Der Nielsen LH-Zensus 2018
Wie kam es, dass die Spar beim Lebensmittelhandel-Umsatz 2018 klarer Wachstumssieger war und beim Marktanteil um 0,8%Punkte zulegte, während das Discounter-Duo Hofer/Lidl zusammen 0,5%Punkte einbüsste und Marktführer Rewe exakt beim Marktanteil des Vorjahres landete? Ein halbes Jahr, nachdem die Silvester-Tageslosungen in die Geschäftsbüchern unserer Big Retailer eingingen, bewegt dieser Ausgang der Händler-Champions League 2018 noch immer die Branche.
Der Nielsen Zensus, der seit einigen Tagen vorliegt, liefert einige Puzzlesteine zum Gesamtbild der heimischen Lebensmittelhandel-Landschaft, in der ein verwegener Verdrängungswettbewerb tobt. Hier die Key-Learnings des Zensus:
Hofer und Lidl dürfen auf Grund der statistischen Methode nicht getrennt ausgewiesen werden, auf diese Weise kaschieren die Nielsen-Daten den kleinen Expansions-Durchhänger des Nielsen-Neukunden aus Sattledt und den
ungebremsten Erfolgskurs seines (noch-) nicht-Kunden aus Salzburg.
Die Fakten: Der gemeinsame Nielsen-Lebensmittelhandel-Marktanteil von Hofer/Lidl sank von 26,6% auf 26,1%. Bei einem Wachstum des Gesamtmarktes von rund 300 Mio. € haben Hofer/Lidl zusammen im Jahr 2018 einen Umsatz von 5.533 Mio. € erzielt, 2017 war es ziemlich exakt derselbe Betrag.
Der Marktanteilsverlust von Hofer/Lidl resultiert also aus einer Umsatzstagnation, die sich rein rechnerisch aus der Saldierung der Umsatzergebnisse von H+L ergibt. Weil Lidl laut „Presse“ im letzten Geschäftsjahr (per 28.2. 2019) seinen Marktanteil von 6,3% auf 6,5% steigerte, was ein Umsatzplus von rund 65 Mio € ergibt, kann davon ausgegangen werden, dass Hofer von 2017 auf 2018 ungefähr im selben Ausmaß Umsatz einbüßte. Zur Erinnerung: Lidl leitet seinen Marktanteil aus dem GfK-Haushaltspanel ab. Nielsen erhebt die Hofer-Umsätze seit 2017 über Scannerdaten und schätzt die Lidl-Umsätze mittels der Cashslip-Methode (Parkplatzbefragung mit Kundenbon-Auswertung auf freiwilliger Basis).
Die unterschiedliche Umsatzentwicklung von Hofer und Lidl ist vor allem auf die Expansionspolitik der beiden Discounter zurückzuführen. Lidl hat, was die Anzahl der Neueröffnungen betrifft, in den letzten Jahren nahezu mit Hofer gleichgezogen: 2017 eröffnete Hofer 13 zusätzliche Standorte, bei Lidl waren es 12. 2018 kamen 20 neue Hofer-Filialen und 15 neue Lidl-Märkte hinzu. Nielsen weist darauf hin, dass sich bei Hofer, mit 506 Standorten per Ende 2018, eine Marktsättigung abzeichnet. Jede neue Filiale führt bei dieser Ladendichte in erheblichem Maße nicht zu einem Mehrumsatz, sondern zu Umsatzverlagerungen von bestehenden zu neuen Standorten. Lidl hingegen besetzt mit seinen Neueröffnungen „weiße Flecken“ (speziell im Großraum Wien) und verschafft sich dadurch fast uneingeschränkten Mehrumsatz.
Für Hofer-Mitbewerber und Hofer-Lieferanten besonders spannend ist die Frage: Welche Auswirkungen haben Hofers Markenartikel-Einlistungen auf das Umsatzergebnis? Im Nielsen Zensus ist von einem Doppeleffekt die Rede: Einerseits werden Hofers Private Label-Umsätze teilweise durch Verkäufe von Herstellermarken kannibalisiert. Der Umsatzanteil der Private Labels sank (bei Hofer+Lidl) um 2,4%. Zwar stieg gleichzeitig der Anteil der Markenartikel am Gesamtumsatz (+8,2% bei H/L), doch erhöhten die Vollsortimenter ihrerseits den Aktionsdruck. Was möglicherweise zu einem Rückgang der Kundenfrequenz beim Discounter geführt hat.
Der Marktanteilsgewinn der Spar ist ein Geflecht aus mehreren Ursachen, die schwer auseinander zu dröseln sind.
Die Fakten: Die Spar hat von 2017 auf 2018 beim Lebensmittelhandel-Umsatz laut Nielsen um rund 295 Mio. € zugelegt, der Gesamtmarkt wuchs um rund 300 Millionen. Auf diese Weise haben die Salzburger rein rechnerisch mehr als 90% des Marktwachstums „eingestreift“. Einer der Gründe ist die Übernahme und Integration von Zielpunkt-Filialen im Osten des Landes in den beiden letzten Jahren. 2018 verzeichnete die Markant-Gruppe laut Nielsen ein Umsatzminus von 178 Millionen €, Nutznießer war in hohem Maße die Spar, die, insbesondere in Ostösterreich (Großraum Wien) dank Zielpunkt-Übernahmen ihr Ladennetz ausbaute und damit ihre Käuferreichweite erhöhte. Das heißt: der Umsatz-Effekt der Zielpunkt Übernahme verteilt sich bei der Spar auf die Jahre 2017 und 2018.
Dass auch die selbstständigen Spar-Einzelhändler das Ihre zum Marktanteilsplus der Tannen-Organisation beigetragen haben, geht aus der Kaufleute-Sonderauswertung von Nielsen hervor. 2018 konnten die Selbstständigen im Lebensmittelhandel ihren Umsatz um 100 Mio. €, nämlich von 2,4 auf 2,5 Mrd. € steigern. Da dieses Plus dem Wachstum des Gesamtmarktes entsprach, blieb der Marktanteil in Höhe 11,6% gegenüber 2017 stabil.
Auch wenn die heimische Spar sich, anders als die Edeka und die Rewe in Deutschland, beharrlich weigert, die Umsätze ihrer Kaufleute bekannt zu geben, kann man davon ausgehen, dass diese mit 1,3 bis 1,4 Mrd. € zu veranschlagen sind. Gut 20% ihres Einzelhandelsumsatzes erziele die Spar über ihre Kaufleute, diese Einschätzung war aus Sparianer-Kreisen zu hören. 20% von 6,78 Mrd. € Spar-Lebensmittelhandel-Umsatz laut Nielsen, ergibt 1,36 Mrd. €. Somit ist anzunehmen, dass die Spar-Einzelhändler für rund 55% des gesamten Kaufleute-Umsatzes aufkommen. Wie CEO Gerhard Drexel dem retailreport.at bekannt gab, steigerten die Spar Einzelhändler 2018 auf bestehender Fläche ihren Umsatz um 3,3%. Daraus errechnet sich ein Beitrag der Spar Einzelhändler zum Gesamtwachstum der Gruppe in Höhe von 45 bis 50 Mio. €.
Das Super-Umsatzjahr der Drexel-Truppe hat jedoch eine Anzahl weiterer Ursachen-Stränge. Die „Lebensmittelzeitung“ kommt in ihrem Tableau von Europas Top 50 Lebensmittelhändlern zur Erkenntnis, dass sich 2018 in mehreren Ländern die „Local Heroes“ hervorragend schlugen, indem sie ihre Heimstärke ausspielten. Neben dem niederländischen Supermarkt-Filialisten Jumbo (9,4% Umsatzplus), der deutschen Globus-Gruppe (+5,5%), Portugal-Marktführer Jerónimo Martens (+5,5%) und Spanien-Marktführer Mercadona (+4,9%) reiht sich auch unsere Spar, im Europa-Umsatzranking an 30. Stelle, mit +4,3% unter die „Local Heroes“. Deren gemeinsames Merkmal ist, laut LZ die „starke Kundenorientierung“.
Auf lange Sicht sind es vor allem die kundengerechten Vertriebsstrukturen der Tannenorganisation, die den Local Austrian Hero auszeichnen:
- Starke Regionalzentralen, mit ihren regionalen und lokalen Beziehungsnetzwerken bei der Standort-Akquisition und der leistungsfähigen regionalen Frischwaren-Logistik,
- das „Doppelpass-Spiel“ zwischen Filialen im urbanen und Kaufleuten im ländlichen Raum,
- die Symbiose zwischen SES-Einkaufszentren und Interspar-Verbrauchermärkten als deren Kundenmagneten.
- und last but not least die Eurospar-Märkte, die als Nahversorger-Verbrauchermarkt mit ihrer Größe, ihrem Sortiment und ihren Standorten als „hidden Champions“ der heimischen Lebensmittelhandels-Landschaft gelten dürfen.
Der Nielsen Zensus, naturgemäß der kurzfristigen Marktbetrachtung gewidmet, führt, allerdings in verschlüsselter Form, ganz andere Gründe für den Spar-Erfolg ins Treffen. Sehr detailliert wird da beschrieben, wie da die „Vollsortimenter“ (gemeint ist, angesichts der Expansionspause, die die Rewe einlegte, wohl in erster Linie die Spar) gegenüber den „Hard Discountern“ (sprich Hofer) punkten konnten: Bei Bio, Convenience, Ultra Frische und Food to Go bevorzugten Österreichs Shopper die Vollsortimenter. Dieser Trend im Konsumentenverhalten wird anhand vieler Beispiele belegt. Das steigende Interesse der Konsumenten an nachhaltigen und gesunden Lebensmitteln wird zwar von allen Handelsgruppen intensiv bedient, offenbar beweist das Spar-Marketing mit seinen Aktivitäten für Zucker- und Palmölreduktion, mit dem „Urban Drinks“ Regal und dem Veggie-Sortiment auf diesem Gebiet ein besonders glückliches Händchen. Das gilt auch für Rabattsammelmarkerl- und Stickermania-Aktionen im Promotion-Bereich.
Marktforscherisch bisher „unterbelichtet“ ist die Bedeutung der Regional-Sortimente. Nielsen stellt dazu demnächst ein neues Tool vor, das sich dieser wichtigen Frage annimmt. An Interessenten aus der Landwirtschaft, den Molkereien und Brauereien, den regionalen Frischwaren- und Spezialitäten-Lieferanten und den Handelsketten, die allesamt auf Regionalität setzen, sollte es nicht mangeln.
Fazit: Wenn man bei Betrachtung des Nielsen Zensus anstelle der Prozentzahlen die absoluten €-Umsätze in Betracht zieht, dann erweisen sich die Veränderungen im heimischen Lebensmittelhandel keineswegs als dramatisch. Das gilt gleichermaßen für die Einbußen von Hofer, die Erfolge der Spar und die Stagnation bei der Rewe. Die disruptive Entwicklung im Lebensmittelhandel findet nicht im Online-Handel statt (Rewe, dm und Unimarkt kamen 2018 zusammen auf 56 Mio. €), sondern im Digital Shopper Journey-Marketing. Die Sortimentsmanager in den Zentralen müssen geeignete Tools entwickeln, um die Makro-Trends im Verbraucherverhalten, als da sind: Convenience, Nachhaltigkeit, Gesunde Ernährung, Premium und Kulinarik, Snacking und to Go-Food zu quantifizieren und in flexible und schlüssige Sortiments-, Preis-, Kommunikations- und Servicestrategien umzusetzen. Dazu braucht es Marktforschung, wie jene von Nielsen, die nicht Meinung über Internet-Umfragen, sondern tatsächliches Kaufverhalten z.B. an Hand von Scannerdaten misst.