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Was bitte sind klimaneutrale Lebensmittel?

Was bitte sind klimaneutrale Lebensmittel?

Diskonter und Vollsortimenter im Öko-Wettlauf.

Bericht: Dr. Hanspeter Madlberger

Während heimische Nonfood-Fachhändler und mit ihnen die meisten Einkaufszentren verzweifelt darum kämpfen, im Weihnachtsgeschäft 2020 zu retten, was noch zu retten ist, starten die deutschen Discount-Giganten Lidl und Aldi ihre globalen Expansionsoffensiven 2021.

Der Umsatzwettlauf der beiden steht ganz im Zeichen der Klimaschutz-Initiativen, ein Geschäftsfeld, dem die Wirtschaftsforschung einhellig großes Wachstumspotential in den herannahenden Post-Corona-Zeiten bescheinigt.

Runde 1 des Ringens der beiden Mister Green um die Kompetenzführerschaft steht im Zeichen der klimaneutralen Lebensmittel. Was bitte darf sich der Laie darunter vorstellen? Die Frage ist mehr als berechtigt, denn hinter dem Begriff der Klimaneutralität verbirgt sich ein äußerst cleverer Verkaufstrick eines neuen Unternehmenstyps, nämlich der auf Öko-Zertifizierung  spezialisierten Consulting-Institute. Seriöses Green Marketing oder listiges Green Washing? Das ist hier die Frage.

Was läuft da konkret? Am 23.11. verkündete Lidl Österreich in einer Presseaussendung einen  Relaunch der Bio-Eigenmarke Ein gutes Stück Heimat. Im Zuge dieser Neupositionierung wird neben 100% Bio, 100% aus Österreich und 100% palmölfrei ein vierter Claim ins Spiel gebracht: Die Produkte seien zu 100% klimaneutral. Das bedeutet, laut Lidl-Aussendung:  Die CO2 Footprints aller Produkte dieser Bio-Eigenmarke einschließlich unverpackter Bio Obst- und Bio-Gemüseartikel werden zu 100% kompensiert durch CO2-Foodprint -Reduktionen, die ihrerseits durch, von Lidl geförderte zertifizierte Klimaschutzprojekte erzielt werden.

Das in der Politik viel strapazierte Modell des Klimaschutz-Zertifikate-Handels wird  also zum Marketingtool im Lebensmittelhandel umfunktioniert.

Die Antwort von Aldi ließ nicht lange auf sich warten. Klimaneutrale Aldi-Milch von Gropper verkündete die Lebensmittelzeitung am 11. Dezember. Das im bayerischen Bissingen beheimatete Familienunternehmen Gropper ist auf die Private-Label-Produktion von Bio-Milchprodukten (Frischmilch, Joghurts, Pudddings), Bio-Coffeedrinks, Bio-Mineralwasser und Bio-Fruchtsäften  fokussiert. Vom Gesamtumsatz 2019 in Höhe von 680 Millionen Euro entfielen  rund 300 Millionen auf den Mopro-Bereich. Auf der  Kundenliste finden sich Namen wie Aldi, Lidl, Penny, Rewe, Edeka und Netto.

Climate Partner zertifiziert

Die klimaneutralen österreichischen Lidl-Bio-Artikel und die klimaneutralen bayerischen Gropper-Bio Produkte haben eines gemeinsam: Die Firma Climate-Partner als Zertifizierungsinstitut zur Berechnung der CO2 Footprint-Kompensation. Sehr ähnlich sind die Klimaschutzprojekte, die den Lidl- und Aldi-Bio-Eigenmarken zum Persilschein der Klimaneutralität verhelfen. Wer hierzulande Ein gutes Stück Heimat-Produkte bei Lidl kauft, unterstützt u.a. den Bau von Solarenergie-Anlagen in Namibia, von Wasserkraftwerken im Virunga Nationalpark der Demokratischen Republik Kongo und von Biomasse-Energiebetrieben in Brasilien. Aber auch CIPRA-Projekte in Österreich, die für die Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene und damit für mehr Klimaschutz im alpinen Raum sorgen. Gropper arbeitet bei Bio-Wasser und Bio-Orangensaft mit dem Institut GUTCert  zusammen. Dabei werden vor allem regionale Klimaschutzprojekte gefördert.

Zurück zum Ursprung als Vorläufer

Vorläufer des aktuellen Klimaschutz-Initiativen von Lidl Österreich und Aldi Süd ist jedoch Hofer. Mit der von Werner Lampert hervorragend gecoachten mehr-als Bio-Eigenmarke Zurück zum Ursprung haben die Sattledter schon vor etlichen Jahren den reduzierten CO2 Fußabdruck zum Verkaufsargument gemacht. In Zusammenarbeit mit dem Zertifizierungsinstitut FIBL ((Forschungsinstitut für Biologischen Landbau), das seinen Hauptsitz in der Schweiz und Töchter in D und A hat,  weisen die z.z.U.-Artikel auf der Verpackung aus, um wie viel Prozent niedriger ihr CO2 Footprint  im Vergleich zu jenem konventioneller Lebensmittel der betreffenden Kategorie ist. FIBL arbeitet übrigens auch im Auftrag von Rewe Österreich und wirkt bei den zahlreichen Nachhaltigkeitsprogrammen der Wiener Neudorfer mit.

Zuletzt setzte auch die Rewe in Deutschland einen ersten Schritt in Richtung Klimaneutralitäts-Kennzeichnung. Seit 14. Dezember statten 520 Rewe Märkte in Bayern die Geflügelfleisch-Produkte ihrer Eigenmarke Wilhelm Brandenburg mit dem Hinweis "klimaneutral" aus. So wie Aldi und Lidl setzen auch die Kölner dabei auf zertifizierte Kompensationsprojekte. Parallel dazu werden bei den Eigenmarken langfristig die Treibhausgas-Emissionen entlang der Lieferkette reduziert. Bis 2030 soll das Emissionsvolumen bei den Private Labels der Rewe gegenüber 2019 um 15% abgesenkt werden.

Mit den klimaneutralen  Lebensmitteln wird ein neues, Warengruppen-übergreifenden Segment im Bio-Sortiment  des LEH geschaffen. Und ein neues Kapitel in der Beziehungskiste zwischen Lebensmittelhandel und Lebensmittelindustrie sowie der Landwirtschaft aufgeschlagen. Denn wie schon in den bisherigen Entwicklungsstadien des Bio-Geschäfts sind es die Handels- und nicht die Herstellermarken, die Innovationen vorantreiben und den LOHAS-Shoppertyp ansprechen. Dass in Deutschland ein Familienunternehmen und Handelsmarken-Produzent wie Gropper den Nestlés, Danones und Oetkers zeigt wo`s in Sachen Klimaschutz langgeht, ist gleichfalls äußerst bemerkenswert.

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geschrieben am

15.12.2020