Eine neue starke Stimme für den Wiener Handel
Zu ihrem neuen Funktionsantritt hat die Kauffrau und Unternehmerin mit Herz, Seele und Erfahrung ein Interview mit Mag. Marion Bischof, WK Wien, geführt. Für die neue Spartenobfrau Margarete Gumprecht hat die Corona-Krise zwei Dinge in den Fokus gerückt: Das Grätzel als lokalen Nahversorger und die Digitalisierung, wie sie im Interview erklärt.
Bischof: Wie schätzen Sie die aktuelle Situation im Wiener Handel ein?
Gumprecht: Die Realität führt uns vor Augen, dass die Corona-Krise für eine Vielzahl heimischer Händler existenzgefährdend ist. Viele Unternehmer haben wochenlang keinen oder wenig Umsatz erwirtschaftet, während die Fixkosten unverändert weitergaloppieren. Es ist schon viel passiert und Hilfen sind geflossen, dennoch sind wir als starke Interessenvertretung weiter gefordert. Jetzt geht’s darum, die Liquidität der Betriebe zu sichern und eine Insolvenzwelle zu verhindern. Die nächsten Monate werden herausfordernd.
Sie sagen: Die Konsumenten sind digitaler als je zuvor. Mit welchen Konsequenzen?
In den letzten Monaten war ein deutlicher Wandel im Konsumverhalten erkennbar. Der E-Commerce verzeichnet massive Zuwächse, während der stationäre Handel kämpft. Nicht nur die Jungen, sondern auch ältere Konsumenten über 65 Jahren shoppen jetzt online. Eine Entwicklung die wir ganz genau im Auge haben. Wir bieten unseren Händlern in diese Richtung Unterstützung an, etwa durch Go-Online-Workshops. Wer online nicht vertreten ist, verschließt sich immer mehr einer breiten Konsumentenmasse. Beim aws (Austria Wirtschaftsservice) kann seit 1. September eine Investitionsprämie beantragt werden, die für den Bereich Digitalisierung 14 % beträgt.
Wieso bringt der Online-Boom den meisten heimischen Händlern wenig?
Das Ziel lautet, die Wertschöpfung in Österreich zu halten. Das Problem: Mehr als die Hälfte der Online-Umsätze fließt unmittelbar ins Ausland ab. Hier ist die Politik gefragt, endlich für Steuergerechtigkeit zu sorgen. Denn einer der wenigen wirklichen Profiteure der Corona-Pandemie ist Amazon. Gleichzeitig appelliere ich an die Wiener: Kaufen Sie regional, beim Geschäft ums Eck oder bei heimischen Onlineshops - und nicht bei den großen Steuervermeidern aus Drittstaaten.
Regional online einkaufen ist wichtiger denn je. Wie unterstützt die WK Wien?
Sichtbarkeit ist im Onlinehandel kriegsentscheidend, daher unterstützen wir viele diesbezügliche Initiativen - von regionalen Marktplätzen wie shöpping.at über E-Commerce-Verzeichnisse wie nunukaller.com, die Falter Onlineshop-Fibel und viele mehr. Die WK Wien betreibt auch ein Online- Unternehmerverzeichnis - „Regional Einkaufen”. Mittlerweile sind mehr als 1000 Wiener und tausende österreichische Onlineshops gelistet, Tendenz steigend. Regionale Online-Plattformen sind ein Teil von vielen kleinen Schritten, um die Wirtschaft wieder in eine Normalität zu führen.
Welche Chancen sehen Sie in diesen Zeiten?
Jede Krise, wie dramatisch sie auch sein mag, bietet Chancen, die wir nutzen sollten. Natürlich müssen wir neue Innovationsstrategien entwickeln, neue Tools ausprobieren und die digitale Transformation vorantreiben. Die Digitalisierung ist unaufhaltsam, aber es gab auch ein Umdenken im Konsumverhalten Richtung Nachhaltigkeit und Regionalität und eine stärkere Wertschätzung für hochwertige heimische Produkte. Regionales Einkaufen bei Wiener Anbietern und Produzenten müssen wir forcieren, denn heimische Wertschöpfung und der ‚Buy local’-Gedanke sind als nachhaltiger Weg aus der Krise besonders wichtig. Der stationäre Handel hat einen großen Vorteil: Beratung, Freundlichkeit und Einkaufserlebnis. Die Produkte anzugreifen, zu fühlen, zu riechen und gleich mitzunehmen, das geht online nicht.
Was wird beim Handel der Zukunft aus heutiger Sicht entscheiden sein?
Prognosen sind schwierig, vor allem wenn externe Faktoren wie die gesundheitliche Lage in Österreich und auf der ganzen Welt eine Rolle spielen. Die digitale Schlagkraft der heimischen Händler ist entscheidender denn je. Gleichzeitig hat die Krise gezeigt, wie wichtig lokale Nahversorgung im Grätzel ist. Global denken und regional handeln ist also angesagt. Der Konsument möchte die Produkte schnell, bequem und stets zum Bestpreis erhalten. Stichwort: Online-Konkurrenz. Wer eine erstklassige Service-Palette - Qualitätssicherung, Produktbewertung, Retourenabwicklung, Beschwerdemanagement usw. - anbietet, hat gute Chancen, langfristig erfolgreich zu sein.
Zur Person: Margarete Gumprecht ist seit 1978 im Familienbetrieb tätig und seit 2016 Geschäftsführerin der Leopold Gumprecht GmbH&CoKG, bestehend aus 15 Wiener Standorten, dem Logistikzentrum in Niederösterreich und der oberösterreichischen Verkaufs- und Produktionszentrale. Aktuell expandiert das Unternehmen und eröffnet weitere Wiener Standorte. Bekannt ist der Betrieb für seine Pferdespezialitäten. Seit 1995 ist Margarete Gumprecht als Interessenvertreterin in der Wirtschaftskammer Wien aktiv - zuletzt als Obfrau des Wiener Lebensmittelhandels, seit Juni 2020 als Spartenobfrau des Wiener Handels.