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retailreport.at lauschte dem ersten Billa Tischgespräch vom  21.Oktober

Verscheuchung der Halloween-Gespenster

retailreport.at lauschte dem ersten Billa Tischgespräch vom 21.Oktober - von Dr. Hanspeter Madlberger.

Ein Erntedankfest, einträchtig zelebriert von Kaufmannschaft und Bauernschaft war beim ersten Billa Tischgespräch angesagt. Was diesen Twitter-Talk jedoch beherrschte, war ein Halloween-Grusel-Cocktail, serviert vom Landwirtschaftsministerium, halbherzig verteidigt von Bauernbund-Präsident Georg Strasser und gekonnt entzaubert von Billa Chef Marcel Haraszti und Ja! Natürlich-Manager Andreas Steidl.

Die gute Nachricht: Der ministerielle Verordnungs-Entwurf zur Umsetzung der von der EU vorgeschriebenen UTP-(Unfair Trade Practices-) Richtlinien befindet sich bereits in Begutachtung. Und von Handelsseite gibt es dagegen so gut wie keine Einwände.

Vorweg: Die Billa Tischgespräche, über Twitter einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht, sind ein begrüßenswertes, neues Social Media-Format zur sachlichen Diskussion brandaktueller Handelsprobleme. Die Premiere, die am 21.10. von 17 bis 18 Uhr ausgestrahlt wurde, hätte sich ein größeres Publikum verdient. Dass es  lebhaft, spannend und informativ zuging, dafür sorgte die Podiums-Besetzung: Ein eloquenter, sich für mehr Transparenz einsetzender Moderator  und Schiedsrichter (Peter Filzmaier), ein über weite Strecken um Konzilianz und sanfte Töne bemühter Hardliner der Agrarpolitik (Georg Strasser), eine Konsumentenschützerin, die aus ihrer Vorliebe für Bio-Handelmarken kein Hehl machte (Gabriele Zgubic-Engleder von der AK Wien) und ein ebenso angriffslustiger wie diplomatischer Rewe International-Chef, der die gute Zusammenarbeit mit Landwirtschaftspräsidenten Josef Moosbrugger mehrfach betonte.

Die Aufwärmrunde galt dem Thema "Regionale Produkte". Das Podium war sich darin einig, dass  jeder darunter etwas anderes versteht. Weshalb Billa in Bezug auf Herstellermarken mit der Unterteilung in Lokal (30 km-Radius) Regional (Bundesland) und Österreich (national), vermittelt über Regalschilder, einen ersten Sortierversuch unternahm. Strasser ließ mit der Bemerkung aufhorchen, regionale Produkte stünden für gesunde Ernährung. Eine Hypothese, deren ernährungswissenschaftliche Verifizierung noch aussteht. Zgubic-Engleder gab sich da schon kritischer. Regionalität sage nichts über die Qualität von Lebensmitteln aus. Als Beispiele nannte sie die Glashaus-Paradeiser und die mit Regenwald-Soja gefütterten Schweine vom Bauern aus der Region.

Dann aber ging's um die Causa Prima. Den mehrfach geäußerten Vorwurf unserer Landwirtschaftsministerin, Österreichs Lebensmittelhändler fügten  mit ihren Einkaufspraktiken Österreichs Bauern schwere Fouls zu. Inhaltlich festgeschrieben sind diese Vorwürfe in einem Schreiben von Köstingers Pressesprecher Daniel Kosak an die Rewe, das von Filzmaier auszugsweise zitiert wurde. Angeprangert werden, wie auch auf der Homepage des Ministeriums nachzulesen ist, die Bezahlung verderblicher Lebensmittel wie Paradeiser mehrere Monate nach der Lieferung. Die Weigerung, Liefervereinbarungen schriftlich festzuhalten. Die Rücksendung "unverkäuflicher" Mengen an Äpfeln trotz vertraglich festgelegter Liefermenge.

Haraszti macht seinem Ärger über diesen Rundumschlag des Ministeriums-Sprechers Luft: "Da wird ein Klassenkampf provoziert. Es ist unfair, die ganze Branche zu verunglimpfen. Der österreichische Lebensmittelhandel hat  sich  schon vor drei Jahren für eine Ombudsstelle  ausgesprochen." Und er bekräftigt einmal mehr: "Wir wollen die UTP Richtlinien zu hundert Prozent umsetzen!" Leider habe sich die Umsetzung verzögert. Ergänze: Durch Verschulden der Politik und nicht des Handels.

Der Billa-Chef, bestrebt, ein realistisches Bild der Zusammenarbeit seines Unternehmens und der ganzen LH-Branche mit der Landwirtschaft zu zeichnen: "Wir kaufen nicht bei tausenden kleinen Bauern ein, sondern in erster Linie bei Molkereien, von denen manche hunderte Millionen Euro Umsatz machen und bei Schlachtbetrieben. Und das auf einer Basis gegenseitigen Vertrauens". Steidl ergänzend: "Viele Bauern sind Teilnehmer von Qualitätsprogrammen, die sich auf Verträge gründen, die zumeist schriftlich festgelegt werden. Und bei diesen Verträgen stehen Lieferverpflichtungen der Landwirtschaft und Abnahmeverpflichtungen des Handels zueinander in einem ausgewogenen Verhältnis."

Georg Strasser, Bauer aus dem Mostviertel, gab sich redlich Mühe, die vom Ministerium beschwörten Halloween- Gespenster von der Bauerntheater-Bühne zu verscheuchen. "Es gibt in der Zusammenarbeit zwischen  Bauern und Lebensmittelhandel Phasen, wo es gut läuft und solche, wo es kriselt. Da hat sich einiges aufgestaut. Speziell bei den Molkereien und  den Fleischproduzenten.  Wichtig aber ist, dass wir den Dialog in Gang bringen."

Der Bauernbund-Präsident wäre ein schlechter Anwalt seiner Klientel, würde er im Disput mit dem Handel nicht die Geschütze bewährter Agrar-Polit-Propaganda in Stellung bringen. Unter Berufung auf die jüngste Studie des WIFO-Agrarexperten Franz Sinabell sagte Strasser, der Wertschöpfungs-Anteil der heimischen Landwirtschaft an der Wertschöpfung der gesamten Lebensmittelkette sei in den letzten Jahren gesunken, jener des Handels jedoch gestiegen. So weit so sachlich.

Wirtschaftswissenschaftlich in höchsten Maße fragwürdig ist indes der Schluss, den der Herr Präsident aus dieser gegenläufigen Entwicklung von Bauern- und Händler-Wertschöpfung zieht. Indem er die Ansicht vertritt: "Unsere Bauern kämpfen um ihre Existenz, der Lebensmittelhandel aber verdient Millionen". Gemeint ist offenkundig: Der Handel nimmt den Bauern viel vom Einkommen weg, das ihnen aufgrund ihrer Leistung zusteht.  Ein Dorn im Auge sind  Strasser solcherart  die Werbeausgaben des Lebensmittelhandels in Höhe von 240 Mio € im Jahr 2020.

Ganz offen gesagt: Wenn Bauernfunktionäre die Wertschöpfung (= Bruttomarge) des Lebensmittelhandels mit dessen Gewinn gleichsetzen, verdienen sie für dieses Foul von unsren Wirtschaftsweisen an den Unis zumindest die Gelbe Karte. Harasztis Replik war erwartbar: "Unser Lebensmittelhandel kommt auf eine Umsatzrendite von ein Prozent!"  Zeit wird's, dass sich die Studienautoren, die im Auftrag von Landwirtschaftskammer und Wirtschaftskammer arbeiten, zusammen setzen und  sich auf kohärente wissenschaftliche Befunde zum Thema Lebensmittel- Wertschöpfungskette verständigen.

Versöhnliche Schlussrunde:  Auf Anregung Filzmaiers nennen die Billa Tischrunden-Teilnehmer  Beispiele für geglückte Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaft und Lebensmittelhandel. Strasser hat klug recherchiert: Er verweist auf ein Flugblatt eines Gastro-Großhändlers, der österreichisches und ausländisches Putenfleisch anbietet  und seinen Kunden erklärt, warum das heimische Produkt um rund 30% teurer ist als die importierte Ware. Gabriele Zgubic-Engleder lässt Andreas Steidl strahlen: "Der Lebensmittelhandel hat Bio vorangetrieben". Also doch: Eine Ernte-Danksagung an Österreichs Bio-Bauern, die, entlohnt mit einem Bio Preisaufschlag, für die Eigenmarken-Produktion unserer Handelsketten aufkommen. Und an die heimischen Puten-Mäster, die ihre Ställe erweitert und den Tier-Besatz erhöht haben und es solcherart ermöglichten, dass Billa seinen Kunden jetzt zu 100% österreichisches Putenfleisch anbietet. Einem Thanksgiving in Rotweißrot steht nichts im Wege.

Kommentar: Hanspeter Madlberger

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geschrieben am

22.10.2021