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Zankapfel Handelsmarken

Zankapfel Handelsmarken

Vor dem Hintergrund der massiven Preissteigerung bei den Lebensmitteln weitet sich hierzulande die Diskussion über die Rolle der Handelsmarken im Preiskampf zu einem handfesten Branchenkonflikt aus.

Bericht: Hanspeter Madlberger

Ein Blick nach Deutschland zeigt, dass dieser Streit, der die Zusammenarbeit in der Food Supply Chain stark belastet, nicht durch Mantra-artig vorgetragene Anschuldigungen, sondern durch eine Kooperations-Kultur beizulegen ist, die auf einer Fakten-basierten  Marktanalyse aufbaut.

„Warum der Siegeszug der Handelsmarken nicht zu stoppen ist“,  erläutert das  renommierte Handelsblatt vom 25.1. seinen Lesern. Und stützt sich dabei auf eine Auswertung von GfK Haushalts-Panel-Daten, die dem Medium von der nunmehrigen Nielsen-Tochter exklusiv zur Verfügung gestellt wurde. Einige Key Findings dieser Studie sind auch  für den Handelsmarken-Disput  in unserem Land sehr aufschlussreich:

Sind Private Labels Marken oder No Name?

Da ist zunächst der Umstand bemerkenswert, dass der GfK-Befund die Begriffe Handelsmarken, Private Labels und No-Name-Ware synonym verwendet, also in einen Topf wirft. Handelsmarken mit No-Name-Artikeln gleichzusetzen, darf als zuvorkommende Geste des Marktforschers gegenüber seinen Hauptkunden, den nationalen und internationalen Markenartikelfirmen gewertet werden. Freilich wird durch diesen verbalen Trick, den Handelsmarken den Marken-Status abzuerkennen, die Weiche für eine polemische Diskussion über Private Labels gelegt. Auch unser MAV beansprucht den Markenstatus exklusiv für die Herstellermarken. Ein Framing, das einer fairen Erörterung des Handelsmarken-Phänomens nicht unbedingt förderlich ist.

Das Match zwischen Markenbutter und Private-Label-Margarine

Sehr deutlich geht aus den GfK-Daten hervor, wie unterschiedlich im letzten Jahr in D das Match zwischen Hersteller- und Handelsmarken in den einzelnen Kategorien verlaufen ist. Im Zeitraum Jänner bis September 22 erzielten die Handelsmarken im deutschen Mineralwassermarkt eine Umsatzplus 27,3% und konnten damit ihren Marktanteil auf 28,1% steigern. Bei Margarine legten die Eigenmarken von Edeka, Rewe, Aldi und Lidl um 10,5% im Umsatz zu, ihr Marktanteil kletterte auf 28,7%. Einen gegenläufigen Trend verzeichnete die Butter. Die Umsätze der Handelsmarken schrumpften um 1,5%, deren Marktanteil sank auf 12,3%. Dass bei den Waschmitteln die Private Labels um 9,2% zulegten und damit auf einen Marktanteil von 19,0 stiegen, verleitet das Handelsblatt zur flapsigen Schlagzeile: Tandil von Aldi statt Persil. Na, ja.

Dass deutsche Konsumenten sich neuerdings vermehrt der Markenbutter zuwenden, hingegen beim Margarine-Einkauf einen Schwenk in Richtung Handelsmarken vornehmen, erklärt GfK-Experte Robert Kecskes so: Das liege vor allem daran, dass Händler für Markenbutter aggressive Rabattaktionen fahren. So kostete beim Nachbarn ein Kilo Markenbutter im Angebot durchschnittlich 8,92 Euro. Und war damit um rund 50 Cent günstiger als die Handelsmarken zum Kurantpreis.

Anfang Jänner machte die LZ einen Beobachtung, die diesen Befund bestätigt: Den Recherchen des Fachmediums zufolge, war die Hersteller- und Herkunftsmarke Bio-Bergbauern-Butter der Alpenmilch  Salzburg in den dm Drogeriemärkten um 20 Cent billiger als die mit der gleichen Premium-Qualität aufwartende Eigenmarke von Aldi Süd. Trotz aggressiv kalkulierter Markenbutter-Aktionen, bei der sowohl Hersteller als auch Händler Spannenverzicht leisten, wechselten viele deutsche Shopperinnen von der Butter zur Margarine. Weil unterm Strich das pflanzliche Fett um rund 50% billiger ist als jenes tierischer Herkunft. Deutschlands LEH verkaufte in den ersten zehn Monaten 2022 neun Prozent weniger Butter als im Vorjahr.

Parallelproduktion von Hersteller- und Handelsmarke  

Herstellermarke gegen Handelsmarke, Aktions- gegen Dauer-Tief-Preis, Butter gegen Margarine: Dieses mehrdimensionale Gerangel im umkämpften deutschen Lebensmittelmarkt hat noch ein weiteres hochbrisantes Spannungsfeld vorzuweisen: Den Strukturwandel  auf Erzeugerseite. Unilever hat vor ein paar Jahren die Fettsparte an Upfield verkauft. Dass der neue Eigentümer nicht annähernd soviel Innovations- und Werbepower in europäische Markenklassiker wie Rama oder Becel investieren würde, wie eine Unilever in Jahrzehnten der Hochkonjunktur, sondern vor allem das Hauptaugenmerk auf  kostengünstige Produktion (z.B. in Ungarn) legen würde, war vorhersehbar. Ebenso evident ist die Kettenreaktion: Wenn ein  Hersteller die Investitionen in Innovationen, in das Markenimage und damit in den Marken-Mehrwert zurückfährt, eröffnet ein solcher Strategiewechsel den Handelsmarken eine Expansionsschneise. 

Viel Aufregung herrscht auch über die Billigbutter in Österreichs Super- und Discountmärkten. Auf der Grünen Woche in Berlin beklagte Bauernbundpräsident Georg Strasser, der österreichische Lebensmittelhandel würde zuviel importierte Billigbutter anbieten und damit der heimischen Landwirtschaft großen Schaden zufügen. Ein Vorwurf, ganz getreu dem Motto der diesjährigen  Wintertagung des Ökosozialen Forums: “Selber produzieren, statt Krisen importieren“. Trefflich gereimt, aber mit der inhaltlichen Logik ist es nicht so weit her.

Österreichs Produzenten müssen sich ausländischer Billigkonkurrenz stellen

Ein Faktencheck im Spar Gourmet Korneuburg ergibt nämlich ein etwas anderes Bild: Dort kostet die Viertelkilo-Packung der billigsten NÖM Butter gerade einmal 20 Cent mehr als die gleiche Menge einer No-Name-Butter bayerischer Herkunft. Der Analogieschluss zur extrem günstigen Bergbauern-Butter der Alpenmilch Salzburg bei dm Deutschland  drängt sich auf. Die Milch-Bergbauern im Lungau ebenso wie ihre Kollegen im Berchtesgadenerland, beide sind sie ihrer Molkerei dankbar, wenn sie einen Teil ihres Milchüberschusses zu Butter verarbeiten und diese zu Grenzkosten im Nachbarland bei Händlern absetzen, die mit den Lebensmitteldiscountern im Wettbewerb stehen. Ähnliches gilt übrigens für die Bauern der Molkereigenossenschaft Gmunden, die ihre Milch nach Bayern an den Kooperationspartner Milchwerk Jäger liefern, der daraus für Lidls europaweites Filialnetz unter anderem Mozzarella, Pasta Filata und Kashkaval erzeugt. Alles aus Alpenmilch erzeugte me-too Billigalternativen zu traditionellen mediterranen Käsespezialitäten.

Handels- und Herstellermarke: Zwei Wertschöpfungs-Netzwerke

Besteht die Aussicht, dass das endlos Palaver zwischen den diversen Interessensvertretungen  über die “bösen“, Handelsmarken einer sachlichen Lösung zugeführt wird? Damit diese Übung gelingt, müssten sich die Kontrahenten wohl darauf verständigen, dass  hinter den Hersteller- und den Handels- bzw. Händler-Eigenmarken  zwei sehr unterschiedliche Wertschöpfungs-Netzwerke stehen, die einander einen lebhaften Wettbewerb um die Gunst der Konsumenten liefern. Dass in Zeiten heftiger Inflation die Handelsmarken-Modelle in der Regel mit niedrigeren Preisen aufwarten als viele Herstellermarken, liegt auf der Hand. Wegen der Kostenvorteile bei Vertrieb und Werbung, die dem Private Label-System immanent sind. Und bei den Personal- und Logistikkosten-armen Discountformaten besonders stark zu Buche schlagen.

Der besondere Aspekt dieser beiden Netzwerke liegt darin, dass speziell im kleinen Österreich viele Frischwarenhersteller praktisch gezwungen sind, auf beiden Hochzeiten zu tanzen. Im Trockensortiment laufen Markenartikler, die ihre Marken von  Lohnproduzenten herstellen lassen, Gefahr, in den Handelsmarken-Konflikt verstrickt zu werden. Wenn nämlich in deren Fabriken parallel dazu auch Handelsmarken  hergestellt werden, lässt sich ein Qualitäts- und Preisunterschied zwischen  „Markenware“ und Private Label schwer argumentieren. Das gilt gleichermaßen für den Frischwarenbereich, wenn etwa Molkereien beide Markensysteme  bedienen, um ihre Kapazitäten auszulasten und so in die Lage versetzt werden, ihren Bauern  anständige  Rohmilchpreise zu bezahlen. 

Wenn dann Händler wie Lidl ihre  Private-Label-Lohnproduzenten  outen und interne Preisvergleiche zwischen Hersteller- und Handelsmarken anstellen, die aus der gleichen Produktionsstätte kommen, ist die Konfusion der Konsumenten perfekt. Da überrascht es nicht, wenn Konsumentenschützer wie unser VKI oder Deutschlands Stiftung Warentest zu Werbebotschaftern der Handelsmarken mutieren, indem sie sachlich nüchtern  feststellen, dass viele Handelsmarken, egal ob im Discounter- oder im  Supermarkt-Regal angeboten,  gleich gut schmecken aber deutlich billiger sind als vergleichbare (Hersteller-) Markenware.

Wildern im Revier des Lieferpartners

So, wie für viele  heimische Lebensmittelproduzenten  die Parallelproduktion von Hersteller- und Handelsmarken (Markenartikel-Puristen  nennen es „Sleeping with the Enemy“) nicht aus Jux und Tollerei erfolgt, sondern ökonomischer  Notwendigkeit (Stichwort: Exportabhängigkeit) geschuldet ist,„wildern“ immer mehr Händler in den angestammten Wertschöpfungs-Revieren ihrer Lieferanten aus der Industrie, indem sie selber die Eigenproduktion forcieren. Migros und Coop waren in diesem Geschäftsfeld immer schon sehr aktiv, die eigene Kaffeerösterei hat bei Großhändlern eine lange Tradition. Hofer in Sattledt hat seine Schokoladenfabrik, Lidl erwarb kürzlich einen führenden deutschen Teigwaren-Produzenten. Und die Rewe in Österreich wandelt beim Ausbau der  konzerneigenen Fleischverarbeitung auf den Spuren der Spar-Tochter Tann. So wie den Händlern die Rückwärtsintegration als Option zur Margenverbesserung offen steht, können Industrie und Landwirtschaft durch Direktvermarktung (=Vorwärtsintegration) ihren Anteil am Wertschöpfungskuchen steigern. Wer integriert nach vorne oder nach hinten, läuft aber auch Gefahr, sich zu verzetteln. Arbeitsteilige Spezialisierung hat eben auch ihre Meriten.

Handelsmarke und  Herstellermarke: Zwei Wertschöpfungs-Welten, die stark in einander verwoben und damit stark auf einander angewiesen sind. Und deshalb den horizontalen Wettbewerb um die Gunst der Shopper und die vertikale Kooperation in der Lieferkette unter einen Hut bringen müssen. Auch in der Frage der Margen-Aufteilung, die im Schatten der den Systemen von außen aufgezwungen Inflation besonders brisant ist. 

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geschrieben am

27.01.2023