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Mit dem Regionalitäts-Bonus ist es nicht so weit her

Mit dem Regionalitäts-Bonus ist es nicht so weit her

Zukunft dank Herkunft? So lautet das Leitthema der diesjährigen Wintertagung des Ökosozialen Forums. Der Handel antwortet mit Herkunft-Eigenmarken.

Eine Frage, der unser Lebensmittelhandel mit Herkunfts-Eigenmarken wie Da komm ich her (Rewe), Ländle (Sutterlüty) oder Zurück zum Ursprung, kurz z.z.U (Hofer) größte Beachtung schenkt. Marktführer Spar fährt eine eigene Regionalitäts-Strategie: Nicht über herkunftskonnotierte Eigenmarken sondern über ein 360 Grad-Konzept "Die sieben Säulen gelebter Regionalität bei Spar" oder die Interspar-Sonderplatzierung "Von dahoam das Beste"

Nebenbei bemerkt, ist die Rewe International seit langer Zeit Hauptsponsor der Wintertagung, dieser größten Agrarkonferenz in Österreich. Schon die Auftaktveranstaltung vom 27.1., traditionell den wichtigsten Agenden der heimischen und der europäischen Agrarpolitik gewidmet, zeigte jedoch, dass die Regionalitäts-Euphorie der österreichischen Bauernpolitiker und -Verbandsfunktionäre vielfach von Wunschdenken geprägt ist und ihren marktwirtschaftlich-ökonomischen Erfolgstest noch lange nicht bestanden hat. Und das, obwohl die allermeisten Gruppen unseres Lebensmittel Einzel- und Großhandels, wie erwähnt, im regionalen Herkunftsmarketing seit Jahren beispielhafte Akzente setzen.

Regionale Lieferketten sind gut gegen den Klimawandel

Beginnen wir mit dem positiven Aspekt: Klimawandel und Erderwärmung sind die größten Herausforderungen an die Ernährungswirtschaft auf diesem Planeten. Regionale Kreisläufe in der Lebensmittelwirtschaft, insbesondere im Bio-Bereich, stehen für deutlich geringere Treibhausgas-Emissionen, nicht nur auf  Produktionsebene, sondern auch in der Distribution zu den Konsumenten wegen der kurzen Transportwege. Das ist wissenschaftlich bewiesen. So errechnet das Öko-Forschungsinstitut FIBL seit Jahren für die Palette der Hofer-Eigenmarke z.z.U. das prozentuelle Ausmaß der CO2-Einsparung gegenüber vergleichbaren, konventionell erzeugten Lebensmitteln. Anmerkung: Ein erprobtes Toolset zur Rückverfolgbarkeit der Herkunft wertbestimmender Lebensmittel-Rohstoffe, wie sie vom Landwirtschaftsministerium nachdrücklich gefordert wird, stellt die GS1 Austria Organisation der Bundeswirtschaftskammer zur Verfügung. Bitte zugreifen!

Steht regionale Herkunft per se für höhere Qualität?

Während Forums-Präsident Stephan Pernkopf und LKÖ-Präsident Josef Moosbrugger in ihren Wortmeldungen am Dogma "Regionalität = Topqualität“ ohne wenn und aber festhalten, meldet Maria Burgstaller, Wirtschaftspolitik-Referentin der Arbeitkammer Wien heftige Zweifel an dieser Formel an. Es gehe für die regionalen Produzenten ganz konkret um die Einhaltung höherer Qualitätsstandards und eine glaubwürdige Kommunikation der, in der regionalen Herkunft begründeten Qualitätsvorzüge. Der speziell von der AMA seit langem propagierte Slogan: "Regionalität ist das neue Bio" ist solcherart mit einem fachlichen Diskurs über den Zusammenhang von Regionalität und Premiumqualität unvereinbar. Vielmehr gilt die Formel: Qualität adelt die Herkunft und nicht umgekehrt.

Regionalität in zwei verschiedenen Spielarten

Auch die Konsumforschung liefert mittlerweile  Orientierungshilfe für den seriösen und damit Erfolg versprechenden Umgang mit dem Marketingtool „Regionalität". Johannes Mayr (Key Quest Marktforschung) stellte in seinem Vortrag "Allheilmittel Regionalität?", den er am 5.5. 2021 beim Netzwerk Zukunftsraum Land hielt, fest: Regionalität ist nicht gleich Regionalität. Er unterschied zwischen dem Heimatkonzept und dem Spezialitätenkonzept.

Erstgenanntes eignet sich für die Absatzförderung in der eigenen Region (z.B. im 50 km-Umkreis) und im eigenen Bundesland. Es baut auf dem Heimatstolz des Konsumenten, auf sein Grundvertrauen in und seine Solidarität mit "unseren Bauern". Ganz andere Argumente für Lebensmittel aus einer Region führt das Spezialitätenkonzept ins Treffen. Da geht es um den Nachweis einer Premiumqualität, die sich aus den Bodenverhältnissen, dem Klima und den traditionellen Produktionsverfahren einer bestimmten Region ableiten. Beim Wein ist diese spezifische Regionalqualität besonders ausgeprägt (Stichwort: Terroirweine)  

Fazit: Das Heimatkonzept ist maßgeschneidert für das Herkunftsmarketing auf dem regionalen Heimmarkt, aber völlig ungeeignet für eine Exportstrategie. Hier, und vor allem auf dem EU-Binnenmarkt ist das Spezialitätenkonzept erfolgversprechend.

Fünf Baustellen im heimischen Regionalitäts-Marketing

Mayr benennt folgende Baustellen im bäuerlichen Regionalitäts-Marketing:

1. Die fehlende Definition von Regionalität, viele Hersteller definieren den Begriff  "situationselastisch".

2. Der Kennzeichnungs-Dschungel bewirkt das Gegenteil dessen, was er bezweckt. Er führt zur Verunsicherung der Konsumenten. Und ein Ausweg aus diesem Teufelskreis ist, siehe die in Deutschland geplante Fleisch-Kennzeichnung nach Haltungsstufen, nicht absehbar.

3. Die fehlende Herkunftskennzeichnung in der Gastronomie.

4. Es gibt viele Trittbrettfahrer  auf Herstellerseite, die sich das Herkunftsfederl an den Hut stecken. 

5. Die verklärte Sichtweise vieler Konsumenten, "soziale Wünschbarkeit" wird damit auf  regionale Lebensmittel projiziert.

LEH hat Regionalität von Gastronomie "losgeeist"

Wortmeldungen auf der Wintertagung bestätigen auf beeindruckende Weise den Befund des Key Quest Marktforschers (zuständig  für die Lieferung der RollAMA-Daten) über die Schwachstellen im heimischen Regionalitäts-Marketing. So gab Joschi Walch, Hotelier des Gourmethotels Rote Wand in Lech am Arlberg zu Punkt 3 - Gastronomie Herkunftskennzeichnung - ein bemerkenswertes Statement ab: Die Regionalität der Lebensmittel als Verkaufsargument habe sich 2016 von der Gastronomie zu den Supermärkten verlagert. So sei es dazu gekommen, dass sich auch Lebensmittel aus Massenproduktion mit dem Regionalitäts-Mascherl schmücken. Offenbar spielt Walch auf die wachsende Anzahl von Premium-Handelsmarken mit Regionalitäts-Appeal an. Aber hier stellt sich die Frage nach dem Doppelpass-Spiel zwischen dem Händler und seinem Private Label-Lohnproduzenten. Beweise für Regionalitäts-Trittbrettfahrer auf Herstellerseite findet man in jedem Diskont- und Supermarkt. Auch Handelsmarken sind davor nicht gefeit.

Ja, natürlich nahm Billa-Vorstand Harald Mießner die Gelegenheit wahr, als Teilnehmer an der Diskussion "Regionalität zwischen Wunsch, Machbarkeit und Leistbarkeit" die Österreich-Affinität (und nicht die Kölner Herkunft) seiner Rewe ins rechte Licht zu rücken. Weil man in Sachen Big Data Analyse in Wiener Neudorf gut drauf ist, konnte Mießner vermelden, dass

  • drei Viertel unserer Konsumenten sich Lebensmittel mit Regionalbezug wünschen
  • diese Haltung zu 50% in den Kaufakten ihren Niederschlag findet,
  • wobei ein Drittel der Kunden auch bereit ist, für Regionalität einen höheren Preis zu bezahlen.

Einmal mehr können wir feststellen: Die Bandbreite zwischen geäußerter Konsumenten-Meinung und tatsächlichem Kaufverhalten ist ein echter Hammer.

Regionalitätsoffensive von Billa trägt Früchte

Gäbe es im Wettbewerb des Lebensmittelhandels auch eine "Regionalliga", die Rewe würde dabei gute Figur machen. Das zeigt das folgende Faktentableau, das retailreport.at vorliegt.

  • Die Märkte von Billa/Billa Plus beziehen jährlich heimische landwirtschaftliche Produkte im Wert von rund 2,5 Mrd. Euro.
  • Die Warengruppen Frischmilch, Frischfleisch, Frischeier, Brot und Gebäck stammen zu 100% aus der Produktion heimischer Bauern.
  • Bei Obst und Gemüse liegt der Inlands-Versorgungsgrad im Jahresschnitt bei 60%.
  • Jede zweite österreichische Pute landet in den Kühlregalen von Billa/Billa Plus.
  • Billa/Billa Plus beziehen aktuell mehr als 25.000 regionale und lokale Artikel von über 2.500 heimischen Lieferanten

2021 erzielte Da komm ich her, die Herkunfts-Eigenmarke für 300 Obst- und Gemüsesorten gegenüber 2020 ein Umsatzplus von 3,8%.

Der Gesamtumsatz an lokalen und regionalen Produkten stieg von 2020 auf 2021 um 11,1%.

Am Mittwoch, den 2. Februar steht die Diskussion über "Schweinehaltung im Umbruch" auf dem Programm. Mit dabei Schweinepapst Johann Schlederer und Steirerfleisch-Chef Alois Strohmayer. Tags darauf unterhält sich Bauernbund Präsident Georg Strasser mit Billa Chefeinkäufer Erich Szuchy über die Wertschöpfungskette in der Grünland- und Viehwirtschaft. Beide Events versprechen Hochspannung. retailreport.at berichtet darüber.

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geschrieben am

29.01.2022