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Online-Shopping: Rettungsanker oder Bedrohung?

Rettungsanker oder Bedrohung?

Internet-Marktplätze von Amazon, Zalando und ECE/Google sind in Zeiten von Lockdowns und damit verbundenem Online-Shopping heiß begehrt.

Bericht: Dr. Hanspeter Madlberger

Der Lockdown ist im Prinzip ein Amazon-Förderungsprogramm", sagte am Wochenende Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will. Wenn in der Vorweihnachtszeit die Rollbalken der Nonfood-Händler in Einkaufsstraßen, Fachmarkt- und Einkaufszentren herunten bleiben, schießen die Bestelleingänge in den Zentralen des globalen Onlinehandels in Schwindel erregende Höhen. Fest steht: Der vom Lockdown befeuerte, vorweihnachtliche Online-Boom stürzt zahllose heimische, in den Nonfood-Branchen tätige Handelsfirmen in eine tiefe, existenzbedrohende Strukturkrise.

„Ciao Alexa, ich geh jetzt shöpping!"

Kurzfristig geht´s für die überwiegend mittelständischen Austro-Retailer in diesen Wochen ums nackte Überleben. Mittel- und langfristig jedoch um eine strategische Neuorientierung im Wettbewerb mit den globalen Internet-Giganten. Denn Corona geht, Online bleibt. Die Gretchenfrage lautet. Trauen wir Ösis uns zu, die Online-Kraken mit ihren eigenen Waffen zu schlagen? „Ciao Alexa, ich geh jetzt shöpping!“ Wäre es nicht besser, sich auf die Stärken des klassischen, stationären Handels, als da sind Erlebniseinkauf, Beratung und Service, zu fokussieren? Oder gibt es einen dritten Weg nach dem Rezept: „If You can`t beat them, join them!“

Auf jeden Fall aber ist eine gründliche Diagnose angesagt, bevor man dem Patienten eine Therapie a la „Österreichs Handel braucht jetzt einen massiven Digitalisierungsschub!“ -  verschreibt, die sich häufig wie ein Placebo ausnimmt. Was es jetzt braucht, ist Orientierungshilfe im globalen E-Commerce-Dschungel. Und da gilt es, aus österreichischer Sicht, zwei aktuelle Marktphänomene näher zu beleuchten:

Erstens, die Abhängigkeit des österreichischen Einzelhandels-Marktes vom deutschen hat mit dem Vormarsch des Online-Fernhandels dramatisch zugenommen. Zweitens, der stärkste Wachstumstreiber im E-Business sind die Internet-Marktplätze (auch Plattformen genannt), die Parallel-Vertriebsschiene zum Eigengeschäft der Online-Händler
Die Verschränkung dieser Basic Trends bewirkt eine, für den österreichischen Handel hochbrisante Dynamik.     

Deutsche Marktplatz-Initiativen von Zalando…

E-Marktplätze schießen beim großen Nachbarn wie die Schwammerln aus dem Boden. Den sensationellsten Vorstoß in diesem innovativen Wettbewerbsfeld ergriff zuletzt Zalando, Europas größter Online-Modehändler. Das Unternehmen mit Sitz in Deutschland steigerte im dritten Quartal 2020 seinen Umsatz um 21,6%  (versus Q3/2019)  auf 1,8 Mrd. Euro. Haupttreiber dieser Expansion in einer Phase, da der stationäre Handel nach dem Lockdown im Frühjahr zur Aufholjagd blies, waren zwei, vor kurzer Zeit installierte unternehmenseigene Plattformen nach dem Vorbild von Alibaba und Amazon. Da ist zum einen das so genannte "Partner-Programm". Es bietet Markenartiklern der Mode-Branche die Möglichkeit, ihr Sortiment online über Zalando zu vertreiben. Die zweite Plattform nennt sich "Connected Retail" und eröffnet stationären Modehändlern eine zusätzliche, digitale Vertriebsschiene. Indem sie ihnen die Möglichkeit bietet, ihr Warenangebot in die virtuelle Zalando-Auslage zu stellen und mit dieser Partnerschaft in Richtung Multi-Channel zu marschieren.

Wie das Handelsblatt vom 5. November berichtet, sind in Deutschland bereits 2000 lokale Modehändler dem Connected Retail-Programm beigetreten. Ab 2021 steht die Plattform auch Textilhändlern aus Österreich, Schweiz, Frankreich, Italien und Belgien als Internet-Marktplatz zur Verfügung. Händler in Norwegen, Dänemark und Finnland  können schon seit Anfang November mitmachen. Auf diese Weise will Zalando sein Händlernetz im kommenden Jahr von derzeit 2000 auf 6000 Partner verdreifachen.

… über Amazon…

Ein Grund, sich mit dem deutschen Senkrechtstarter im Online-Business buchstäblich „auf ein (Hauszustell-)Packel zu werfen" wäre für heimische Modehändler der Aufbau einer gemeinsamen "Abwehrfront" gegen Amazon. Zumal der Online-Gigant aus Seattle mit dem, dieser Tage in Deutschland via Lebensmittelzeitung veröffentlichten KMU Impact Report 2020 seinen Marktplatz nachdrücklich als Freund und Verkaufshelfer mittelständischer Produzenten und Händler anpreist. Eine Akquisitions-Kampagne, die mit atemberaubenden Zahlen aufwartet:
Im letzten Geschäftsjahr (vom 1.6. 2019 bis 31.5. 2020) haben die rund 40.000 KMU in Deutschland, die ihr Sortiment über die Amazon-Plattform verkaufen, damit einen Online-Umsatz von 2,75 Mrd. Euro erzielt. Ein Plus von 250 Mio. Euro gegenüber dem Vergleichszeitraum 18/19. 20% dieses Umsatzes, also rund 550 Mio. Euro entfallen auf den Absatzmarkt Deutschland, 80% (2,2 Mrd. Euro)  gingen als Exportlieferungen ins Ausland (einschließlich Österreich). Insgesamt arbeitet Amazon in Europa mit mehr als 900.000 Firmen zusammen, wobei man zwischen Lieferanten (Firmen, die Ware an den Online-Händler Amazon verkaufen) und Partnern, (Firmen, die über den Amazon-Marktplatz auf eigene Rechnung an Endkunden verkaufen) unterscheidet. Zwei weitere Optionen,  als (mittelständischer) Produzent/Händler mit Amazon ins Geschäft zu kommen, sind die Belieferung des Online-Riesen mit Eigenmarken sowie die Teilnahme bei Amazon Business, dem Geschäftsmodell, mit dem die Amerikaner als b2b-Großhändler den Bedarf gewerblicher  Kunden (z.B. Büromaterial, IT-Geräte) decken.

Der Amazon Konzern  profitiert massiv von der Corona-Krise. Im 2.Quartal  2020 konnte das Unternehmen seinen Welt-Umsatz um 40% gegenüber dem Vergleichszeitraum 2019 steigern. Nicht zuletzt, weil China ausfällt, ist Deutschland der größte Auslandsmarkt des Jeff Bezos-Imperiums. Was Österreich betrifft: amazon.at dockt nahtlos an amazon.de an, und das hat zur Folge dass auch das Österreich-Geschäft einschließlich des Marktplatzes von München aus gesteuert wird. Mittlerweile unterhält Amazon hierzulande zwei Logistikzentren und gehört damit als WKO-Mitglied der Sparte Transport (und nicht der Sparte Handel) an. Ein feiner Unterschied.

… bis zu ECE/Google

In Hamburg entstand ein ganz anderes Modell von Big Digital Business. Das Alstertal Einkaufszentrum, betrieben von ECE, hat sich einen virtuellen Zwillingsbruder zugelegt. Einen Internet-Marktplatz, auf dem die Mieter des realen Zentrums ihr Sortiment für den Online-Kauf anbieten können. Eigentlich muss es heißen „Komplementär-Sortiment“, denn nicht jeder ladentaugliche Artikel eignet sich fürs Netz, und umgekehrt. Das Besondere daran: Digitaler Partner dieser Plattform ist kein Geringerer als Google. Im Silikon Valley zuhause, firmiert der Konzern, der sich als weltgrößte Suchmaschine im digitalen Universum einnistete, unter dem Namen Alphabet.

ECE und Google, das ist schon ein hochinteressante Allianz, beflügelt vom Bestreben, dem gemeinsamen Gegner Amazon die Stirne zu bieten. ECE gehört zur  Otto-Firmengruppe, die vom klassischen Versand- zum Online-Händler mutierte und dem Marktführer Amazon eine erbitterte Abwehrschlacht liefert. Ebenso aber spüren die ECE-Shopping Centers die Sogwirkung,  die der Online-Handel in Corona-Zeiten auf die Offline-Umätze  ausübt. ECE ist in Deutschland sehr stark aufgestellt und in Österreich auf Expansionskurs. G3 in Gerasdorf und das Haid-Center bei Linz waren die jüngsten Akquisitionen, zu den von ECE gemanagten  Oldies der SC-Szene zählt das DEZ in Innsbruck.

Auf globale Ebene aber hat ECE-Partner Google (Alphabet) mit Amazon eine Rechnung offen. Als Internet-Suchmaschine groß geworden, musste Google mit ansehen, wie der Online-Händler Amazon, der viele hunderttausend Artikel im Sortiment führt, als Suchsystem mittlerweile intensiver genutzt wird, als das Original. Von der User-Frequenz aber hängen die Werbeeinnahmen ab. Das Gerangel um die Werbebudgets erklärt die Ambitionen von Google, mit eigenen Marktplätzen gegen Amazon anzutreten. Deutschland ist ein Hotspot dieses Duells. Bleibt anzumerken, dass  e-marketplaces nur eines von zahlreichen Produkten darstellt, die Google, in seiner digitalen Toolbox für die Wirtschaft bereit hält, man denke nur an die android app,  google maps oder Gmail, das Transportmittel von Fachartikeln wie diesem.

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geschrieben am

16.11.2020