Werbeverbote: Wir sind zu leise
Es trifft sie alle: Hersteller/Industrie, Marketer, Werbetreibende und natürlich alle Medien: die drohenden Verschärfungen der Werbung. Im Hinblick auf „vulnerable“ Zielgruppen. Werbeverbote und -einschränkungen lassen die öffentliche Diskussion hochkochen. Im 5. Hybriden Branchentalk der Fachgruppe Werbung und Marktkommunikation Wien wurde dieses polarisierende Thema aufgegriffen. Moderiert von Sigrid Neureiter-Lackner, Fachgruppe Werbung und Marktkommunikation Wien, gingen Saskia Wallner, CEO Ketchum Austria & Ketchum Global Partner; Ralf-Wolfgang Lothert, Commercial Director JTI Austria; Eugen Lamprecht, CSO Schlumberger; Martina Stranzinger-Maier, Werberechtsexpertin bei PHH Rechtsanwälte und Jürgen Bauer, Obmann der FG Werbung und Marktkommunikation Wien den Fragen nach:
- Sind Werbeverbote gerechtfertigt oder handelt es sich hier um Überregulierung?
- Wo bleibt das Recht auf eigene Meinungsbildung oder Selbstbestimmung?
- Wie kann man Produkteinführungen oder Innovationen medial oder werblich fördern, ohne die gesetzlichen Verbote zu verletzen?
- Welche wirtschaftlichen Auswirkungen haben diese zunehmenden Werbeverbote auf Wirtschaft, Kreativbrache und Medienlandschaft und was sind die Alternativen?
Martina Stranzinger-Maier sieht bereits im „Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb“ eine strenge in sensiblen Bereichen wie Umweltwerbung, Lebensmittel etc. Das bedeutet, dass man in Österreich diesbezüglich schon sehr sensibel aufgestellt ist, wenn es um Werbung für zum Beispiel Kinder und Jugendliche geht. Aber auch bei „irreführender Werbung“ ist Österreich schon streng reguliert. Der Konsument muss auf der Packung sehen können, was in der Packung drinnen ist, und darf nicht in die Irre geführt werden.
Gerade bei Alkohol wird von den Herstellern genau beschrieben, was in den Gebinden drinnen ist, so Eugen Lamprecht: natürlich sind es strenge Einschränkungen, aber man dürfe außerhalb der Aufmerksamkeit von Minderjährigen, Kindern und Jugendlichen Printwerbungen und auf anderen Plattformen Werbung machen. „Wir sind damit zufrieden“, so Lamprecht.
Aber die Vertreter von Genussmitteln gehen davon aus, dass die Handhabungen in Zukunft schärfer werden. Allerdings: fängt man einmal mit restriktiven Maßnahmen gegen manche Warengruppen an, so höre der Weg nicht mehr auf. Ralf-Wolfgang Lothert spricht von „Slippery Slope“, einem Dammbruch, der zur Zeit „noch“ über die Besteuerung der besagten Warengruppen abgefedert wird.
Was es aber braucht, so ist sich Saskia Wallner sicher: „Mit den Stakeholdern im Gespräch zu sein. Je mehr man im Gespräch ist, desto weniger braucht man ein Verbot“.
Jürgen Bauer sieht eine weitere Gefahr: 80% der Lebensmittel, die wir jetzt haben, darf man nicht mehr bewerben. Dann fehlen auch Steuereinnahmen. „Wenn es etwas legal in Österreich zu kaufen gibt, dann muss man es auch bewerben können“. Die bisherigen Einschränkungen sind für ihn völlig ok. Aber man vergisst auch die Staats-Einnahmen über Steuern. Denn: es geht dabei viel Geld.
Im Podium ist man sich sicher: Wir leben in einer der ehrlichsten Werbezeiten überhaupt und die Branche stellt viele Arbeitsplätze. Wenn die Werbeverbote kommen, dann darf man irgendwann nur mehr den "nackten Brokkoli an die Werbetafel hängen" und auch nur dann, wenn er „lupenrein“ geprüft sei..
Schon heute schaut die Branche auf maßvollen Umgang mit Genussmitteln, ist von den Werberäten sehr gut unterstützt und verhält sich seriös. Werberat-Präsident Michael Straberger: „Die Industrie überlegt dauernd, was man im Sinne der Verantwortung tun kann, um nicht immer auf Gesetze und Verordnungen zu warten, sondern schon vorher zu agieren“.
Die Werbung macht Kinder nicht krank, die Gesellschaft habe ein Defizit. Die Politik sei seit Jahren säumig von sich aus Zeichen zu setzen: Turnen in der Schule; oder Fit und Fun-Aktivitäten, um nur zwei Beispiele zu nennen. Werbung alleine ist nicht schuld, dass Österreich zu dick ist, da nehme man auch den Gesundheitsminister in die Pflicht. Schwierig ist es nur dann, wenn die Bevölkerung reguliert werden will, weil man das jahrzehntelang in der Politik vorgelebt hat.
Die Branche ist gegen Werbeverbote und hat Vertrauen in den mündigen Bürger. Man solle mehr Zutrauen zum erwachsenen Menschen haben. Als Branche lasse man sich das Reden nicht verbieten.
Gegen gesetzliche Einschränkungen
Schon im Jänner wehrte sich der Marketing Club Austria gegen gesetzliche Änderungen bei Marketing und Werbung. "Werbeverbote sind in den meisten Fällen die Ultima Ratio. Viel zu oft wird hierzulande der Ruf nach Werbeverboten laut, obwohl es eine Vielzahl an geeigneteren Strategien und Maßnahmen gibt, um gesellschaftliche Herausforderungen zu meistern“, erklärte Andreas Ladich, Präsident des Marketing Club Österreich (MCÖ). Stein des Anstoßes seitens des MCÖ waren die Schlussfolgerungen von Gesundheitsminister Johannes Rauch im Zuge einer veröffentlichten Studie der Universität Wien. Im Rahmen dieser wurde das Werbeumfeld der von Kindern und Jugendlichen am häufigsten genutzten Social-Media-Plattformen – Instagram, Youtube, TikTok und Twitch – untersucht, um ein Jahr lang Werbebeiträge für Lebensmittel, Getränke und Produktdarstellungen der 61 größten Lebensmittelmarken in Österreich sowie der reichweitenstärksten deutschsprachigen Influencer zu analysieren. Gesundheitsminister Rauch fordert aufgrund der Ergebnisse der Studie die strengere Regulierung von Lebensmittelwerbung, die an Kinder gerichtet ist, und schwingt dabei kräftig mit der Werbeverbote-Keule.
Der Marketing Club Österreich lehnt seit jeher Einschränkungen und Verbote jeglicher Art ab, nicht zuletzt, um wirtschaftlichen Schaden von marketing- und werbetreibenden Unternehmen und dem gesamten Marketing- und Werbe-Ökosystem in Österreich abzuwenden.
„Wir vom Marketing Club Österreich verstehen, dass Änderungen des Ernährungsverhaltens von Kindern und Jugendlichen wünschens- und erstrebenswert sind. Wir sind aber auch der Ansicht, dass die marketing- und werbetreibende Wirtschaft vor regulierungswütigen Politikern, die wirtschaftsschädliche Werbeverbote fordern, geschützt werden muss. Es gibt bereits genug Werbeverbote und -einschränkungen, die den Wirtschaftsstandort gefährden und Unternehmen, die Arbeitsplätze sichern und für ein entsprechendes Steueraufkommen sorgen, in ihrem Wirken einschränken und behindern“, erklärte MCÖ-Präsident Andreas Ladich und fügt hinzu: „Es gibt einige Maßnahmen, die der Gesetzgeber umsetzen könnte, um die Entstehung von Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen sowie potenziell lebenslanger Folgeerkrankungen zu reduzieren – angefangen bei der Ausweitung des Turnunterrichts an Schulen über die Vermittlung von Medienkompetenz bei Heranwachsenden bis hin zu effektiven Awareness-Kampagnen für Eltern und Kinder.“ Ladich weiter: „Unabhängig davon appellieren wir auch an die freie Entscheidung und den Hausverstand der mündigen Konsument:innen. Und wir appellieren an die Selbstverantwortung von marketing- und werbetreibenden Unternehmen. Denn wer sich seiner Selbstverantwortung bewusst ist und dieser auch gerecht wird, vermeidet Diskussionen über und Androhungen von Werbeverboten.“