WKO Handelstag: Anders denken!
Bericht: Clemens Kriegelstein
Die Bundessparte Handel lud dieser Tage zum Handelstag 2024 in die Wirtschaftskammer Österreich, der unter dem Motto „Innovativ, resilient, wettbewerbsfähig / Visionen für den Handel der Zukunft“ stand. Schon im Zuge der Begrüßung kritisierte Kammerpräsident Harald Mahrer die zu hohen Lohnnebenkosten in Österreich, eine zu große Bürokratie und zu wenig Motivation bei der – durchaus vorhandenen – Leistungsbereitschaft eines Großteils der Bevölkerung. Eine neue Regierung müsse auch hier auf die Wünsche des Handels eingehen, so sein Appell.
Handelsobmann Rainer Trefelik wiederum forderte generell mehr Fairness. Noch würden zwar 9 von 10 Euro im stationären Handel landen, es könne jedoch nicht sein, dass sich heimische Unternehmen mit Berichtspflichten und Lieferkettenverordnungen herumschlagen müssten, diese Vorschriften aber nicht für ausländische Onlineplattformen wie Temu & Co gelten würden.
Konsumgetriebener Aufschwung vor der Türe
Erster Keynotespeaker war Gabriel Felbermayr, Direktor des Wirtschaftsforschungsinstitutes (WIFO). Er bekräftigte, dass die heimische Wertschöpfung unter der hohen Inflation leide, die wiederum auch auf die extreme Indizierung in Österreich – von Mieten über Versicherungen bis zu Gebühren – zurückzuführen sein. „Die preisbereinigte Wertschöpfung im Handel ist in den letzten Quartalen rückläufig“, so seine Bilanz. Das liege auch am Konsumrausch nach Corona, der jetzt einen gesättigten Markt und eine sinkende Nachfrage nach sich ziehe. Dabei sei für einen konsumgetriebenen Aufschwung alles angerichtet: hohe Lohnabschlüsse, eine wieder deutlich gesunkene Inflation und damit steigende Reallöhne. Die Frage sei nur, wann dieser Aufschwung einsetze. Felbermayr: „Leider hat die jüngst hohe Inflation auch psychologisch viel angerichtet, denn plötzlich haben viele Leute das Vertrauen in unsere Währung verloren.“
Loyalität im Handel nimmt ab
Eine weitere Keynote kam vom englischen Handels- und Konsumexperten Jack Stratten (Insider Trends). Stratten warnte die Branche davor, die Loyalität seiner Kunden zu überschätzen: „Diese Loyalität geht überall zurück, daran ändern auch Stammkundenkarten nichts. Die Kunden verwenden diese nicht aus Loyalität, sondern ausschließlich wegen der Vorteile.“ Das könne sich aber auch rasch ändern. Während etwa Amazon seine Waren binnen Tagen oder sogar Stunden zustellt, warten die Kunden bei Temu etwa geduldig zwei Wochen auf die Zustellung – einfach, weil Temu billiger sei. Deswegen wachse Temu derzeit auch wahnsinnig schnell.
Das Geheimnis sieht Stratten in einer Spezialisierungs- und Premium-Strategie und brachte dazu einige international sehr erfolgreiche Beispiele, etwa
- Wolf & Badger, einen britischen Online-Marktplatz, der sich aber im Gegensatz zu Temu oder Amazon über Qualität und Nachhaltigkeit definiert, statt über eine unüberschaubare Auswahl und billige Preise.
- Pop Up Grocer ist wiederum eine schnell wachsende Supermarktkette aus New York, die ihr gesamtes Sortiment etwa alle drei Monate austauscht, weil sie erkannt haben, dass sich manche Kunden in klassischen Supermärkten oft langweilen.
- Trader Joe‘s ist eine andere Supermarktkette mit Sitz in Kalifornien, mit ebenfalls unglaublichen Wachstumszahlen, deren USP ein Flair wie in den 1970er-Jahren ist – inkl. von Künstlern eigens handgemalter Preisschilder.
„Differenzierung und Premiumisierung – hier liegt in Zukunft der Schlüssel für den Erfolg im Handel“, so sein abschließender Appell.
Erfolg durch Spezialisierung
Ein Höhepunkt des Handelstages war ein Panel-Talk, an dem neben Gastgeber Rainer Trefelik und Handelsexperte Jack Stratten auch Retail- und Marketingprofi Kurt Stefan (u.a. Gründer des Luxus-Bikeshops VELETAGE), Tina Nekvinda-Ohneberg (Gründerin von UKIYO) und die international (vor allem in China) tätige Marketingexpertin Barbara Seidelmann teilnahmen.
Kurt Stefan pflichtete Strattens Idee zur Spezialisierung bei: „Wir bieten nicht an, was andere anbieten. Wir setzen auf Exklusivität und viele Kundenevents, mit denen wir in die Köpfe und Herzen unserer potentiellen Kunden kommen. Klar, 15.000 Euro für ein Fahrrad muss man sich leisten können und wollen, aber es gibt diese Leute und wir bedienen sie. Da kommt dann auch ein Kunde mal extra aus Dubai zum Bike-Anpassen zu uns eingeflogen.“ Das Ergebnis sei eben eine deutlich höhere Marge als im klassischen Sportfachhandel.
Für Tina Nekvinda-Ohneberg steht und fällt alles mit dem Mitarbeiterteam. In ihrem Shopkonzept UKIYO bietet sie von Fitness und Kosmetikdienstleistungen bis hin zu Bekleidung, Schmuck und einem Coffeespot eine breite Auswahl an Waren und Dienstleistungen an. Es komme auf die Atmosphäre und den Teamgeist an. „Die Kunden müssen sich wohlfühlen und selbst bei einer Grippewelle hat kein Kunde Verständnis, wenn sein Termin abgesagt wird.“ Dazu müssten aber wirklich alle Teammitglieder an einem Strang ziehen, Kundenservice leben.
„Service sells products“
Den Servicegedanken griffen auch Jack Stratten („Der Service muss gestärkt werden – Service sells products!“) und Spartenobmann Trefelik auf. In seinem Luxus-Bekleidungsgeschäft Popp & Kretschmer würden etwa 80 – 90 Prozent aller gekauften Kleider auf jede Kundin speziell umgeändert werden. „Natürlich gibt’s vielleicht ein Kleid von Oscar de la Renta online in einem New Yorker Geschäft gerade im Abverkauf. Viel Spaß dann bei Versand, Import, Zoll, etc. Und dann gibt’s das Kleid vielleicht nur in gelb und in Größe 34. Der Änderungsservice ist eben unser USP, aber dafür braucht man auch die richtigen Mitarbeiter. Nur über den Preis werden wir jedenfalls langfristig nicht gewinnen.“
Dem pflichtete Barbara Seidelmann bei: „Nur billig geht nicht!“ Wichtig sei auch, dass man sich spezialisiere. Wer ist der Kunde? Die Tochter, die Mutter oder die Großmutter? Alles zusammen sei unmöglich. Das fange schon beim Shopdesign an und gehe bis zur Produktauswahl. Generell sieht Seidelmann heute drei Faktoren für Erfolg einer Marke: Authentizität, Nachhaltigkeit und Kundenerlebnis.
Das Schlusswort hatte dann nochmal Obmann Rainer Trefelik, der auf die ungeheure Marktmacht Chinas und die damit einhergehenden Probleme hinwies. In Supermärkten werde dort bei Obst oft jedes Stück einzeln verpackt und in China alleine würden täglich an die 400 Mio. Pakete versendet. Was das an Verpackungsmüll mit sich bringe, könne man sich vorstellen. Positive Veränderungen könnten daher nur global funktionieren. „Wir alleine werden die Welt nicht retten!“