Veränderte Essbiografien
In einem Webinar zum Thema „Ess-Biographie und Konsumverhalten“ stellten die vom "Forum Ernährung Heute (f.eh)" befragten Experten folgendes fest: Die Menschen kochen während der Coronakrise mehr und verstärkt frisch, werden sich aber auch ihrer wenig ausgeprägten Kochkompetenz bewusst und sind dadurch offen für verschiedenste Lernangebote. Diese Chance sollte die Politik nutzen, um eine Ernährungsbildung als Lifelong Learning umzusetzen, so die beiden Experten im ersten „f.eh live im Talk“ des f.eh zum Thema „Ess-Biographie und Konsumverhalten“.
Prof. Dr. Christine Brombach vom Institut für Lebensmittel- und Getränkeinnovation der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und Univ.-Prof. Dr. Jürgen König vom Institut für Ernährungswissenschaften der Universität Wien. Beide stellten fest, dass sich das Essverhalten während der Coronakrise verändert hat. „Menschen kochen öfter und mehrheitlich frisch. Das hat die Konsequenz, dass ihnen Lücken bei ihrer Kochkompetenz klar werden, und könnte das Bestreben auslösen, diese Lücken zu schließen. Das Bewusstmachen fehlender Kompetenz könnte dabei ein Trigger sein, um Ernährungsbildung verstärkt in den Alltag einzubauen“, so Jürgen König. Christine Brombach stimmt dem zu und sieht einen verpflichtenden Hauswirtschaftsunterricht in allen Schulformen als notwendige Maßnahme – wie in der Schweiz seit vielen Jahren umgesetzt. „Das so erworbene Wissen ist Teil des Grundwissens, das in der Bevölkerung später dann vorhanden ist. Die Coronakrise kann hier positive Effekte haben, denn der Tag wird mit Kochen und Essen strukturiert. Eltern haben begonnen, mit ihren Kindern gemeinsam zu kochen, und das hat den positiven Effekt, dass ihnen Lebensmittelkompetenz vermittelt wird.“ In der Ernährungsbildung müsse jedoch noch viel geschehen, so Brombach. „Sie sollte die gesamte Wertschöpfungskette umfassen und als Lifelong Learning aufgesetzt werden. Experten dürfen jetzt nicht stumm bleiben.“
Beide Experten sind sich einig, dass sich die Coronakrise auf die Essbiografie auswirkt. „Menschen neigen dazu, in Krisensituationen auf Bewährtes zurückzugreifen, das ihnen schon mal Sicherheit bot. Sie verbinden damit schöne Erinnerungen, die sie wiedererleben wollen. Das sind biografische Momente, die tief in uns verankert sind und in Krisen wieder zum Vorschein kommen. Das ist der Ausgangspunkt, um Neues aufzubauen und zu erfahren. Ich hoffe, dass für viele Menschen das Essen im kleinen Kreis eine neue Form der Begegnung miteinander bietet“, so Brombach. Den Menschen wird auch bewusst, wie abhängig sie von ihrer Umgebung sind, betont König. „Es gibt viele Lebensmittel nicht, weil Erntehelfer fehlen und es momentan keinen freien Warenverkehr gibt. Das macht den Menschen vielleicht nachhaltig bewusst, dass wir uns auf Dinge im engeren, regionalen Umfeld besinnen sollten.“