Russland führt Krieg gegen die Ukraine
Angesichts des unsagbaren Leids, das der Überfall Russlands den Menschen in der Ukraine zufügt, fällt es schwer, den Blick auf die vergleichsweise milden ökonomischen Folgen dieser humanitären Katastrophe zu richten. Solidarität mit den in Angst und Schrecken versetzten Menschen ist das vorrangige Gebot der Stunde. Die Spendenaufrufe des Handelsverbandes und einzelner Handelsgruppen sind ein erfreuliche Signale von Corporate Social Responsibility in unserer Branche. Die deutsche Edeka, die, wohl ein reiner Zufall, die Farben der ukrainischen Flagge Blau Gelb in ihrem Gruppenlogo führt, schlägt mit ihrem Tweet die Brücke zwischen Solidarität und Lebensmittelwirtschaft: Freiheit ist ein Lebensmittel, steht da zu lesen.
Grundlage der Freiheit einer Wirtschaft, die einzig und allein dazu da ist, dem Wohlergehen der Menschen zu dienen, ist eine rechtsstaatliche Ordnung, wie sie in der Charta der Vereinten Nationen und im Völkerrecht festgeschrieben ist. Und diese Ordnung gilt es, mittels wirtschaftlicher Sanktionen im Osten unseres Kontinents möglichst rasch wiederherzustellen.
Wenn das Europa und der freien Welt gelingt, werden die direkten und indirekten Auswirkungen des Krieges für Österreichs Lebensmittelwirtschaft zwar vielfältig, aber dennoch überschau- und verkraftbar sein. Die Sanktionen gegen Moskau werden den Lebensmittel-Warenverkehr zwischen Russland und der EU nur in geringem Maße beeinflussen. Gesamtwirtschaftlich betrachtet, zählt Russland zwar zu den 20 weltweit größten Wirtschaftsnationen, steuert jedoch nur 3% zum weltweiten BIP bei, das entspricht der Wirtschaftsleistung Spaniens.
Laut Prognose unserer Wirtschaftsforscher dürfte das BIP-Wachstum 2022, das zu Jahresbeginn mit 5% veranschlagt wurde, infolge des Ukraine-Krieges um 0,5% Punkte schwächer ausfallen. Damit verlangsamt sich die Erholung, genauer gesagt, die Aufholjagd gegenüber 2019, dem letzten Jahr vor Ausbruch der Pandemie. Zugleich steigt die Inflation, beides zusammen veranlasst Konjunkturforscher, vor einer drohenden Stagflation zu warnen.
Allgemein gilt, dass die kriegerischen Auseinandersetzungen auf unserem Kontinent die krisenhafte Entwicklungen, wie sie durch Pandemie und Klimawandel mittel- und langfristig hervorgerufen wurden, verstärken werden. Verunsicherung, was die Zukunft bringt, schlägt sich auch auf die Kauflust der Konsumenten nieder. Und es werden Stimmen laut, die einen Aufschub der Einführung der CO2-Steuer befürworten, um den Preisauftrieb, hervorgerufen durch den Ukraine-Krieg, zu dämpfen. Auch gibt es Pläne, angesichts der Gaskrise etliche Kohle- und Atomkraftwerke später stillzulegen. Keine gute Perspektive für Mutter Erde. Prioritäten zu setzen, sich für das kleinere Übel zu entscheiden, eine verdammt schwierige Aufgabe für alle Verantwortlichen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft.
Steigende Energiepreise, steigende Lebensmittelpreise
Mit Sicherheit kann man davon ausgehen, dass der militärische Konflikt den Anstieg der Energiepreise im wahrsten Sinn des Wortes befeuert. Die Düngemittelproduktion ist besonders energieintensiv. Das führt, ebenso wie die steigenden Dieselpreise, auf den Bauernhöfen zu einer weiteren Erhöhung der Betriebskosten. Nicht nur im Ackerbau, sondern auch in der Viehzucht, weil auch die Futtermittelerzeugung vom Düngemitteleinsatz abhängt. Im Mopro-Bereich ist die Trockenmilch-Produktion besonders Energiekosten-lastig. Kiew stellt ein Drittel bis ein Viertel der in Österreich saisonal arbeitenden Erntehelfer, ein weiterer Aspekt, des vor Landesgrenzen nicht Halt machenden Krisenszenarios.
Steigende Energiekosten in der Landwirtschaft, in den Verarbeitungsbetrieben und in der Transportlogistik bewirken zwangsläufig einen Anstieg der Lebensmittelpreise entlang der Lebensmittel-Lieferkette. Die steigende Inflationsrate führt dazu, dass der LEH sowohl von den Konsumentenschützern als auch von der Landwirtschaft und den Agrarprodukte-Verarbeitern in die Mangel genommen wird. Im Klartext: dieser Kosten- und Preisschub heizt in der Landwirtschaft die Diskussion mit dem LEH über die Wertschöpfungs-Verteilung weiter an. Da könnte auf den Tiroler Agrarpolitiker Dr. Johannes Abentung (ÖVP), den Leiter des neuen Fairness-Büros im Landwirtschaftsministerium, einige Arbeit in Sachen UTP-Richtlinien zukommen.
Ukraine in die EU?
Ökonomische Solidarität von EU-Europa mit dem Agrarstaat Ukraine wird es vermutlich nach Ende der Kampfhandlungen nur in sehr geringem Ausmaß geben. Das Land zählt zu den weltweit größten Getreideproduzenten, verfügt es doch über ein Viertel der besonders fruchtbaren Schwarzerdeböden. Einer Aufnahme der Ukraine in die EU steht der Widerstand der französischen Landwirtschaft entgegen, die sich vehement weigern dürfte, Agrarsubventionen aus Brüssel mit den Kollegen im Osten zu teilen. Indes wurden in den letzten Tagen Meldungen verbreitet, wonach im Falle von Ernteausfällen in der Ukraine infolge der Kriegshandlungen einigen afrikanischen Ländern wie Ägypten oder Tunesien Hungersnöte drohen, weil sie von Getreidelieferungen aus der Kornkammer Europas abhängig sind. Der forcierte Verkauf von Fairtrade-Produkten ist ein probater Weg, unsere Solidarität mit den von Trockenheit und Dürre betroffenen Menschen im Süden zu bekunden.
Lebensmittelsicherheit in Krisenzeiten
Die Liste der Sekundärfolgen des Krieges ist schier endlos. Schon Corona hat gezeigt, wie fragil weltweite Lieferketten sind, wenn zerstörerische Kräfte von außen den Frachtverkehr blockieren. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Lebensmittelsicherheit erhöhte Bedeutung und macht die Steigerung des Selbstversorgungsgrades bei Lebensmitteln zu einem vorrangigen nationalen Anliegen. In diesem Zusammenhang darf daran erinnert werden, dass der Begriff "Lebensmittelsicherheit" zwei völlig verschiedene Deutungen zulässt. Im Englischen unterscheidet man zwischen Food Security und Food Safety. Security meint die zuvor angesprochene Versorgungssicherheit. Safety hingegen die Sicherheit vor gesundheitsschädlichen Lebensmittel-Inhaltsstoffen, ein Fall für die AGES.
Klare Herkunftskennzeichnung ist ein taugliches Mittel, die Food Security in Krisenzeiten wie diesen zu stärken. Aber andererseits ist die EU gefordert, globale Agrarprodukte-Lieferketten aufrecht zu erhalten. Denn dem hohen Selbstversorgungsgrad in einzelnen Produktgruppen steht ein hoher Importbedarf bei anderen gegenüber. In Deutschland, Europas größter Wirtschaftsmacht, beträgt der Selbstversorgungsgrad bei Kartoffeln 145%, bei Zucker 141%, bei Fleisch 118% und bei Milch 112 %. Bei Obst kommen hingegen nur 20% der verkauften Mengen aus der Inlandsproduktion, bei Gemüse sind es 36%, bei Eiern 72%. Nur Getreide liegt mit 101% Selbstversorgungsgrad am goldenen Mittelweg. In Österreich ist die Spreizung zwischen Export- und Importbedarf ähnlich, vor allem was die niedrige Selbstversorgungsrate bei Gemüse betrifft. Bei Milchprodukten ist der Exportdruck hierzulande noch stärker. Da ist es durchaus erfreulich, wenn international aufgestellte Handelsunternehmen wie Lidl oder Aldi, Rewe oder Spar/ASPIAG die Exportbemühung österreichischer Agrarproduzenten unterstützen.
Umsatzmotor Migration
Ein letzter Punkt, der im Zusammenhang mit dem furchtbaren Ukraine-Krieg und dessen Folgen für unsere Wirtschaft erwähnenswert ist. Das Umsatzwachstum unseres LEH in den letzten Jahren ist nicht nur auf die Corona-Lockdowns in der Gastronomie, auf die konsumstimulierende Sortiments-, Aktions- und Preispolitik von Spar, Billa, Hofer & Co. sondern auch auf den starken Anstieg der Bevölkerung im Lande zurückzuführen. Demnächst zählt Österreich neun Millionen Einwohner. Die Immigrationsströme der letzten 15 Jahre haben wesentlich zu dieser, für den LEH und die heimischen Lebensmittelproduzenten erfreulichen Entwicklung beigetragen. Gegessen wird immer, das ist in stürmischen Zeiten die sicherste Krisenversicherung für unsere Händler und ihre Lieferanten aus Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie.