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Närrisches Treiben im Wiener Handel

Närrisches Treiben im Wiener Handel

„War net Wien, wann net durt, wo ka Gfrett is, ans wurd´“ heißt es in einem „Wien wörtlich“-Gedicht des Josef Weinheber. Viel Gfrett, aber auch viel Aufbruchsstimmung herrscht in diesen Tagen des ausklingenden Faschings im Wiener Handel.

Bericht: Hanspeter Madlberger

Da wäre einmal das Gfrett zu erwähnen, das die Wiener Arbeiterkammer vor wenigen Tagen -  und nicht zum ersten Mal - unseren Supermarkt-, Drogerie- und Discount-Filialisten mit ihrem sehr selektiven Preis-Erhöhungs-Monitoring bereitet. Hier einige Info-Häppchen über die, auf den ersten Blick haarsträubende Verteuerung ausgewählter Artikel im Online- und im stationären Wiener LEH und DFH, wie sie von den AK-Preiswächtern notiert wurden:

  • Von Jänner 22 bis Dezember 22 sind die Preise von Diskont-Lebensmitteln (= Billigeigenmarken) in den Wiener Penny Märkten um 36,0%,  in den Hofer Läden  um 39,0% bei Billa um 36,0% gestiegen. In den Spar Märkten hingegen nur um 32,6%, bei Interspar um 27,9%.
  • Besonders spannend: Der von der AK ausgewählte Markenartikel-Warenkorb verteuerte sich bei Billa um 26,5%, bei Interspar um 17,2%.
  • Hingegen gab´s laut AK im Online-Handel folgende Ausreißer: Der Preis für 1 Kilo Feinkristallzucker stieg beim Interspar-Onlineshop um 60,6%,  jener für Ölz Toastbrot im Billa Onlineshop um 50,3%. Wer Billig-Drogerieartikel über das Netz bei Bipa kaufte, musste sich im Jänner 23 gegenüber dem Jänner 22 auf eine Verteuerung um 68,6%  gefasst machen, dm-Onlineshopper schnitten da mit einer Inflationsrate von nur 6,3% wesentlich besser ab.

Trefelik: AK benützt LEH als Reibebaum

Dieser gruselige Zahlensalat, zubereitet aus punktuellen Momentaufnahmen und unter Ausklammerung der Aktionsangebote hat mit seriöser Inflationsmessung wenig zu tun und bewirkt vor allem eines: Bei den Konsumenten wird die gefühlte Inflation angeheizt, was natürlich der Kauflust abträglich ist. Spartenobmann Rainer Trefelik, auf der Pressekonferenz vom 15.2. auf diese Praxis der Kollegen von der Arbeitnehmerfraktion angesprochen, meinte, die AK verwende halt den Lebensmittelhandel gerne als Reibebaum. Er plädiert für eine Abrüstung in der Wortwahl und weist darauf hin, man müsse bei der Inflations-Diskussion auch die Einflussnahme von Landwirtschaft und Industrie auf die Lebensmittelpreise im LEH mit berücksichtigen. Weiters müsse man in Rechnung stellen, dass die Umsatzrentabilität des Lebensmittelhandels besonders niedrig ist, entsprechend gering sei der Spielraum dafür, die krisenbedingten Kostenerhöhungen selber zu schlucken. Eine sehr zurückhaltend, vornehme Replik des obersten Handelsfunktionärs auf einen sehr hemdsärmeligen, um nicht zu sagen, polemischen Umgangston des Sozialpartners.

Voithofer: Die gefühlte Inflation ist höher als die tatsächliche

WKO-Konsulent Peter Voithofer hob hervor, dass die Inflationsberechnungen von Statistik Austria deutlich niedrigere Preissteigerungsraten bei Lebensmitteln ausweisen, als das Monitoring der AK.  Laut „Mikro-Warenkorb“ der Statistik Austria beträgt die Inflation bei Lebensmitteln derzeit 9,9%.  Und ja, „es ist aktuell so, dass die gefühlte Inflation höher ist, als die tatsächliche“.

Gastro GH in Feierlaune?

Ausgesprochen gute Laune sollte sich im heimischen Gastro-Großhandel breit machen. Laut jüngster Gastro Data Analyse ist das Umsatzvolumen des heimischen Gastro Großhandels im Jahr 2022 gegenüber dem Corona-Jahr 2021 um mehr als 50% gestiegen. Der post-Corona-Effekt, wie ihn die Psychologen nennen, beflügelt den Städtetourismus und damit indirekt auch das Geschäft von Metro, Transgourmet, Kastner, Wedl, Kiennast, Kröswang & Co im Touristik-Hotspot Wien. Dazu kommt, dass immer mehr Kleinproduzenten die Belieferung der Gastronomie über den Gastro-GH dem kostenaufwändigen Direktvertrieb vorziehen.

Opernball und Lugner City: Wiener können Event-Marketing

Stichwort: Städtetourismus: Helle Begeisterung löste bei Trefelik die Wiederbelebung des Wiener Opernball 2023 aus. Kein Wunder, betreibt die Familie des obersten Handelsfunktionärs in der WKO doch gleich vis a vis der Staatsoper den Luxus-Fashiontempel Popp & Kretschmer. Wenn sich betuchte Gäste aus dem In- und Ausland für den Ballbesuch fein betuchen, erwartet sie bei P&K Pariser Flair, Wiener Designer-Mode und individuelle Beratung. Bei Trefelik läuft der Laden, die gestiegenen Stromkosten sind verkraftbar. Großevents wie jene im Opernhaus am Ring sind ein Hoffnungsschimmer für den von internationaler Online-Konkurrenz und internationaler Discounter-Offensive hart geschüttelten Wiener Modehandel.

Auch  Shoppingcenter-Betreiber bringen durch attraktive Events viel Leben in die Bude. Richard  Lugner ist hier zu loben, der mit dem Kurzzeit-Engagement des Weltstars Jane Fonda nicht nur dem Opernball, sondern auch seiner Lugner City zu internationaler Publicity und damit auch seinen Mietern zu steigenden Umsätzen verhalf. Die Ringstraßen-Galerien hingegen haben aus der Eins-A-Lage am Kärntner Ring kein Kapital schlagen können und dort das Handtuch geworfen. Nur der Billa Corso hält zwischen Schwarzenbergplatz und Kärntner Straße die Stellung, als bemerkenswert ambitionierter Grocerant.

Stockerlplatz im Store Design-Championat

Kostümierung und Metamorphosen machen den Reiz des Faschings aus. Und haben ihr Pendant im innovativen Inszenierungen des stationären Handels. Die Staatsoper mutierte kurzfristig  zum Ballsaal - viel Umbau-Aufwand für einen Abend! - Interspar hingegen verwandelte auf Dauer den historischen Kassenraum der Creditanstalt am Schottenring in ein formidables Feinkost-Paradies mit Mezzanin-Restaurant. Die diesjährige Euroshop Messe in Frankfurt und das EHI in Köln verliehen den Salzburgern ihren EuroshopRetailDesign Award 2023 (siehe unseren Bericht). „Die besten Storekonzepte kommen aus Deutschland, Österreich, Großbritannien und Portugal“ befand die hochkarätige Jury und darauf darf die heimische Händlerszene neidlos anstoßen. Handelskultur ist mindestens ebenso wertvoll wie Ess- und Trinkkultur. Und angesichts des drohenden Galeria-Debakels herrscht Bedarf an herzeigbaren, zeitgemäßen City-Ladenkonzepten, made in Austria.

Bald ist der Fasching vorbei und dann wird uns der ursprüngliche Sinn des Wortes Karneval in Erinnerung gerufen. Carne vale! Wörtlich übersetzt: Fleisch, leb wohl! Für die Veggies  unter den Konsumenten und die Vegan-Sortiment-Forcierer unter den Händlern beginnt am Aschermittwoch die fröhliche Zeit.

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geschrieben am

17.02.2023