trauriges, aber notwendiges Übel?“ Am Nachmittag ging am Campus der Fachhochschule Krems der niederösterreichische Handelstag in Szene. Wer erwartet hatte, die anwesenden Händler erhielten dort Schützenhilfe und fachlichen Rat zur Lösung ihres dringlichsten Problems, nämlich des ruinösen Verdrängungswettbewerbs, den ihnen eine Armada von Lebensmittel- und Nonfood-Discountern mit ihrem Wildwuchs auf der Grünen Wiese bereitet, wurde bitter enttäuscht. Serviert wurde in Krems, übrigens nicht zum ersten Mal, Digital Junk Food aus der Konserve. Empfehlungen für Werbeauftritte in Facebook oder Entscheidungshilfen, ob man als Händler (!) in der Zusammenarbeit mit Amazon bessere Chancen als Vendor (Marktplatz-Mieter) oder als Seller (Lieferant) hat. Themen, deren Relevanz für die anwesenden niederösterreichischen Kaufleute wohl in Richtung Null tendiert.
Fachmarkt-Wildwuchs bedroht Mittelstand
Bei näherer Betrachtung haben Online-Handel und Fachmarkt-Wildwuchs am Kreisverkehr viel gemeinsam. Ja, sie verzahnen sich auf spektakuläre Weise zu einem Bedrohungsszenario für den mittelständischen Einzelhandel: Beide Marktplätze sorgen für Überkapazitäten und in der Folge für sinkende Flächenproduktivität im stationären Handel. Beide begünstigen den Diskont und damit den Verdrängungswettbewerb zulasten des KMU-Einzelhandels. Mit ihren Sortimenten tragen sie zu steigenden Absätzen von Konsumgüter-Trash und in der Folge zu wachsenden Müllbergen in den Haushalten bei. Und beide bewirken sie anschwellendes Wachstum globaler Nonfood-Warenflüsse aus Asien nach Europa, die den Klimawandel befeuern.
Es ist das Verdienst der Badener Consultingfirma Standort + Markt (S+M), Ursachen und Folgen des typisch österreichischen Phänomens der Fachmarkt-Agglomerationen mit Fakten zu dokumentieren: Unter diesem Begriff subsumiert S+M die gewachsenen, also nicht einheitlich geplanten Fachmarktgebiete (FMG) (mindestens 4 Betriebe mit zusammen mindestens 4000 m2 Verkaufsfläche) und die einheitlich geplanten Retail Parks (Fachmarktzentren/FMZ) mit zumindest fünf Fachmärkten und einer Verkaufsfläche von insgesamt mindestens 4000m2 .
Die Key-Findings der Studie:
- Trotz wachsendem Onlinehandel sind die Anzahl und die Gesamtverkaufsflächeder Fachmarktzentren (inklusive Retail Parks) im Erhebungszeitraum 2018/2019 gegenüber 2016/2017 gestiegen. Die Anzahl dieser Ladenzeilen und Mini-Zentren erhöhte sich auf 264. Bei knapp 26 Shops pro FMZ ergibt das rund 6800 agglomerierte Fachmärkte. Während zuletzt die Verkaufsfläche des gesamten LH schrumpfte, legten die Fachmarkt-Agglomerationen in den vergangenen zwei Jahren um ca 100.000m2 auf 5,3 Mio m2 zu, seit 2000 hat sich diese Fläche verdoppelt!
- Das Umsatzvolumen der FMA liegt aktuell bei über 15 Milliarden €. Davon entfallen ca. 12,5 Mrd. auf wild gewachsene FMG und nur 2,5 Mrd. auf die geplanten, nach Art von Shopping Centers gemanagten Retail Parks. Daraus resultiert ein EH-Marktanteil der FMG/FMZ - gemessen an der einzelhandelsrelevanten Kaufkraft - von 25,5 %. Im Klartext: Jeder vierte Euro, den Österreichs Verbraucher im Einzelhandel ausgeben, landet in den Kassen der Läden in den FMA. Den höchsten Marktanteil im EH erreichen die Fachmarkt-Ballungen im Burgenland mit ca. 40%, gefolgt von Kärnten (35%). Das stärkste Wachstum verzeichnet Salzburg, wo der Marktanteil seit 2008 von rund 15% auf rund 28% gestiegen ist. Der geringste Fachmarkt-Wildwuchs ist in naturgemäß in Wien (knapp über 10%) zu beobachten. Auch Vorarlberg liegt mit rund 15% deutlich unter dem Bundesländer-Schnitt.
- Da die Shops in den FMZ praktisch ausschließlich von (Groß-)Filialisten betrieben werden, korreliert bei stagnierendem Gesamtmarkt ihr wachsender Umsatz mit den Verkaufsflächen-Rückgang und den Marktanteilsverlusten des nicht filialisierten KMU-Fach-Einzelhandels.
- Die Big Boxes der Discount-Multis verdrängen den klassischen Fachhandel in Familienbesitz.
- Der Branchenmix der FMZ hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Läden für den Kurzfristbedarf (Lebensmittel und Drogerieartikel) legten deutlich zu, die Flächenanteile von Möbel- und Baumärkten gingen markant zurück. Obwohl sie nur 17% der Fläche belegen, erreichen Lebensmittel- und Drogeriemärkte (LEH und DFH) einen Umsatz von 6,4 Mrd. € und tragen damit 42% zum FMZ-Gesamtumsatz bei.
FMZ: Meeting Point der Hofer-Anhänger
Fachmarkt-Zentren und der Lebensmittel-Discounter Hofer bilden eine kongeniale Symbiose. Der Food-Discount zieht als Frequenzbringer magisch den Nonfood-Discount an, insbesondere Newcomer, die vom Ausland kommend, ihr Ladennetz auf Österreich ausdehnen. Dritter Treiber der FMZ-Wachstums sind die Drogeriemärkte, allen voran dm. Die fünf Filialisten, die mit ihren Shops die FMZ-Szene am intensivsten bespielen, sind Hofer, vor kik Textildiskont, dm, Billa und Bipa. Und sie alle haben in den letzten zehn Jahren die Anzahl ihrer Läden in den FMZ spektakulär gesteigert. Hofer legte in diesem Dezennium von 145 auf 199 Standorte zu, kik von 114 auf 154, dm von 111 auf 149, Billa von 57 auf 125, Bipa von 57 auf 113. Dass die Rewe, zusammen mit Hofer in ihrer Standortpolitik stärker auf die Fachmarktzentren setzt, als Hauptmitbewerber Spar, hängt wohl damit zusammen, dass eine Expansion über FMZ für die Tannenorganisation mit ihren Kaufleute und deren traditionellen Standorten im ländlichen Raum sowie mit den Großflächen in den eigenen SES Shopping Centers nur zweite oder dritte Wahl ist.
Wie die S+M Studie ausführt, sind die niedrigen Investitions-, Personal-, Werbe- und Betriebskosten ein wesentliches Motiv der Lebensmittel-, Drogerie- und Nonfood-Discounter für die Standortentscheidung zugunsten der Fachmarkt-Agglomerationen. In den suburbanen Randzonen von Mittelstädten - euphemistisch als zeitgemäße Variante der Nahversorgung interpretiert - verfolgen die Discounter eine Low Cost-Politik, indem sie SB-Präsentation auf der Fläche statt Bedienung durch Personal als zentrales Verkaufsförderungstool einsetzen.
Nonfood-Discounter Action: Ein Kurzporträt
Herausragender Newcomer der heimischen FMZ-Shop-Community ist der niederländische Nonfood-Discounter Action. 1993 in den Niederlanden gegründet, verfügt das Unternehmen 2019 bereits über rund 1200 Filialen in Westeuropa (insbesondere in NL, B, D, F, A) , jeweils mit einer Durchschnittsfläche von 1000m2 und erreichte 2018 einen Umsatz von 4,2 Mrd. €. Seit 2015 ist Action hierzulande präsent (1. Filiale wurde in Kittsee eröffnet). Das Ladennetz in Österreich umfasst aktuell 45 Standorte. „Wir gehen bevorzugt in B- und C-Lagen“ erklärte Action-Expansionschef Martin Pesendorfer diese Woche bei der MMM-Fachtagung, veranstaltet vom „Gewinn“.
Fachmarkt-Agglomerationen, ein trauriges Übel?
Die Action-Sortimentspolitik ist charakteristisch für den FMZ-Händler-Convoi, der den Billigen-Jakob(s)-Weg beschreitet. 2/3 des Action-Sortiments rotieren ständig, ein Drittel ist ganzjährig im Angebot. 65% der Produkte kosten weniger als 2 €, 25% zwischen 2 und fünf €. Extrem billige Kleinpreisartikel und die ständige Überraschung des Kunden durch das laufende Angebot neuer Produkte, das sind die beiden Erfolgsprinzipien der Action-Strategie. Trotz des Namens sind „Aktionen“, also Preispromotions nicht angesagt. Jeder Artikel hat seinen fixen Preis. 90% des Sortiments werden international gesourct und europaweit angeboten. Action kooperiert weltweit mit 350 Markenartikelfirmen und unterhält ein Sortiment von 65 europaweit einheitlichen Eigenmarken. Typisch für die Action-Transportlogistik ist der Fuhrpark, bestehend aus Doppeldecker-LKW, die 60% mehr Fracht befördern können als herkömmliche Laster.
Der Wildwuchs an Fachmarktzentren, begünstigt durch einen Föderalismus-getriebenen Dschungel an weitgehend zahnlosen Raumordnungsbestimmungen (jedes Bundesland hat seine eigene Raumordnung) und durch umtriebige Retail-Immobilien-Developer findet durch Nonfood-Discountformate wie Action, Tedi, Kik, Takko, Libro oder Pagro (manche Experten rechnen auch Müller dazu) sein Pendant in einem Wildwuchs an Trash-Sortimenten. Ladentyp und Warenangebot sind gleichermaßen Ursache und Folge einer längst nicht mehr auf den Westen beschränkten Massenkonsumgesellschaft.
Die üppige Präsenz von Billigläden mit Ramschsortimenten am Kreisverkehr ist heute ein Faktum in der heimischen Handelsszene. Sie befördern die Vermüllung der Haushalte und inspirieren öko-bewußte Haushalte zum Konsumverzicht. Regionale Konsumtraditionen, regionale Herkunft der Waren und die Förderung regionaler Wertschöpfung sind definitiv nicht auf ihrer Agenda. Die Verantwortlichen im heimischen Einzelhandel sind eingeladen, sich über die ökonomischen und gesellschaftlichen Folgen dieses Wildwuchses endlich Gedanken zu machen.