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Beim Textilhandel reißen alle Nähte

Beim Textilhandel reißen alle Nähte

COVID-19 und Online-Boom stürzen Modefachhändler in Existenz-Krise. Connected Retail taugt nur sehr bedingt als Rettungsleine.

Dr. Hanspeter Madlberger

Wenn Österreichs Textil-Fachgeschäfte und -märkte als Frequenzbringer der City- Einkaufsstraßen und als Magneten vieler Shopping Malls ab dem 8. Februar wieder aufsperren dürfen, beginnt für die Branche eine heiße Phase der Bewährung. Angesichts der schweren Umsatz- und Ertragseinbußen, die sie in den letzten zwölf Corona-Monaten erlitten, stehen nicht nur Mittelständler sondern auch Großfilialisten in den kommenden Monaten vor einem Überlebenskampf. Der Staat kann und soll Überbrückungshilfe leisten. Aber auf langer Sicht sind die Unternehmer selbst für das Recovery-Programm verantwortlich. Ob da eine Online-Offensive hilfreich ist, bezweifeln Experten.

COVID-19 und Online-Handel verbündeten sich 2020 zu einem Duo Infernale, das dem stationären  Modeläden dramatisch zusetzte. Das zeigt ein aktueller empirischer Befund: 

  • In Deutschland stieg laut Bundesverband E-Commerce und Versandhandel (bevh) der B2C-Internet-Umsatz von 2019 auf 2020 um 14,6% auf 83,3 Mrd. €. Um rund 20% und damit überdurchschnittlich wuchsen die Marktplatz-Umsätze, die damit für fast 50% des gesamten Online-Verkaufsvolumens aufkamen. Der Internet-Bekleidungshandel legte in D um 13,2% zu. Im Gegenzug schrumpften die Umsätze im stationären Textilhandel um 21,5 %, bei den Warenhäusern um 9,9%.
  • Wie dieser Tage bekannt wurde, steigerte Amazon Deutschland im Jahr 2020 seinen Umsatz um 32% auf 25,9 Mrd. €. Allein mit seinem Webshop kam der Online-Gigant auf  einen Marktanteil von knapp 30%, die Marktplatz-Verkäufe sind  da noch gar nicht mit gerechnet. Inklusive der Plattform-Umsätze erreichte Amazon D einen Online-Marktanteil von rund 50%. Laut Handelsverband konnte das Unternehmen seine Österreich-Umsätze im letzten Jahr um 30% steigern.
     

Modegeschäfte leiden doppelt: Schrumpfende Nachfrage, wachsende Online-Konkurrenz

Entsprechend groß sind die Einbrüche im heimischen Handel. Consultant Mag. Andreas Kreutzer (Institut Branchenradar) lieferte retailreport.at brandaktuelle Daten: Laut Statistik Austria schrumpften von 2019 auf 2010 die Umsätze im heimischen Bekleidungs- und Schuhhandel um nicht weniger als 24% (Der Handelsverband meldet ein Minus von 22%). Im Gegenzug nahmen die Online-Verkäufe um rund 17% zu. Ein Drittel des Modeumsatzes läuft hierzulande bereits über Online. Auf den Ladenhandel wirkt sich diese Verschiebungen noch dramatischer aus, weil parallel dazu der Gesamtumsatz der Branche infolge von Corona deutlich zurückging.

Dr. Rainer Trefelik, seit Jahresmitte 2020 neuer Obmann der Sparte Handel in der Bundeswirtschaftskammer, kommt  im Gespräch mit retailreport.at zu ähnlichen Ergebnissen. Umsatzeinbußen heimischer Textilhändler im Ausmaß von 30% seien keine Seltenheit. Es gibt große Unterschiede von Firma zu Firma, von Region zu Region. Trefelik weist darauf hin, dass hierzulande das Umsatzminus drastischer ausfällt, als in Deutschland. Die Einbußen im Geschäft mit Touristen und der Wegfall großer gesellschaftliche Events, vom Opernball bis zu den Sommerfestivals, schlagen stärker zu Buche. Die Brüder Trefelik betreiben in der Wiener Kärntner Straße das traditionsreiche Luxusmode-Kaufhaus Popp und Kretschmer.

Gradmesser der Shifts von Offline zu Online sind die Umsätze der Paketdienste. Kreutzer hat dazu spektakuläre Zahlen anzubieten. Im B2C Geschäft weisen die diversen Paketdienste (Post, DHL etc.) für 2020 ein Mengenplus von 31% aus. Die Versandpakete der Onlinehändler haben um 27% zugelegt, die C2B-Retouren gar um 45%. "Rund die Hälfte der online gekauften Textilien werden zurückgeschickt" weiß Kreutzer.

Renditen-Vergleich: Zalando schlägt H&M

Helle Aufregung ob dieses Branchenbebens herrscht auch unter Deutschlands Textil-Filialisten. "Eine ganze Branche wird zum Schafott geführt" sagte Patrick Zahn, Chef des Textildiskontfilialisten Kik (steht für Kunde ist König) im Interview mit dem Handelsblatt vom 3. Februar. Kik, zu 100% im Eigentum der Familie Tengelmann, erzielte 2019 mit mehr als  3500 Filialen in zehn europäischen Ländern (darunter auch Österreich) einen Umsatz von 2,1 Mrd. €, ein Minus von nur 6,5%. Dass Kik relativ glimpflich davon kam, liegt daran, dass die Nachfrage nach Billigmode in Krisenzeiten wächst. Andererseits aber findet wegen des kleinpreisigen Sortiments eine Umsatzverlagerung in Richtung Online kaum statt. 50% der Kik-Artikel kosten laut Zahn weniger als 1,99 €. Auf dem deutschen Heimmarkt belegt Kik mit einem Umsatz von 1,74 Mrd.€ (2019) unter den Textilfilialisten den zweiten Rang hinter dem Vertical H&M und vor dessen Hauptrivalen Inditex (Zara).

Stichwort: H&M. Wie das EHI am 4.Februar bekannt gab, sackte im letzten Jahr der Konzernumsatz des schwedischen Textilriesen um 18% (=4 Mrd. €) auf 18 Mrd. ab. Zwar stieg der Onlineumsatz um 38% und macht mittlerweile 28% vom Gesamtumsatz aus. Ein schwacher Trost: Denn während der Onlineumsatz, absolut gerechnet, nur um 135 Millionen € zulegte, rasselte der Gesamtumsatz um 4 Milliarden € herunter. Und weil zudem in das Digitalprojekt viel Geld investiert werden musste, stürzte der Gewinn vor Steuern förmlich ab: Von 1,7 Mrd. € (2019)  auf 0,2 Mrd.(2020). Dessen ungeachtet wollen die Schweden 2021 ihr Internet-Business weiter ausbauen. Und ihr Ladennetz per Saldo um 250 Standorte  reduzieren.

Europas größter Fashion-Onlinehändler ist Zalando, mit Hauptsitz in Berlin. Der in seiner Startup-Phase unter der Obhut des Investors Samwer Rocket  zum Online-Riesen herangewachsene Web-Retailer, der ursprünglich auf den Schuhhandel setzte und erst später in die Bekleidungsbranche wechselte, konnte in den letzten Jahren als Fachhändler gegenüber dem Generalisten aus Seattle formidabel punkten. 2020 gelang es Zalando seine Umsätze, von 6,5 Mrd. € um rund 20% auf 7,8 Mrd. € zu steigern. Und dabei einen operativen Gewinn in der Größenordnung von 400 Mio € einzufahren.

Plattformen von Zalando und Amazon:  Eine zweischneidige Sache

Was dem Zalando-Erfolgsrezept seine besondere Pikanterie verleiht, ist das im Jahr 2018 gestartete Programm namens Connected Retail. Es lädt stationäre Textilkaufleute ein, sich mit ihren Webshops auf der Zalando-Plattform einzumieten. Mittlerweile sind 2600 Modehändler aus Deutschland und sieben weiteren europäischen Ländern an Bord und erhoffen sich auf diese Weise, wie der Spiegel schrieb, Hilfe vom Feind. Heuer will Zalando die Händler-Akquise auf Österreich, Italien  und andere Märkte ausweiten. Und damit die Anzahl der Partner auf 6000 steigern. Die Mieten im virtuellen Zalando-Shopping Center liegen zwischen 15 und 20 % des erzielten Umsatzes, nur die ersten Monate sind gratis. Während der deutsche Handelsverband HDE dem Zalando-Modell viel Positives abgewann, dürfte man beim EHI in Köln über das Wording not amused sein. Denn seit Jahren verwendet  das renommierte Handelsinstitut Connected Retail als neutralen Fachbegriff. In der jüngst publizierten gleichnamigen Studie wird  Connected Retail als Weiterentwicklung des Omnichannel Retailing beschrieben. Zusätzliches, systemprägendes Element ist der digitale 1:1-Dialog mit dem indivuellen Kunden. Connected Retail ist solcherart aus EHI-Sicht die Gegenstrategie zur Plattform-Beteiligung und damit zum Zalando-Modell. 

So treibt die Digitalisierung im Handel immer neue Blüten, der Boom der Internet- Plattformen hält unvermindert an. Wie die Wirtschaftswoche vom 29.1. berichtete, betrat die russische Plattform Wildberries Mitte Jänner die deutsche Online Retail Szene. Wildberries, gegründet vor 16 Jahren von Tatjana Bakaltschuk, schaffte 2020 laut Eigenangaben daheim sowie in Polen und der Slowakei einen Umsatz von  insgesamt 5,33 Mrd. €,  erwirtschaftet die Hälfte davon mit Bekleidung und bietet als Webshop-Marktplatz tausenden mittelständischen Textilhändlern den Zugang zum Online-Business. In unserem Nachbarland Slowakei plant das Unternehmen die Errichtung eines Logistiklagers, eine Investition in Höhe von 200 Mio. €. Der Schritt nach Österreich, nach dem Vorbild von Gurkerl ist da wohl nur ein kleiner . 

Viele Nonfood-Händler sind am Online-Trip

Nicht nur Generalisten wie Amazon und eine Phalanx von Modehändlern sind im Online-Konvoi unterwegs. Parfümeriefilialist Douglas, auch hierzulande stark präsent, konnte 2020 bereits eine Milliarde Euro, das ist rund ein Drittel des Gesamtumsatzes über das Internet abwickeln.  Im Gegenzug sollen in den kommenden Jahren europaweit 500 der knapp 200 Douglas Läden schließen. Beim Optiker Fielmann schrumpften 2020 die Umsätze um 8%, der Gewinn hingegen um 33%. (Quelle: Handelsblatt). Das Unternehmen will weiterhin international expandieren (2020 wurden 80 Filialen in Spanien zugekauft) und parallel dazu das Online-Geschäft ausbauen. Buchhandelsketten wie Thalia und Morawa blasen im Zwei-Kanal-Ton  dem weltgrößten Branchenkollegen Amazon den Marsch. Dessen Marktanteil hat den Plafond erreicht.

Aber: Als Rettungsleine für den Corona-geschwächten, mittelständischen heimischen Einzelhandel taugt der Online-Vertrieb nur sehr bedingt. Berater Kreutzer attestiert den Internet-Shops hohe Kosten bei marginalen Umsatz-Aussichten. Die Shöpping-Plattform der Post, ausschließlich für rotweißrote Anbieter reserviert, schaffte 2020 mit rund 1000 Mietern gerade einmal einen Marktplatz-Umsatz von 60 Millionen Euro! Rainer Trefelik und der überaus umtriebige, im Einsatz digitaler Tools sehr bewanderte Regionalfilialist Mag. Johannes Behr-Kutsam aus Steyr sind sich einig: Die Website ist unverzichtbar für digitale Kommunikation und Kundenbindung, aber die damit erzielbaren Zusatzumsätze sind mehr als bescheiden. Behr-Kutsam: "Allenfalls kann man über Suchmaschinen Restposten abverkaufen". In Shutdown-Zeiten lassen sich über Click & Collect nur solche Kleidungsstücke verkaufen, die man nicht anprobieren muss.

Vertikale Kooperation und horizontaler ERFA-Austausch mit Kollegen wären in dieser Situation dringend erforderlich. Funktionierende Verbundgruppen aber sind bei unseren Textilianern, anderes als im Lebensmittelhandel, Mangelware. Kreutzer empfiehlt die Franchise-Partnerschaft, Behr-Kutsam lobt den Modering als Beschaffungs-Plattform. Der Versuch, die international aufgestellten Online-Riesen mit ihren eigenen Waffen zu schlagen und damit heimische Arbeitplätze und heimische Wertschöpfung zu sichern, ist bislang weitgehend gescheitert.  Ob das Kaufhaus Österreich heuer den digitalen Modefrühling einläutet?

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geschrieben am

05.02.2021