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25 Jahre Lidl in Österreich: Der heimische Lebensmittelhändler startet mit ausgebautem Marktanteil in das Jubiläumsjahr.

Überflieger Lidl

Marktanteilsgewinn in Österreich - Deutsche Cloud-Alternative zu Amazon. Ein Bericht von Hanspeter Madlberger.

Ob hierzulande, in Deutschland oder Europa: Discounter Lidl spielt in Inflationszeiten virtuos am Preisklavier und setzt damit dem Hauptrivalen Aldi stark zu, zugleich präsentiert sich Lidls Mutter, die Schwarz-Gruppe als innovativster Einzelhändler: Die neue Konzerntochter Schwarz-Digits steigt groß in die Cloud-Technologie ein und legt es sich solcherart mit dem US-Digital-Giganten Amazon an.

In den Zentralen mancher Händler  und Markenartikler dürften die Alarmsignale aufleuchten. Wie retailreport.at aus zuverlässiger Quelle erfuhr, stieg laut GfK Haushaltspanel der Marktanteil der Lidl Märkte im heimischen LEH im erstem Halbjahr 2023 auf 7,2%. Auch ein Wert von 7,4% kursiert in der Branche. Marktbeobachter sind sich einig: Kein anderes LEH-Format hat bislang im Inflations-gestressten Umsatzjahr 2023 so massiv zugelegt wie die Lidl-Diskontmärkte. Der jüngste Promotion-Schlagabtausch: „Wir ersetzen unseren Kunden die Mehrwertsteuer bei Grundnahrungsmitteln“ angezettelt von Lidl und prompt gekontert von Hofer, unterstreicht, wie heftig dieses Match um die Preisführerschaft geführt wird. Reaktion der Rewe-Tochter Billa: „So sparen Sie sich den Weg zum Diskonter!“  Mit dieser Schlagzeile wird eine massive Preissenkungswelle im Clever-Sortiment beworben. Der Verdrängungswettbewerb zwischen den Rewe-Formaten Billa und Penny hat es in sich.

Zwar kann der Discount-Sektor heuer generell stärker punkten als die Vollsortimenter, aber es kommt  auch zu Verschiebungen innerhalb der Billigbrüder. Neben Lidl dürfte, wenngleich in geringerem Ausmaß, auch Penny zugelegt haben, was den Schluss zulässt, dass Hofer, vom Umsatz her rund dreimal so stark wie Lidl, prozentuell gesehen, weniger stark steigerte. Zur Orientierung: Laut EHI Kompendium handelsdaten aktuell  2023 lag der Hofer-Umsatz im Jahr 2022, erzielt mit 540 Märkten, bei 4,8 Mrd. Euro, Lidl schaffte mit 257 Standorten in Österreich einen Umsatz von 1,56 Mrd. Euro. Es darf also an die alte Statistiker-Weisheit erinnert werden: Je kleiner die Berechnungsbasis, desto leichter lassen sich, wenn es gut läuft, schöne Wachstumsraten vorzeigen.

Unschuldslämmer in Sachen „Gierflation“

Im Interview mit dem Handelsblatt vom 30.9. sagte Gerd Chrzanowski, der neue CEO der Schwarz-Gruppe, „Die Zahl unserer Kunden steigt zwar an, gleichzeitig steigen aber unsere Einkaufspreise, die wir nicht so einfach weitergeben können“. Handelsblatt: „Das heißt, Sie verkaufen mehr und verdienen weniger?“ Chrzanowski: „So ist es“. Damit stimmt der Schwarz-Boss in den Chor seiner Kollegen in D und A  ein, die sich unisono als Inflationsverlierer deklarieren. Eine Sonderstellung dürfte in dieser Disziplin Lidl-Schwester Kaufland einnehmen. Laut jüngster Meldung der LZ konnte das Hypermarktmarkt-Format mit 1488 Häusern (davon 750 in Deutschland und 238 in Polen) und einem Verkaufserlös 2022 von 31,8 Mrd. Euro im  jüngsten Geschäftsjahr nicht nur den Umsatz, sondern auch die Erträge steigern.

Inflations-Opfer und nicht -Täter zu sein, beanspruchen jedenfalls namhafte heimische Markenartikel-Produzenten. Vivatis-Chef  Gerald Hackl erklärte im Standard-Interview vom 6. Oktober, sein Unternehmen müsse heuer rund 160 Millionen Euro an Mehrkosten an die Kunden weitergeben (Anm.: Das sind immerhin rund 14% vom Umsatz in Höhe von 1,2 Milliarden Euro), aber auf  20 Millionen „bleibe man sitzen“. Multinationale Mitbewerber, die im Gegensatz zu Vivatis nur wenige Prozente ihres Geschäftes in Österreich tätigen, würden sich jedenfalls viel leichter tun, höhere Preise am Markt durchzusetzen und dabei auch noch Supergewinne einzufahren, meinte Hackl. Das „Schwarzer Peter“-Spiel entlang der Lieferkette: „Wer ist Inflations-Profiteur?“ geht also weiter.

Lidl punktet gegen Aldi. In Deutschland, Europa und weltweit

Wir werfen einen Blick auf den heftigen Verdrängungswettbewerb im LEH, befeuert durch die Krisen der letzten Zeit: Unbestritten ist, dass die Schwarz-Gruppe seit Jahren am deutschen und am europäischen LEH-Markt besser performt als Aldi, das einstige Vorbild von Lidl. 2022 erzielte die Schwarz-Gruppe im deutschen LEH einen Umsatz von 44,4 Mrd. Euro. Das bedeutet Rang zwei hinter der Edeka (61,1 Mrd. inklusive Netto), und vor der Rewe (39,95 Mrd. inkl. Penny). Erst dahinter folgen die beiden Aldis (31,71 Mrd.). In Europa bringt die Schwarz-Gruppe 102,3 Umsatzmilliarden Euro auf die Waage, Aldi Süd und Nord zusammen schaffen nur 71,4 Mrd. Im Ranking der weltweit größten Einzelhändler belegt Schwarz mit 159,8 Mrd. $ den respektablen Rang vier, Aldi kommt auf den sechsten Platz mit 130,4 Mrd. $ (Quelle: Manager Magazin 5/2023).

Lidls sehr spezielle Einkaufsstrategie

Branchenkenner sind sich darin einig: Der internationale Lidl-Einkauf spielt in einer eigenen Liga. Angesichts der Tatsache, dass immer mehr internationale Markenartikler die D-A-CH-Region als einheitlichen Absatzmarkt betrachten (viele sehen Österreich als Anhängsel zum deutschen Markt) kann man davon ausgehen, dass der kleine rotweißrote Lidl bei den Einkaufskonditionen von der Nachfragepower seines großen Bruders profitiert.

Bei der GS1 Gala im Parlament berichtete ein gestandener Industrie-Manager, Lidl kaufe nur mehr direkt bei den Produzenten“. Das bedeutet: Importeure, auch Broker genannt, haben in Neckarsulm kein Leiberl. „Ausschaltung des Zwischenhandels“ ist also angesagt. Ein weiterer Grund, warum Lidl auch hierzulande mit seiner Preispolitik punkten kann, liegt im Mix aus Hersteller- und Eigenmarken. Wenn ein Frischwarenproduzent Lidl sowohl mit der Hersteller- als auch mit der Handelsmarke beliefert, kann es leicht dazu kommen, dass die Qualitätslevels der beiden Markensysteme sich angleichen, während die Preise immer weiter auseinanderklaffen. Indem Lidl, im Gegensatz zu Aldi/Hofer oder der Spar seine Eigenmarken-Produzenten durch die Bank auf der Packung deklariert, avanciert die Herstellermarke bei aufmerksamen Kunden zum Verkaufshelfer der Private Labels.

Lidl startet im Frühjahr 24 mit Tierwohl-Programm

Die „Revolution bei Lidl“, vom Handelsblatt ausgerufen, äußert sich abseits der Preispolitik auch darin, dass das Unternehmen in Sachen Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsibility international, aber auch bei uns immer deutlichere Akzente setzt. Wie aus Kreisen der heimischen Fleischwirtschaft zu erfahren war, plant Lidl für den März kommenden Jahres, in Zusammenarbeit mit der leistungsstarken oberösterreichischen Schlachthof- und Zerlegefirma Großfurtner die Einführung einer Tierwohl-Eigenmarke. Man darf gespannt sein, wie viele Schweine-, Rinder- und Geflügelbauern auf die Schnelle ihre Ställe umrüsten konnten, um für Großfurtners Kunde Lidl die erforderlichen Mengen an Tierwohl-Fleisch bereitzustellen.  
In Deutschland sorgte das Schwarz-Imperium mit der im Jahr 2018 gestarteten Müll-Entsorgungs- und Recyclingfirma Prezero für erhebliches Aufsehen. Mittlerweile ist Prezero nach Übernahme der Cespa-Gruppe auch in Spanien und Portugal tätig und kann  2022 bereits einen Umsatz von 3,9 Mrd. Euro vorweisen. Die neue Einwegpfand-Verordnung, die 2025 bei uns in Kraft tritt, wäre  möglicherweise der passende Anlass für Lidl, mit Prezero auch in Österreich aktiv zu werden.

Digitale Wolke für deutsche Wirtschaft

Der größte Diversifikations-Schritt, den Chrzanowski im Auftrag des 84-Jährigen Patriarchen Dieter Schwarz setzt, trägt die geheimnisvolle Bezeichnung IPAI. Das  Kürzel steht für Inovation Park Artificial Intelligence. IPAI, das Flagship-Projekt der neuen Konzerntochtrer Schwarz Digits, stellt alle eCommerce-Initiativen in den Schatten, die deutsche Handelskonzerne  bislang ergriffen haben. Bis zu zwei Milliarden Euro will Schwarz laut Handelsblatt-Recherche für die Errichtung und Inbetriebnahme des 16 Hektar großen IPAI-Campus in Bad Friedrichshall in der Nähe von Heilbronn investieren. Baubeginn ist 2024, 2026 soll das IT-Service-Business anlaufen..

Im Endstadium sollen  bis zu 5000 IT-Experten  nach dem Vorbild der US-IT-Riesen Amazon Web Services (AWS) eine eigene Cloud-Sparte aufbauen und betreiben. Prinzip der maßgeblich von Microsoft entwickelten Cloud-Technologie: Unternehmen können große Bereiche ihres IT-Systems (Daten,, Software-Programme)  an die virtuelle „Wolke“ eines Dienstleisters (Servers) gegen Zahlung einer Miete ausgliedern. Auf diese Weise können die Cloud-Kunden die hauseigenen Rechenzentren samt der entsprechenden Hardware (stationäre und mobile Computer) entlasten, zugleich aber auf die gigantischen Datenmengen zugreifen, die für den Einsatz der KI-Systeme erforderlich sind. Einfach ausgedrückt. Cloud erschließt auch kleinen Unternehmen den Zugang zur KI-Nutzung. Schon jetzt sollen hundert deutsche Firmen ihr Interesse angemeldet haben.

Wenn es der Lidl-Boss mit dem Zungenbrecher-Namen schafft, über Heilbronn die virtuelle IPAI-Wolke aufsteigen zu lassen, dann könnte Discount-Champion Lidl zwei entscheidende Wettbewerbs-Vorteile verbuchen: Erstens dem Unternehmen zu einer neuen, kräftig sprudelnden Einnahmequelle verhelfen, ein Äquivalent für die schrumpfenden Erträge des  stationären Discountgeschäfts. Bei Amazon steuerten die Überschüsse der Cloud-Sparte im ersten Quartal 2023 nicht weniger als 74% (!) zum Konzerngewinn bei. Der zweite große Vorteil liegt in der Cybersicherheit, was die eigenen Daten betrifft. Chrzanowski, auf die Handelsblatt-Frage, welche Daten am stärksten vor fremdem Zugriff geschützt werden sollen: „Für einen Discounter sind das auf jeden Fall die Einkaufspreise“.

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geschrieben am

06.10.2023