Wintertagung des ökosozialen Forums
Bericht: Hanspeter Madlberger
Um ebenso kantige, wie diplomatische Ansagen war Rewe International-Vorstand Marcel Haraszti nicht verlegen, als er diese Woche auf der 69. Wintertagung des Ökosozialen Forums in der Rolle des Hauptsponsors mit Agrarpolitikern und Bauernvertretern heiße Themen der Lebensmittelwirtschaft diskutierte. Kostproben gefällig?
- "Wir sind der einzige Lebensmittelhändler im Land, der auch Putenfleisch zu 100% aus österreichischer Produktion bezieht. Seit 2019 haben wir die Absatzmengen bei der österreichischen Pute um 150% gesteigert".
- Oder: "Nicht nur die Frischmilch, auch die Butter, die wir unter unserer Eigenmarke Clever anbieten, stammt zu 100% aus heimischer Produktion." Nachsatz: "Da gibt es Mitbewerber, die das nicht tun".
- Über den größten heimischen Molkerei-Konzern (in Bauerneigentum) sagt der Chef des zweitgrößten heimischen LEH Unternehmens (in deutschem Kaufleute-Eigentum): "Wir schätzen Berglandmilch als großen Konzern, die machen mehr Umsatz als wir mit Penny". Anmerkung: Gemeint sind offensichtlich die Verkaufserlöse des Discounters in seinen Mopro-Abteilungen.
Wie ist es mit der Nachfragemacht unseres Lebensmittelhandels gegenüber der heimischen Milchwirtschaft tatsächlich bestellt?
Haraszti klärt sachlich auf: "Die Rewe nimmt 9% der österreichischen Milchproduktion ab. Der gesamte Handel rund 25%". Das hört sich schon anders an, als die Aussage von Katharina Koßdorff, Geschäftsführerin des WKO-Fachverbandes der Lebensmittelindustrie im Standard vom 29. Jänner: "Wenn sich drei Teilnehmer 90% des Geschäfts teilen, haben die Lieferanten das Nachsehen". Zeit wird`s, dass über die angeblich so wettbewerbschädliche Konzentration im österreichischen Lebensmittelhandel faktenbezogen diskutiert wird. Und es ist zweifellos ein Verdienst der Rewe, die tendenziösen Narrative aus der Ecke der Produzentenverbände und des Landwirtschaftsministeriums zum Thema LEH-Marktmacht kritisch zu hinterfragen.
Milchpreis: Gutes Klima zwischen Rewe, NÖM und Bauernbund
Nicht als beinharte Preiserhöhungs-Verweigerer, sondern als verständnisvolle Kompromiss-Sucher präsentierte Haraszti sein Einkäufer-Team in der heiß diskutierten Frage der Milchpreis-Anhebung: "Wir haben 2021 die Einkaufspreise bei Milch zweimal erhöht. Zuerst im Frühjahr, dann im Oktober". Und für die kommenden Wochen kommt aus Wiener Neudorf das Signal: "Ja, es wird bei der Milch auch eine Anpassung der Verkaufspreise geben". Leopold Gruber-Doberer, Geschäftsführer der Milchgenossenschaft Niederösterreich (MGN), die 25 % Anteil an der NÖM AG hält, räumte ein, dass von einem Preiskrieg zwischen NÖM und Rewe, beide Unternehmen haben hohe Marktanteile in Ostösterreich, keine Rede sein kann.
Auch Bauernbund-Präsident Georg Strasser bekräftigte: "Die Rewe hat bei den Milchpreis-Verhandlungen die Hand ausgestreckt." Dass im Milchüberschussland Österreich ein entsprechendes Exportvolumen an verarbeiteter Milch für die Molkereien unverzichtbar ist, erläuterte Gruber-Doberer mit der Feststellung: "Wir müssen Fruchtjoghurt exportieren, damit wir uns die Frischmilch-Abfüllung für den heimischen Markt leisten können" Hoffentlich zahlen deutsche Discounter für das Joghurt aus Baden kostendeckende Preise.
Fairer Handel ab 1. März?
Am 1. März eröffnet das Ministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus in Umsetzung des Anfang Jänner im Parlament beschlossenen Faire-Wettbewerbsbedingungen- Gesetzes (FWBG) die angekündigte Ombudsstelle. Kleine Bauern und auch größere Lebensmittelverarbeiter (bis zu einem Jahresumsatz von einer Milliarde Euro) können bei diesem "Beschwerdeschalter" dann anonym Meldung machen, wenn große Lebensmittelhändler (ab einem Konzern-Jahresumsatz von fünf Milliarden Euro) gegen gesetzlich festgelegte Regeln des fairen Wettbewerbs (schwarze Liste und graue Liste) verstoßen haben. Wettbewerbsrechtlich geprüft und gegebenenfalls weiterverfolgt werden diese Beschwerden dann durch die BWB unter ihrer neuen Generaldirektorin Natalie Harsdorf-Borsch.
Kommt auf die FWBG-Ombudsstelle viel Arbeit zu? Nach Expertenmeinung spricht einiges dafür, dass das nicht der Fall sein wird. Der Lebensmittelhandel hat sich schon im Herbst 2019 geschlossen für die Ombudsstelle ausgesprochen. Haraszti: "Wir haben das immer schon gefordert, endlich ist es so weit". Bauernvertreter meinen, das neue Gesetz würde seine abschreckende Wirkung nicht verfehlen.
Lebensmittelhandel: Impulsgeber für Ökologisierung der Landwirtschaft
Als aufmerksamer Beobachter der Wintertagung konnte man durchaus den Eindruck gewinnen, dass die Zusammenarbeit zwischen dem Lebensmittelhandel und seinen Lieferanten aus Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie in der täglichen Praxis viel reibungsloser verläuft, als die kämpferischen Wortmeldungen vermuten lassen, mit denen die Agrarpolitik die Tagesmedien laufend bedient. Haraszti brachte es auf den Punkt: "Wir finden immer eine Lösung. Je weniger sich die Politik in unser Geschäft einmischt, desto besser."
Noch tendieren manche Bauernfunktionäre dazu, den Lebensmitteleinzelhandel als Prügelknaben vorzuführen, wenn es darum geht, von den Konflikten zwischen den Lebensmittel-Produktionsstufen abzulenken, die vom Klimawandel, vom globale Wettbewerb in Pandemiezeiten und vom Wertewandel auf Konsumentenseite (Stichwort: Tierwohl) befeuert werden. Dabei wird oft übersehen, dass es gerade die großen Lebensmittelhändler sind, die in Österreich und in Deutschland, in den Niederlanden und Großbritannien Startsignale für die ökologische Weiterentwicklung der Lebensmittelwirtschaft und damit auch der bäuerlichen Produktion setzen. Der Aufschwung der Bio-Landwirtschaft in Österreich ist in hohem Ausmaß den Bio-Handelsmarken geschuldet.
Dass heute in unseren Supermärkten die regionale Vielfalt sprießt, nicht nur bei regionalen Ketten wie Nah&Frisch, Unimarkt, MPreis oder Sutterlüty, sondern auch bei den Branchenriesen Spar und Rewe, sichert die Existenz tausender bäuerlicher Produzenten. Harasztis Werbedurchsage für Billas Regional-Scouts durfte da nicht fehlen: "Wir eröffnen damit eine VIP-Tür für Kleinlieferanten, die mit ihren Lokalspezialitäten einen oder zwei Billa Märkte beliefern, zahlen ihnen faire Preise und geben ihnen eine Abnahmegarantie". Billas Lokalpartnerschaften, eine ökonomisch vernünftige Alternative für bäuerliche Lebensmittelproduzenten, denen die Direktvermarktung und der ab-Hof-Verkauf zu arbeits- und kostenintensiv ist. "Gutes vom Bauernhof" beim Kaufmann, diese Aktion gab es übrigens schon vor Jahren bei Adeg-Kaufleuten in Niederösterreich.
Das Ringen um transparente Tierwohl-Kennzeichnung
Der Klimawandel ist die treibende Kraft für tiefgreifende Veränderungen in der Vieh- und Fleischwirtschaft und deren globale, europäische und regionale Liefer- und Wertschöpfungsketten "from farm to fork". Die Strategieempfehlung "Weniger ist mehr" gerichtet an Österreichs bäuerliche Schweine-, Geflügel- und Rinderhalter zieht sich wie ein roter Faden durch die Fachtagungen des Ökosozialen Forums. Die Branche stellt sich darauf ein, in Zukunft weniger Fleisch zu produzieren, diesen Rückgang an quantitativer Wertschöpfung aber durch ein Plus an qualitativer Wertschöpfung zu kompensieren. Das Herunterfahren der Fleischproduktion müsse in moderaten Schritten erfolgen, forderte Strasser seitens des Bauernbunds. Dass diese Umstrukturierung der Tierhaltung mit großen Investitionen verbunden ist, macht die Sache ökonomisch noch komplizierter. Damit diese Übung gelingt, bedarf es aber auch einer fairen Wertschöpfungs-Allianz zwischen Fleisch-Produktion und Fleisch-Distribution in Richtung Konsumenten.
Aktuell nimmt die Frage des Tierwohls und einer transparenten Kennzeichnung der unterschiedlichen Stufen tiergerechter Stallhaltung breiten Raum in der agrarpolitischen Diskussion ein. Wie Schweinepapst Johann Schlederer am Fachtag Schweinehaltung ausführte, gibt der Lebensmittelhandel in Deutschland und den Niederlanden bei der Definition der Tierwohl-relevanten Haltungsstufen den Ton an. Einzig bei der Bio-Tierhaltung sind es die Erzeugerverbände, die dafür die verbindlichen Standards vorlegen. Mit dem Ergebnis, dass Bio/Tierwohl-Fleisch bislang europaweit über Marktanteile im niedrigen einstelligen Bereich nicht hinauskommt. Schlederers ausführliche Recherchen bei niederländischen Fachkollegen ergab, dass beim Angebot an konventionellem Fleisch die niedrigen, also wenig artgerechten Haltungsstufen überwiegen. Und dass sich der Kriterienkatalog für die einzelnen Haltungsstufen sehr unübersichtlich ausnimmt. Was wiederum dazu führt, dass die Konsumenten der Tierwohl-Kennzeichnung kaum Beachtung schenken und deshalb auch nicht bereit sind, dafür einen entsprechend höheren Preis zu bezahlen. In Deutschland will der neue Landwirtschaftsminister Cem Özdemir in Sachen gesetzlich festgelegter Tierhaltungs-Kennzeichnung Nägel mit Köpfen machen. In Österreich, wo Hofer mit seinem Fairhof-Programm (in Zusammenarbeit mit der Fleischfirma Hütthaler) pionierhaft vorgeprescht ist und Spar, Rewe, Lidl und andere zur Aufholjagd starteten, arbeitet die AMA fieberhaft an einem Tierwohl-Siegel.
Der Konflikt Schirnhofer - Rewe
Die gemeinsamen Bemühungen um mehr Tierwohl, massiv gefordert von NGOs wie der Organisation "Vier Pfoten" ist nicht die einzige Baustelle entlang der besonders störanfälligen Fleisch-Lieferkette. Natürlich kam auch der Konflikt zwischen Rewe und Schirnhofer zur Sprache, über den retailreport.at an anderer Stelle berichtet. Haraszti: "Schirnhofer verlangte von uns, ihm die Almo-Lizenzrechte für einen Betrag in Millionenhöhe abzukaufen. Andernfalls drohte er mit einem Lieferstopp“. Die Rewe will jedenfalls mit den 500 Almo-Bauern auf Basis einer Abnahmegarantie und fairer Preise langfristig zusammenarbeiten.
Wir halten fest: Bei Almo geht es nicht um einen Konflikt zwischen Lebensmittelhändler und Bauern, sondern um den Wettbewerb zwischen zwei Verarbeitern. Nicht nur bei Fleisch & Wurst, sondern auch bei Brot & Backwaren und anderen Lebensmitteln sind große Handelsketten seit langem am Trip der Rückwärtsintegration. Bauern und Markenartikler kontern mit Direktvermarktung, neue Chancen eröffnet ihnen der dabei der Onlineverkauf. Wer die stimmigeren Markenkonzepte anzubieten hat, findet Gehör bei den Konsumenten. So funktioniert vertikaler Wettbewerb.
Die Fleischlos-Alternative
Last but not least ist der Umstieg der Fleischbranche auf Erzeugung pflanzlicher Fleischersatz-Produkte kein Tabu-Thema mehr. Namhafte deutsche Wursterzeuger wie Rügenwalder zeigen vor, wie das geht. Hermann Neuburger durfte seine aus Kräuterseitlingen hergestellte Fleischersatz-Produktrange Hermann jüngst sogar bei der Pressekonferenz des Markenartikelverbandes präsentieren. Und die Spar listete diese Woche eine kleine Range der Marke Green Mountain ein. Es handelt sich um pflanzliche Fleischersatzprodukte, hergestellt in der Schweiz. Das Startup Unternehmen Green Mountain wurde von der auf Convenience spezialisierten Firma Hilcona erworben. Diese gehört zum Imperium der Bell AG, einem namhaften europäisch aufgestellten Fleischwarenproduzenten, der hierzulande Hubers Landhendl besitzt. Aber auch mit Fertigsalaten, erzeugt in Marchtrenk, den steigenden Vegetarier/Vegan-Trend bedient. Mehrheitsaktionär von Bell ist die Coop Schweiz, in Österreich mit dem Gastro-Großhändler Transgourmet präsent. Übrigens sind die rührigen Eidgenossenschafter auch an einer Firma in Belgien beteiligt, die in der Petrischale Kunstfleisch aus Stammzellen züchtet. Vorerst nur in kleinsten Mengen.