LEH-Markt wuchs um 2,17 Milliarden
Bericht: Dr. Hanspeter Madlberger
Im Corona-Jahr 2020 schnellte laut Nielsen-Marktforschung der Umsatz des Lebensmitteleinzelhandels in Österreich um 2,17 Milliarden Euro empor. Damit schwoll der LEH-Gesamtmarkt gegenüber 2019 um 10,1% auf ein Volumen von ca. 23,74 Mrd. an. Dieses Umsatzplus des LEH entspricht ungefähr dem Jahresumsatz des gesamten Drogeriefachhandels (DFH).
Mehr als die Hälfte des LEH-Mehrumsatzes, nämlich ca. 1,13 Mrd. € floss in die Kassen des Spar Einzelhandels. Die Rewe Gruppe streifte ein Umsatzplus von rund 550 Millionen ein. Regionalfilialisten wie MPreis und manche Nahversorger Kaufleute dürften kräftig zugelegt haben. Ähnlich wie Rewe hinken die beiden Discounter Hofer und Lidl, zusammengerechnet, mit einem Plus von ca. 400 Millionen beim Marktwachstum hinterher. Infolge des unterproportionalen Wachstums büßten Rewe und Hofer/Lidl im Corona-Jahr 2020 Marktanteile ein.
Auf den Wirtschaftsseiten der Tagespresse wird "der Lebensmittelhandel" als der große COVID-19 Gewinner dargestellt. Ein fragwürdiger Pauschalbefund, der zu zahlreichen Missverständnissen führt und in der Branche den Konkurrenzneid fördert. Denn, wie die Nielsen-Daten zeigen, gibt es innerhalb des LEH Corona-Gewinner und -Verlierer, ganz zu schweigen vom Lebensmittelgroßhandel, wo der Ketten-GH (Belieferung der Kaufleute) 2020 zulegte, während die Gastro-GH-Sparte (Abholmärkte und Zustellservice) um 20 bis 30% einbrach.
Spar profitierte vom Shop Shifting
Dass die Spar-Gruppe im Jahr 2020 laut Nielsen ihren Umsatz um rund 1.13 Milliarden € steigerte, ist in hohem Maße dem Zusammenwirken von Corona-bedingten Verhaltensänderungen der Shopper und einer Ladengrößen- und Standort-Struktur zu verdanken, die den Einkaufs-Vorlieben in Zeiten von Infektionsrisiko und Lockdown besonders entgegenkommt. Das Virus als Shopper Journey Guide lotste 2020 zahlreiche Kunden häufiger in den Tannenwald und damit weg von der Konkurrenz.
Handelsforscher sprechen vom Corona-getriebenen Shop Shifting (Wechsel der Einkaufsstätte) als Ursache erhöhter Besuchsfrequenz und gesteigerten Durchschnittseinkaufs an Standorten in Wohnnähe. Hinweis: Auf der Nielsen Homepage finden Interessierte ein Webinar zum Thema Shop Shifting.
Besonders stark war dieser Shifting-Effekt in Ostösterreich, wo Pendler, die zu normalen Zeiten ihre Wochenendeinkäufe nahe ihrem Arbeitsplatz in den Großstädten (Wien, Linz) tätigen, ihren Lebensmittelbedarf in Corona-Zeiten verstärkt am Land oder in der dem Wohnort nächstgelegenen Bezirksstadt deckten. Home-Office trug natürlich zu diesem Shift nachhaltig bei. Solcherart wanderten Einkaufstrips zu Rewe-, Hofer- und Lidl-Märkten weg von deren Standorten in Großstädten hin zu Spar-Supermärkten Märkten am Land. Dazu kam, dass Interspar beim One-Stop-Shopping-Match mit Merkur und den Discountern als klarer Sieger hervorging. Auf diese Weise konnten die Salzburger mehr als 50% des Gesamtmarkt-Wachstums in ihre Kassen lenken.
Marktanteils-Shifting: Spar: gewann 1,8 %-Punkte, Hofer/Lidl verloren 0,5% -Punkte, Rewe verlor 0,9%-Punkte
Die quantitativen Auswirkungen des COVID-Shop Shifting auf das LEH-Marktanteils- Shifting 2020 sind jedenfalls spektakulär:
- Das Umsatzplus der Spar in Höhe von ca. 1.13 Mrd. (+16.1% versus 2019) katapultierte ihren LEH Marktanteil von 32,8 auf über 34,6 % hinauf. Besser hätte Dr. Gerhard Drexels Finalrunde im Spar Vorstand nicht laufen können.
- Zwar legten auch die Rewe-LEH-Formate (Billa, Merkur, Penny, Adeg, Sutterlüty) im Jahr 2020 beim Umsatz zu, nämlich um mehr als 6%. Aus dem Nielsen Barometer geht hervor, dass dieses Plus mit rund 550 Mio. € zu veranschlagen ist. Damit stieg der Gesamtumsatz des Rewe LEH von 7.325 auf 7.875 Mio. Weil aber der LEH-Gesamtmarkt stärker wuchs (nämlich um 10,1%), sank der Marktanteil der Rewe von 34,1% auf 33,3%. Die Marktführerschaft der Spar war damit besiegelt.
- Die Umsatz- und Marktanteilsentwicklung der (ehemaligen) Hard Discounter Hofer und Lidl werden von Nielsen üblicherweise im Doppelpack ausgewiesen. Der Marktanteil von Hofer/Lidl sank demnach 2020 um 0,5 Prozentpunkte, von 25,4% auf 24,9%. Und das bei einem Umsatzwachstum von 400 Mio versus 2019. Vom exzeptionellen Marktwachstum 19/20 konnten somit Hofer und Lidl, ähnlich wie die Rewe, nur unterproportional profitieren. Was auch damit zusammenhängt, dass es speziell der Spar gelang, durch eine geschickte Aktionspolitik (Rabattmarken) im Preiswettbewerb gegenüber den Discountern zu punkten.
Der Marktanteil des übrigen LEH (Markant-Gruppe mit MPreis, Unimarkt, Nah&Frisch sowie nicht organisierter LEH) hat sich laut Umsatzbarometer leicht erhöht, das lässt darauf schließen, dass der stärkste Händler dieser Gruppe, Regionalfilialist MPreis sehr schöne Zuwächse erzielte. Von den Handelsketten dürften neben der im Supermarktbereich glänzend aufgestellten Spar, auch Nah&Frisch/Unimarkt sowie Adeg das Umsatzjahr 2020 positiv bilanzieren. Genauere Auskünfte über die Gesamtentwicklung im selbstständigen EH wird der Nielsen Zensus liefern.
Abschließend ein Anmerkung zur Datenquelle: Ausgangspunkt der Umsatz-Hochrechnungen in diesem Bericht ist das Nielsen Umsatzbarometer, das den Nielsen-Kunden aus Industrie und Handel, gestützt auf eine Melderunde aus den Handelszentralen sowie hochrepräsentative Scannerdaten, monatlich Auskunft über die Marktanteilsentwicklung von Handelsformaten, Shoptypen und Regionen liefert. Das Geschäftsmodell beruht auf Vertraulichkeit, dessen ungeachtet landen immer wieder Barometer-Daten in den Redaktionsstuben von Medien, die, unter Berufung auf das Redaktionsgeheimnis, ihr Publikum über die diesmal besonders brisanten Ergebnisse der Nielsen-Messungen informieren. Erst im Mai publiziert Nielsen die Zensusdaten, dabei kommt es, nach Rücksprache des Instituts mit den Handelszentralen in der Regel zu geringfügigen Abweichungen gegenüber den Barometer-Werten. Vor allem sind es die Umsätze der Kettenkaufleute, die in den Zensus mit einer Vollerhebung einfließen und diese Korrekturen verursachen. Für Unschärfe in den Nielsen-Umsatz- und Marktanteilsanalysen sorgt Discounter Lidl, der als einziger bedeutender Lebensmittelhändler keine Umsatzdaten an das Institut meldet. Weshalb die Nielsen-Angaben über Lidl, ermittelt anhand der Kassabon-Methode (Cashslip-Methode) explizit als Schätzungen ausgewiesen werden. Die angeblich stark gestiegenen Umsätze des Lebensmittel-Onlinehandels und der bäuerlichen Direktvermarkter hat die heimische Handelsmarktforschung bedauerlicherweise bislang nicht auf ihrem Radarschirm.