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Wenn Branchenriesen außer Tritt geraten

Wenn Branchenriesen außer Tritt geraten

Wie ein Tsunami fegt die multikausale, globale Wirtschaftskrise durch die Landschaft der Konsumgüter-Produzenten und -Händler.

Bericht: Hanspeter Madlberger

Die Krise rafft Startups sonder Zahl hinweg, noch ehe sie sich ein betriebswirtschaftlich sicheres Fundament aufgebaut haben. Aber, Trost für den Mittelstand: Das Krisenvirus befällt auch so manchen Branchenriesen, wie den folgenden Beispielen zu entnehmen ist. Wir haben sie führenden deutschen Wirtschaftsmedien, wie dem Handelsblatt, dem Manager Magazin und dem Spiegel entnommen.

Der Fall Hakle

So meldete  im September 2022 das Traditionsunternehmen Hakle, einer der größten deutschen Toilettenpapier-Markenartikler und auch hierzulande stark präsent, Insolvenz an. Die Firma wird vom Management in Eigenverwaltung unter der Aufsicht eines gerichtlich bestellten Sachwalters weitergeführt, wobei über den Schuldenerlass mit den Gläubigern Übereinstimmung erzielt werden muss. Als Grund für die finanzielle Schieflage nannte Hakle „massiv gestiegene Kosten für Material- und Energiebeschaffung sowie Transporte“, die vom Kunden Handel preislich nicht hinreichend abgegolten worden seien. Hintergrund: Hygienepapiere zählen zu jenen Warengruppen, bei denen Billigeigenmarken des Handels, geliefert von Billigproduzenten, eine starke Marktbedeutung haben. Und: Drogeriemärkte, Lebensmitteldiscounter und Supermarktketten liefern einander in dieser Kategorie seit langem einen heftigen Preis- und damit Verdrängungswettbewerb. Die Inflation brachte bei Hakle das betriebswirtschaftliche Fass zum Überlaufen.

Unabwendbarer Schicksalsschlag von oben oder Krisen-befeuertes Missmanagement, das ist hier die Frage. Angesichts dieser noch nie da gewesenen Kaskade verschiedenster Herausforderungen, sollte man sich hüten, über Unternehmer und Manager, die scheitern, vorschnell den Stab zu brechen. Irren ist menschlich und viele „Pleitiers“ verdienen eine zweite Chance.

MediaMarkt: „Geiz ist geil“ zieht nicht mehr

Jüngst häufen sich in deutschen Medien Berichte über die finanzielle Schieflage, in die der börsennotierte Handelskonzern Ceconomy, seit 2017 Eigentümerin der Heimelektronik-Filialkette MediaMarkt/Saturn, geraten ist. In Deutschland wird das Großflächen-Format Saturn noch als eigene Marke geführt, in Österreich wurden die Saturn-Häuser 2020 auf MediaMarkt umbenannt. Mit einem  Jahresumsatz von zuletzt 21,8 Milliarden Euro ist Ceconomy mit MediaMarkt/Saturn Marktführer im europäischen Elektronikhandel.

Und jetzt schrillen plötzlich die Alarmglocken: MediaMarkt würde um seine Existenzberechtigung kämpfen, meldet der Spiegel vom 18.2. Und das Handelsblatt vom 15.2. spekulierte über eine mögliche Übernahme von Ceconomy durch den französischen Händler Fnac Darty. Finanziell sind die beiden Unternehmen bereits verflochten. Ceconomy hält eine 20%-Beteiligung an Fnac Darty, weitere 20% sind dem Firmengeflecht des tschechischen Milliardärs Daniel Kretinsky zuzurechnen, der sich in den letzten Jahren zum Hauptaktionär des Metro Konzerns empor gekämpft hat.

Umsatz- und Ertragseinbußen lösen Absturz des Börsenkurses aus

Auslöser des Krisenalarms um Ceconomy/MediaMarkt sind die Umsatz- und Ergebniszahlen für das Geschäftsjahr 2021/22 und das erste Quartal des neuen GJ 22/23, die vor wenigen Tagen publiziert wurden. Stieg der Gesamtumsatz im letzten GJ noch leicht, so sackte er von Oktober bis Dezember 2022, gegenüber der Vergleichsperiode des Vorjahres um 400 Millionen Euro ab. In diesem Zeitraum, der vom Weihnachtsgeschäft dominiert wird, sank der Online-Umsatz um 4,7%. Dessen Anteil am Gesamtumsatz lag im GJ 21/22 bei 25%. Das Internet-Geschäft hat in den Corona-Jahren 20 und 21 stark zugelegt, umso schmerzlicher ist jetzt die sich abzeichnende Trendumkehr. 

Die Hauptsorge der Börseanalysten aber gilt der dramatisch abgemagerten Gewinnspanne. Im GJ 21/22 schrumpfte die Ebit-Marge von Ceconomy auf 0,9% vom Umsatz. Fünf Jahre zuvor lag dieser Wert noch über der 2%-Marke, im Rekordjahr 2006 verdiente man sogar vor Zinsen und Steuern 3,2%, gemessen am Umsatz. Im GJ 21/22 sank der Gewinn vor Steuern um zwei Drittel.

Seit der Abspaltung vom Metro Konzern im Jahr 2017 ist der Börsenkurs von Ceconomy um mehr als 70% gefallen. Dieser Absturz ruft die Schnäppchenjäger unter den Finanzinvestoren auf den Plan und macht MediaMarkt zum Übernahmekandidaten. Eine entscheidende Rolle dürfte dabei Jürgen Kellerhals, dem Sohn des verstorbenen MediaMarkt Mitgründers Erich Kellerhals zukommen. Er hält über seine Firma Convergentia Invest aktuell 29,0 % an Ceconomy und ist damit größter Einzelaktionär.

Streit unter Gesellschaftern, ein Krebsübel

Wo liegen die Ursachen des Niederganges? „Die Gesellschafter stritten um die Macht und verschlissen Manager zuhauf“, so lautet das Resümee der Spiegel-Recherchen. Hausgemachte Probleme in einer Zeit, da die Corona-Epidemie der Branche einen regelrechten Boom bescherte. Aber, so der Spiegel: „Onlinehändler wie Amazon und Otto übernahmen die Preisführerschaft, stationäre Händler investierten in Beratung, und konzentrierten sich auf hochwertige Ware statt auf Schnäppchen. MediaMarkt/Saturn lag irgendwo dazwischen“.  Fazit: Die Zeiten, da der legendäre Werbeslogan Geiz ist geil die Kauflust der Konsumenten anstachelte, sind längst vorbei. Jetzt muss Ceconomy-Chef Karsten Wildberger an vielen Sanierungs-Schrauben drehen, um den Ertragskarren wieder flott zu bekommen.

Vergleichsweise gut schlug sich übrigens die Österreich-Tochter unter Alpay Güner, seit März 2022 Vorsitzender der Geschäftsführung von MediaMarkt Österreich. Die Integration von Saturn in MediaMarkt führte zu schlankeren Kosten. Das Unternehmen habe zuletzt beim Marktanteil zulegen können, berichtete Güner auf der Neujahrs-Pressekonferenz des Handelsverbandes.

Zusätzliche Herausforderung: Cyberattacken!

Folge des angespannten weltpolitischen Klimas und zugleich hässliche Begleiterscheinung der globalen Digitalisierungswelle sind die immer häufiger auftretenden Cyberattacken, von denen neben zahlreichen anderen Online-affinen Handelsunternehmen auch Ceconomy nicht verschont blieb. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Initiative der Schwarz- Gruppe. Der Einzelhandels-Riese, Betreiber von 13.500 Lidl und Kaufland- Filialen, des Lidl-Onlineshops und des Kaufland-Marktplatzes und in insgesamt 32 Ländern unterwegs,  hat das israelischen  Unternehmen XM Cyber übernommen, das sich in der Bekämpfung von Hackerangriffen weltweit einen Namen gemacht hat. Gleichzeitig kauft die  Schwarz-Gruppe Produktionsbetriebe auf und expandiert europaweit mit dem hauseigenen Abfall-Logistikunternehmen. Dem Top Management verlangt diese Diversifikation ein Multitasking mit hohem Stressfaktor ab.

Warum Kasper Rorsted Adidas verlassen musste

Wie rasch solche Forderung in Überforderung ausartet, zeigt der  Fall (in doppeltem Sinn) des einstmaligen Management-Superstars Kasper Rorsted. Ihm eilt seinerzeit der Rufe voraus, binnen weniger Jahre den Henkel Konzern von Grund auf modernisiert und zukunftsfit gemacht und dessen Börsenkurs ordentlich hinaufgepusht zu haben. Als Adidas-Chef aber scheiterte der Däne spektakulär. Das Manager Magazin zog in der Jänner-Ausgabe 23 erbarmungslos Bilanz über dessen knapp sechsjähriges Wirken als CEO des legendären deutschen Sportartikel-Herstellers, dessen Markenname Adidas sich von seinem Gründer Adi Dassler (gestorben 1978) ableitet. „Kasper Rorsted ist als Chef von Adidas gescheitert“ heißt es da. „Sein Shareholder-Value-Mantra führte zu immer kurzatmigeren Spar-Diktaten, als die Geschäfte nicht mehr liefen. Seine milliardenschweren Aktienkäufe vermochten den Absturz des Börsenkurses - minus 60% von Jänner bis November 22 - nicht zu bremsen. Dafür verdoppelten sich die Schulden des Konzerns in einem Jahr auf nahezu 6,4 Milliarden Euro.“  Ein Ikarus-Schicksal, könnte man sagen. Am 11. November 2022 nahm der geschasste Top-Manager seinen Abschied vom drei-Streifen-Imperium. 

Im Zeitraum 2016 bis 2022, da Rorsted für Adidas werkte, verliefen die Geschäfte der Sportartikel- und Sportmode-Branche äußerst turbulent. Der Sneaker-Boom ließ den Adidas- Umsatz über den 20 Milliarden Euro-Level steigen. Aber in den letzten Jahren konnten Nike und Puma, die beiden Hauptmitbewerber, beim Umsatz ungleich stärker zulegen, als Adidas. Übriges wurde Puma 1948 von Rudolf Dassler, Adolfs Bruder gegründet. Der Zwist zwischen den beiden führte dazu, dass in der 24.000 Einwohner Gemeinde Herzogenaurach zwei Sportartikel-Konzerne von Weltgeltung entstanden, die einander seit Jahrzehnten speziell im imageträchtigen Segment der Fussball(er)schuhe erbittert bekämpfen. Nike stieg derweil zum Weltmarktführer auf.

Die Adidas-Produktion in China, von Rorsted massiv forciert, erwies sich als verlustreicher Flop. Als der Sneaker-Boom abflaute, hatte Adidas Riesenmengen von dieser Freizeitschuhen auf Lager. Der Abverkauf erfolgte teilweise über Discounter, so hat beispielsweise Penny in Deutschland große Aktionsposten zu Schleuderpreisen übernommen. Ein weiteres Verlustgeschäft. Bei der Expansion verfolgte Cost-Cutter Rorsted einen Zickzack-Kurs. Er verkaufte die US-Marke Reebok, schloss Filialen in den Vereinigten Staaten und setzte seine Hoffnungen auf Billigproduktion im chinesischen Markt. Diese globale Diskont-Strategie ist nicht aufgegangen. Für 2022 erwart man  bei Adidas eine Umsatzrendite von 1,1% bei einem Umsatz von rund 22 Milliarden Euro. Profikicker Rorsted hat das Goal um viele Meter verfehlt, die Coaches im Adidas-Aufsichtsrat mussten handeln.

Ex-Edeka-Einkäufer will Warsteiner auf Erfolgsspur zurückführen

Die deutsche Biermarke Warsteiner, seit neun Generationen im Besitz der Familie Cramer, war Mitte der Neunzigerjahre Marktführer im großen, prestigeträchtigen deutschen Biermarkt. Es war der Pils-Boom, der damals die Warsteiner-Umsätze im Handel und in der Gastronomie zum Schäumen brachte. Seither ist Warsteiner in der deutschen  Biermarken-Bundesliga auf Rang sieben abgestiegen. Nach mehrfachem Wechsel an der Spitze wacht seit  Sommer 2021 Helmut Hörz über die Braukessel des Unternehmens, das weltweit  400 Millionen Euro umsetzt.

Seine Strategie für Warsteiners Wiederaufstieg an die Spitze der Branche, die er kürzlich dem Handelsblatt verriet, lässt aufhorchen. Er will in den nächsten zehn Jahren  den Absatz und den Umsatz der acht Braustätten vervierfachen. Und setzt dabei vor allem auf die Lohnabfüllung von Handelsmarken für ausländische Retailer. Eine Ansage, die Olaf Scholz wohl als Wumms einstufen würde.

Ein Kurswechsel, dessen Ursachen vermutlich in der Manager-Biographie des Helmut Hörz (Jahrgang 1960)  zu verorten sind. Der Mann arbeitete viele Jahre im Lebensmittelhandel und brachte es bei der Edeka Deutschland zum Vorstand für Einkauf und Marketing im weltweiten Warengeschäft. Und er gehörte einige Jahre dem Vorstand des südafrikanischen  Lebensmittelhändlers Pick`n Pay an. Ehe er über Alete zu Warsteiner wechselte.

Wir lernen daraus: Auch in stürmischen Zeiten macht die Globalisierung  in der Bierbranche und im Lebensmittehandel Fortschritte. Und so brauen sich in Europa neue Kooperationsmodelle zwischen Handel und Industrie zusammen. Fastenzeit ist Starkbier-Zeit. 

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24.02.2023