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v.l.n.r.: Prim. Univ.-Prof. Dir. Dr. Friedrich Hoppichler, Vorstand der Inneren Abteilung und Ärztlicher Direktor der Barmherzigen Brüder Salzburg sowie Vorstand von SIPCAN, Dipl.- Ing. Josef Braunshofer, Geschäftsführer Berglandmilch eGen und Mag. Markus Kaser, Spar-Vorstand für Marketing, Einkauf, CSR und IT warnen vor den gravierenden Mängeln des Nutri-Scores.

NutriScore: ist dieser FOPL ein Flop?

Verdreht man die Buchstaben der Abkürzung FOPL (Front of Pack-Labeling), so kommt Flop heraus. Das trifft auf NutriScore in gewisser Weise zu.

Schon Mitte Februar heizte Katharina Koßdorff, Geschäftsführerin im Fachverband der Lebensmittelindustrie der Wirtschaftskammer, gegenüber dem Nachrichtenmagazin profil eine Diskussion über den im Raum stehenden NutriScore an: „Wir wollen nicht, dass Lebensmittel diskriminiert werden“, sagte sie und erhält Unterstützung der heimischen Lebensmittelindustrie – vorne dabei die Berglandmilch. „Nutri-Score wird nur für Verwirrung sorgen, das lehnen wir ab. Hochverarbeitete Lebensmittel schneiden im NutriScore toll ab, während unsere Produkte schlechter wirken würden, als sie es tatsächlich sind“, so von Seiten der größten Molkerei Österreichs. Überdies kennen laut Untersuchung einer Marketagent.at Studie 74% den NutriScore noch gar nicht.

Geballte Kraft

Diese Woche kam der Big Bang, denn mit einem Schlag steht die Lebensmittelindustrie nicht mehr allein da im Kampf gegen den geplanten NutriScore. Der Marktführer im Lebensmittelhandel, die Spar, sprang den Herstellern zur Seite. Auch wenn es im Alltagsgeschäft oftmals heiß hergeht, bei solchen Themen ist man sich eins: NutriScore ist „old school“, eine Fehlinterpretation, der falsche Weg, um Konsumenten über die Wertigkeit von Lebensmittel zu informieren. „Eine Ampel ist wichtig im Straßenverkehr, aber nicht bei Lebensmitteln“, so Mag. Markus Kaser, Vorstand der Spar. Immerhin hat die Spar mit ihrer Vielzahl an Eigenmarken auch ein Interesse daran, dass die Produkte ordnungsgemäß gekennzeichnet werden.

Zur Info: Bis Ende des Jahres will die EU-Kommission dazu einen Gesetzesvorschlag zu NutriScore vorlegen. Es soll sich dabei um ein neues, leicht verständliches System zur Kennzeichnung der nährstoffmäßigen Ausgewogenheit von Lebensmitteln handeln. Sie werden – ähnlich dem Schulnotensystem – mit fünf Stufen vom grünen „A“ bis zum roten „E“ bewertet. Österreich hat vor allem in Italien einen guten Mitstreiter.

Die großen Vorwürfe

Spar untermauert die Unsinnigkeit des NutriScore mit einem Gutachten der Initiative SIPCAN und Univ.-Prof. Prim. Dir. Dr. Friedrich Hoppichler. Er bringt zwei wesentliche und schließlich detaillierte Themen auf den Punkt:

  1. NutriScore bezieht sich nur auf verarbeitete Produkte und vergleicht nur innerhalb von einer Warengruppe
  2. Die Werte beziehen sich immer nur auf 100 Gramm. (wer isst schon 100 Gramm einer Pizza, die oft mit ‚grün‘ gekennzeichnet ist?)

Im Detail kritisiert Dr. Hoppichler folgendes:

  • Kennzeichnung für Kinder nicht passend: Der Bezugswert auf der Verpackung gilt für Erwachsene. Das ist insbesondere bei Produkten, die sich in der Aufmachung speziell an Kinder richten, problematisch.
  • Fehlende Transparenz für Konsumenen: Ohne Kenntnis der Rezeptur ist der Nutri-Score für die Menschen nicht berechenbar und somit auch nicht nachvollziehbar.
  • Vergleichbarkeit nur in der jeweiligen Produktgruppe: Es besteht die Gefahr, dass Konsumenten verleitet sind, alle Produkte miteinander zu vergleichen. Das kann dazu führen, dass eine Fertigpizza mit einem grünen A gegenüber Nüssen mit einem orangenen D als gesünder betrachtet wird.
  • Zuckergehalt zu wenig berücksichtigt: Die WHO empfiehlt eine maximale Zuckeraufnahme von 50 Gramm pro Tag. Derzeit ergibt ein Zuckergehalt von 9 g / 100 g und somit 1/5 der maximalen Tagesmenge, laut Nutri-Score-Berechnung nur 2 negative Punkte (von zehn möglichen).
  • Süßstoffe, Farb- und Konservierungsstoffe gar nicht berücksichtigt: Obwohl Studien darauf hindeuten, dass Süßstoffe ebenfalls zu erhöhten Gesundheitsrisiken wie Zunahme des Körpergewichts und Körperfettanteils, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ 2 Diabetes mellitus bis hin zu Krebserkrankungen führen können, werden diese bei der Berechnung des Nutri-Scores nicht berücksichtigt. Im Gegenteil, die Produzenten werden durch die Nichtberücksichtigung quasi ermuntert, Zucker durch Süßstoffe zu ersetzen, um eine bessere Bewertung zu erlangen.
  • Gesundheitsrelevante Lebensmittelbestandteile werden ignoriert: Polyphenole und andere Phytonährstoffe oder Probiotika werden durch den Nutri-Score nicht bewertet
  • Verarbeitungsmerkmale sind irrelevant: der ökologische Anbau oder auch die Schadstoffbelastung bzw. die Verwendung von beispielsweise Pflanzenschutzmitteln oder gentechnikveränderten Zutaten wird ebenso wenig berücksichtigt, wie der Grad der Verarbeitung, wobei bereits medizinisch festgestellt wurde, dass ein hoher Verzehr hochverarbeiteter Lebensmittel eine Reihe negativer gesundheitlicher Auswirkungen mit sich bringen kann.
  • Öle wie Olivenöl werden mit C bewertet und damit aus ernährungswissenschaftlicher Sicht falsch eingeteilt, da diese einen wichtigen Bestandteil einer gesunden Ernährung darstellen.
  • Berechnungen widersprüchlich: Laut Health-Claims-Verordnung darf ein Produkt erst ab 3 g /100 g als Ballaststoffquelle und ab 6 g / 100 g als ballaststoffreich bezeichnet werden. Der Nutri-Score vergibt jedoch schon ab 2,9 g / 100 g Positivpunkte. Umgekehrt werden ab 4,7 g / 100 g keine weiteren Positivpunkte vergeben.

 

Viele andere Vorschläge viel besser

Da es bis zum Jahresende die Möglichkeit gibt Alternativen vorzuschlagen, ist man bei Spar sehr bemüht diese auch auszuarbeiten. Vivatis und Berglandmilch arbeiten fleißig mit. Eine Idee gäbe es schon: „Wir sehen, dass es neuere und treffsicherere Kennzeichnungssysteme wie den Food Compass Score (FCS) gibt. Der FCS umfasst 54 Gesundheitskriterien aus neun Bereichen, bewertet die Lebensmittel produktgruppenübergreifend von eins bis 100 und berücksichtigt auch den Verarbeitungsgrad. Vielleicht ist dieses Kennzeichnungssystem auch noch nicht der Weisheit letzter Schluss, aber es zeigt, dass es möglich ist, mit einem Algorithmus deutlich treffsicherer zu sein und deutlich mehr relevante Aspekte miteinzubeziehen“, weiß Mag. Kaser. Auch wenn es im ersten Zug viele verschiedene FOPL geben könnte, so ist alles noch besser als das bis dato alleinig angestrebte System des NutriScore mit der Ampel. Dr. Josef Braunshofer von der Berglandmilch meint abschließend: „Unser Wunsch an die Politik ist, dass man sich Alternativen überlegt, keine symbolische Debatte führt, Transparenz bei den Rezepturen schafft und vor allem uns als Stakeholder miteinbindet“.

Nun liegt der Ball beim zuständigen Bundesministerium für Gesundheit und dem neuen Minister Johannes Rauch.

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geschrieben am

18.03.2022