Direkt zum Inhalt
So beeinträchtigt  der Ukraine-Krieg Europas Gemüse- und Obst-Märkte

Lebensmittel-Versorgung im Umbruch

So beeinträchtigt der Ukraine-Krieg Europas Gemüse- und Obst-Märkte

Bericht: Hanspeter Madlberger

Der furchtbare Krieg in der Ukraine hinterlässt tiefe Spuren in Europas Lebensmittel-Lieferketten. So ist auch das Obst- und Gemüse-Angebot in unseren Supermärkten von den steigenden Rohstoff-, Energie- und Transportkosten auf vielfältige Weise betroffen. Neben der Inflation stehen Versorgungssicherheit und Maßnahmen in Reaktion auf den fortschreitenden Klimawandel im Blickfeld der Branche. Eine profunde Analyse all dieser Marktverwerfungen beim Grünen Sortiment legte vor kurzem die Bundesvereinigung der Erzeugerorganisationen für Obst und Gemüse Deutschlands (BVED) vor. Hier die wichtigsten Ergebnisse:

Die Unterglas-Produktion von Gemüse, besonders verbreitet in den Niederlanden, Deutschland und anderen nord- und westeuropäischen Ländern hat unter den exorbitant gestiegenen Erdgas- und Strompreisen besonders heftig zu leiden. So erhöhten sich die Produktionskosten von Tomaten in Deutschland im heurigen Jahr gegenüber 2019 um 22%. Das bedeutet laut BVED für die Landwirte einen Kostenanstieg von 33 Cent/Kilo. Vergleichsweise niedrig ist hingegen der Verteuerungseffekt bei der Logistik. Ein Kilo Paradeiser von Almeria in Spanien nach Berlin zu transportieren, kostet infolge gestiegener Spritkosten nur um 6 bis 8 Cent mehr. Unterm Strich verbessert sich solcherart die Wettbewerbssituation der Gemüseproduzenten in den Mittelmeerländern gegenüber den Glashaus-Gärtnern in nördlicheren Gefilden.

Unmittelbare Folge der Erdgas-Preisschubs: In Deutschlands Gewächshäusern wurde das Gemüse, um Kosten zu sparen, später gepflanzt als in früheren Jahren. Anders als bei Getreide und Pflanzenfetten leisten bei Gemüse und Obst die Lieferungen aus der Ukraine so gut wie keinen Beitrag zur Versorgung von EU-Europa. Viel gravierender schlägt hingegen beim Freilandanbau das Fernbleiben ukrainischer Erntehelfer zu Buche. Vor allem bei der Spargelernte, die schon anläuft. Kurzfristig stehen die Gemüsebauern unter Druck, den Landarbeitern höhere Löhne zu bezahlen, was sich abermals in höheren Kosten und Preisforderungen in Richtung Abnehmer niederschlägt. Langfristig verstärkt sich laut BVED auch beim Gemüseanbau der Zwang zur Mechanisierung und Automatisierung. In Frankreich sind Spargel-Ernteroboter schon im Einsatz, in Deutschland, ebenso wie bei uns ist diese Großinvestition noch Zukunftsmusik.

Gemüsebauern genießen gegenüber den Obstbauern den Vorteil, ihre Angebotspalette je nach Marktlage von  Jahr zu Jahr variieren zu können. Zum Beispiel: Weniger Häuptelsalat, dafür mehr Broccoli. Wenn sich die Erzeugergemeinschaften auf  keine gemeinsame Strategie verständigen, kann es jedoch sehr leicht zu Über- oder Unterversorgung kommen. Um den Energie-Kostendruck bei der Kühllogistik und dem Verderbrisiko auszuweichen, stiegen in Deutschland viele Bauern von der Frischgemüse- auf die Lagergemüse- (Karotten, Rote Rüben, Petersilie etc) -Produktion um. Mit dem Ergebnis, dass im ersten Quartal 2022 zuviel Ware auf Lager liegt, was wiederum den Verkaufspreis nach unten drückt.

Strukturwandel im Obstbau: Ein langfristiges Projekt

Ganz anders stellt sich in so turbulenten Zeiten der Mix aus Chancen und Risiken beim Obstbau dar. Ältere Obstsorten durch neuere zu ersetzen, ist ein Prozess, der sich über viele Jahre hinzieht. Da spielen Nachhaltigkeits-Überlegungen, wie man sie aus der Forstwirtschaft kennt (die ja den Begriff Nachhaltigkeit erfunden hat) eine bedeutende  Rolle. Hohe Lizenzgebühren für urheberrechtlich geschützte Neuzüchtungen, die so genannten Club-Sorten (wie z. B. Pink Lady) sind ein gewichtiger Faktor bei der Investitionsrechnung für Neuauspflanzungen.

Der Ukraine-Krieg hat, anders als beim Gemüse, einen direkten Einfluss auf das Geschäft mit Äpfeln und Birnen. Russland importiert jährlich 4,5 Millionen Tonnen Obst. Infolge der weltweiten Sanktionen bricht dieser Absatzmarkt heuer für die westlichen Produzenten weg. Die Mengen müssen in andere Absatzregionen umgelenkt werden. So führt  der Krieg in der Ukraine zu Veränderungen der globalen Warenströme, aktuell besonders bei Früchten von der Südhalbkugel wie Bananen oder Äpfel. Das trifft auch für  Konzerne wie die BAYWA zu, die sich in den letzten Jahren auf Neuseeland riesige Obstplantagen zugelegt hat. Ab Mai setzt verstärkt die europäische Obstproduktion ein. Wie reich in unseren Breiten die Ernte 2022 ausfällt, hängt in hohem Maße vom Wetter ab. Die BVED will, was das heurige Obstgeschäft betrifft,  keine Prognose wagen: "Eine  Markteinschätzung 2022 gleicht einem Blick in die Glaskugel".

Heimische Apfelbauern in einer schwierigen Situation

Wir bleiben beim Obstmarkt und wenden uns der speziellen Situation in Österreich zu. Wie die AMA dieser Tage meldete, verlaufen auch die Apfelexporte unsrer Produzenten zur Zeit schleppend. 2021 wurde weltweit viel produziert, 2022 wird weniger  konsumiert. Auf dem Weltmarkt herrscht ein Überangebot, weil Russland als Abnehmer ausfällt. Zugleich aber  steigen die Stromkosten in den Lagern. Da muss der heimische Lebensmittelhandel sich ordentlich zusammenreißen, viel Solidarität mit den heimischen Apfelbauern beweisen und ihnen trotz des globalen Überangebots kostendeckende Preise bezahlen. Noch schwieriger ist die Situation bei den Bio-Äpfeln, wo die Konsumenten angesichts der rasant  steigenden Inflation nicht bereit sind, für Premium-Qualität auch ein entsprechendes Preispremium in Kauf zu nehmen. Laut Statistik Austria stammen 84% des heimischen Apfelkonsums aus inländischer Erzeugung, dieser hohe Selbstversorgungsgrad federt die Kalamitäten  im Exportgeschäft einigermaßen ab.

Gemüse: Niedriger Selbstversorgungsgrad bei Paradeisern

Wenn es um Gemüse rotweißroter Herkunft geht, sieht die Sache freilich anders  aus. Bei den Paradeisern, der umsatzstärksten Gemüsesorte, kommt die Inlandsproduktion gerade einmal für 19% des heimischen Bedarfs auf. Noch immer werden die Tomaten hierzulande großteils im Freiland- und Folienanbau und damit saisonal produziert, weshalb Handel und Verbraucher vom Spätherbst bis zum Frühjahr auf Importe angewiesen sind. Heimische Paradeiser ganzjährig anzubieten und damit den Selbstversorgungsgrad deutlich zu steigern,  dieses Ziel verfolgen einige Mega-Glashaus-Investitionen, die vor etlichen Jahren jeweils in Zusammenarbeit mit  großen Handelsketten umgesetzt wurden. Die Rede ist von der Partnerschaft zwischen dem niederösterreichischen Gemüsegärtner Zeiler und der Rewe im Raum Bruck a/d Leitha und jener zwischen Manfred Hohensinners Frutura und der Spar im steirischen Blumau. Das Frutura Glashaus weist eine Produktionsfläche von 23 Hektar auf (das entspricht 20 Fußballfeldern), liefert jährlich 230.000 Tonnen Paradeiser, Gurken, Radieschen und anderes Gemüse an die Spar und wird mit Thermalwasser beheizt, das aus 3500 m Tiefe empor strömt. In der steirischen Agrarpolitik gab und gibt es starken Widerstand gegen das "vulkanlandwirtschaftliche" Produktionsverfahren, der Kostenvorteil gegenüber Erdgas-beheizten Glashäusern aber ist angesichts der Ukraine-Kriegsfolgen evident. Auch wenn sich die gestiegenen Stromkosten bei Frutura ebenfalls zu Buche schlagen. Eine andere Strategie verfolgt die LGV, die ihre Glashäuser mit Fernwärme der Stadt Wien und ihrer Müllverbrennungsanlagen beheizt. Europaweit ist bei der Energieversorgung die Umstellung von fossilen Brennstoffen auf Erdwärme-Anlagen angesagt.

Versorgungssicherheit hat ihren Preis, auch die Konsumenten müssen  ihren Betrag leisten

Ukraine-Krieg, Klimakrise und Pandemie stellen Europas Lebensmittelwirtschaft in diesem Katastrophenjahr 2022 vor ungeahnte Herausforderungen. Versorgungssicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten und anderseits den von der Rohstoff- und Energieverknappung befeuerten Preisauftrieb nach Möglichkeit zu dämpfen, sind zwei Zielsetzungen, die nur schwer auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden können. Auch in der heimischen Obst- und Gemüsebranche lässt sich dieser Zielkonflikt nur durch eine Marketing- Partnerschaft auf Augenhöhe zwischen Produktion und Distribution, zwischen Obst- und Gemüse-Bauern, Verarbeitern und Lebensmittelhandel bewältigen. Faire Preise entlang der Lieferkette sind nur dann realisierbar, wenn es gelingt, den Konsumenten durch eine glaubwürdige Kommunikation zu vermitteln, dass die Versorgungssicherheit mit heimischer Ware in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise ihren Preis hat. Das AMA Herkunftssiegel unterstützt diese Botschaft, noch  wirksamer sind freilich regionale Herkunftsmarken, die speziell bei unseren Gemüseproduzenten noch "viel Luft nach oben" haben.

Maßnahmen der Wertsteigerung  durch Erhöhung des Convenience-Grades, sind äußerst hilfreich und eine klassische Aufgabe der O+G-Verarbeiter. So konnte die Efko im vergangenen Jahr ihren Absatz an haltbar gemachtem Gemüse in Dosen und Gläsern um 20% steigern. Ursache: In (Corona-) Krisenzeiten legen viele Verbraucher auf die Bevorratung mit haltbarem Gemüse großen Wert. Konsumpatriotismus unterstützt diesen Trend, der zu einer gesteigerten Inlandswertschöpfung und damit auch zu gesicherten Bauerneinkommen führt. Aber nicht alle Kunden sind bereit (und finanziell in der Lage) für österreichische Gemüsekonserven einen höheren Preis zu bezahlen. Sie greifen zu Billigimporten (die in großen Mengen aus der Türkei kommen) und im Handel als anonyme Discount(er)-Eigenmarken  angeboten werden.

Corona-Lockdowns in der Gastronomie führten dazu, dass der Absatz an gewaschenem und geschnittenem Frischgemüse in den beiden letzten Jahren stark zurück gegangen ist. Aus Sicht der Gemüseproduzenten bedeutet dieser Ausfall einen Rückgang an Wertschöpfung, der durch ein erhöhtes Fertiggemüse-Angebot in den Supermärkten nur teilweise kompensiert werden kann. Weil preisbewusste Kunden das Salathäuptel zu Hause waschen und schneiden, statt zur gekühlten ready-to-eat-Packung zu greifen.

Bremst die Inflation den Absatz an Bio?

Einer besonders nachhaltigen Kooperationsstrategie bedarf es beim Ausbau des Angebots an heimischem Bio-Obst und -Gemüse. Das beginnt bei den Bauern: Von konventioneller auf Bio-Produktion umzustellen, verlangt deutlich mehr körperliche Arbeit auf dem Feld und am Hof. Beim Gemüseverarbeiter Efko weiß man: Der Ruf nach mehr Bio-Sauerkraut ist da, aber diese Umstellung der Produktion kann nur schrittweise erfolgen. Der Lebensmittelhandel hat den Ausbau des Bio-Angebots schon seit langem auf seine Fahnen geschrieben. Das lässt sich mit dem kontinuierlichen Umsatzanstieg der Bio-Eigenmarken belegen. Allerdings ist zu befürchten, dass  die Verbraucher unter dem Eindruck der Inflation beim Kauf der teureren Bio-Ware auf die Bremse treten werden. Die Kernklientel werde treu bleiben, Gelegenheits-Bio-Käufer würden abspringen, meinte kürzlich ein Vertreter des deutschen Bioland-Verbandes auf Anfrage des Spiegel.

Steigende Getreidepreise, unmittelbare Folge des Kriegsgeschehens im Schwarzmeer-Raum, der Kornkammer Europas und Afrikas, beeinflussen indirekt das Gemüseangebot der heimischen Landwirtschaft. Gerade beim Getreide ist global ein Paradigmenwechsel eingetreten, Nachfragemärkte verwandeln sich in Angebotsmärkte. Konkrete Auswirkung: Weil mit der Produktion von Weizen und Roggen bei vergleichsweise geringerem Arbeitseinsatz mehr zu verdienen ist, werden heuer in Österreich rund zehn Prozent weniger Erdäpfel zugunsten einer erweiterten Getreide-Produktion angebaut.  

Kategorien

Tags

geschrieben am

20.04.2022