Ladendiebstahl leicht steigend
In seiner aktuellen Studie „Inventurdifferenzen im deutschen Handel 2020“ bringt das EHI Köln Licht ins Dunkel der Langfinger-Kriminalität und der daraus resultierenden betriebswirtschaftlichen Verluste. Wie Frank Horst, Verfasser der Studie im Gespräch mit dem retailreport.at erklärte, steuerten auch einige große Händler aus Österreich ihre Daten und Einschätzungen zu dieser Untersuchung bei. „Gemessen in Prozenten des Umsatzes liegen die Inventurdifferenzen und deren Ursachen in Österreich mit jenen in Deutschland auf gleichem Niveau“, sagte uns Horst, Sicherheitsexperte des EHI.
Solcherart sind die Key Findings der Studie, die auf Handelsdaten aus dem Jahr 2019 beruhen, 1:1 auf die Situation im heimischen Handel übertragbar:
Die Inventurdifferenzen im deutschen Einzelhandel lagen 2019 bei 4,4 Milliarden Euro, das macht rund 1% des Bruttoumsatzes von 445 Milliarden aus. Für Diebstahls-Verhütung werden 0,32% des Umsatzes ausgegeben.
- 3,75 Milliarden (das sind 85% der Inventurdifferenzen) entstehen durch Diebstahl.
- davon entfallen 2,44 Milliarden (55%) auf Kundendiebstahl,
- 950 Millionen (22%) werden von eigenen Mitarbeitenden geklaut,
- ein Verlust in Höhe von 360 Millionen (8%) geht auf Diebstähle durch Lieferanten und Servicekräfte zurück.
- Ein Schaden von 660 Millionen (15%) entsteht durch organisatorische Mängel, beispielsweise durch falsche Preisauszeichnung.
Im LEH ist der Anteil der Kundendiebstähle mit 52,5% etwas niedriger, jener der Mitarbeiter- und Lieferantendiebstähle (23,3% bzw. 9,3%) etwas höher als im Durchschnitt aller Branchen. Dem deutschen Staat entstanden 2019 infolge des Diebstahls Mehrwertsteuer-Ausfälle von 510 Millionen.
Heißes Eisen: Bandenkriminalität
Während die Zahl der einfachen Ladendiebstähle seit 1997 kontinuierlich gesunken ist, hat sich die Zahl der schweren Diebstähle durch Bandenkriminalität in den letzten 13 Jahren nahezu verdreifacht. Horst: „Rund ein Viertel der Ladendiebstahlsdelikte ist auf organisierte Banden zurückzuführen.“ Das EHI hat dazu vor Jahren eine eigene Studie vorgelegt. Deutschland gilt als beliebte Destination internationale agierender Langfingerbanden:
Von 2018 auf 2019 ist die Zahl der angezeigten Ladendiebstähle laut Polizeistatistik um 3,9% zurückgegangen. Tatsächlich aber stieg der Umsatzentgang durch Diebstahl und andere Inventurdifferenzen im letzten Jahr um 5%. Wie erklärt sich diese Diskrepanz? Nur 2% der Diebstähle werden aufgedeckt, 98% des Bestandsabganges werden erst im nachhinein auf Grund der Inventur festgestellt.
Die Inventurdifferenzen sind, je nach Handelsbranche, recht unterschiedlich. Der LEH markiert mit 0,57% Inventurdifferenz, gemessen am Nettoumsatz einen Durchschnittswert. Überdurchschnittlich hoch sind die Abgänge bei den Baumärkten (0,83%), den Drogeriemärkten (0,81%), weniger gestohlen wird im Bekleidungs- und Schuhhandel (0,49% bzw. 0,47%) und im Möbelhandel (0,25%). Interessantes Detail: Geschäfte von Kaufleuten weisen etwas höhere Inventurdifferenzen auf als die Läden der Filialisten.
Klaurate im LEH: Einer von 200 Einkaufswagen
In absoluten Zahlen gerechnet, sind die Verluste durch Diebstahl im Lebensmitteleinzelhandel am höchsten. Plakative (aber nicht wörtlich zu nehmende) Ansage des EHI: „Jeder 200. Einkaufswagen im LEH passiert unbezahlt die Kasse“.
Deutlich niedriger als im Einzelhandel sind die Diebstahlsquoten in den C&C-Märkten. Hier liegen die Inventurdifferenzen unter 0,2% vom Umsatz. Es könne aber schon vorkommen, dass kleine Gewerbetreibende und Händler teure Spirituosen in einem Stapel Bierkisten verstecken und so am Checkout vorbeischmuggeln, vermutet Horst.
Einer internationalen Studie zufolge, steigt die Ladendiebstahlsquote mit dem Umsatzanteil der Self Checkouts. Faustregel: Wenn die Verluste aus Ladendiebstahl bei einer Supermarktkette ohne Self Checkouts 1% des Umsatzes betragen, dann steigen bei einem Umsatzanteil der Self Checkouts von 20% diese Verluste auf 1,2%. Der Anstieg des Ladendiebstahls durch Self Checkout hält sich somit in Grenzen. Nicht zuletzt deshalb, weil Kassenpersonal den Vorgang überwacht und digitale Kontrollmaßnahmen greifen.
Klaurenner: Spirituosen, Tabak, Markenklamotten, Kosmetik
Unverändert ist seit Jahren die vom EHI ermittelte Liste der „Klaurenner“, also jener Artikel, die besonders gerne gestohlen werden. Unter allen Nennungen treten fünf Produktgruppen am häufigsten auf: Alkoholische Getränke (Spirituosen, aber auch Wein und Sekt), hochwertige Markenbekleidung und Markenschuhe, Elektrogeräte, Elektroartikel und Elektrozubehör sowie Tabakwaren und Kosmetik. Rund 40 % aller Nennungen entfallen auf diese Produktgruppen.
Im Lebensmittelhandel führen Spirituosen und Kosmetikartikel die Klau-Hitliste an. Seit jeher gehören auch Rasierklingen, Tabakwaren, Parfüms, alkoholische Getränke und Energydrinks sowie Schreibwaren und Zeitschriften dazu. Aber auch Babynahrung, Kaffee, spezielle Nahrungsmittel alternativer Ernährungsformen (z.B. vegane Produkte), Batterien und elektrische Zahnbürsten zählen dazu. Entsprechend umfangreich ist das Arsenal der Instrumente zur Diebstahlsbekämpfung.
Was bewirkt Corona?
Die aktuellen Herausforderungen stehen ganz im Zeichen der Auswirkungen der Corona-Pandemie. Einerseits steigen die Befürchtungen, dass Corona-bedingte gesellschaftliche Entwicklungen die Diebstahlquoten ansteigen lassen. Zum anderen wird befürchtet, dass bei gleich bleibender Anzahl von Diebstählen und gleichzeitigen Umsatzrückgängen in vielen Branchen die prozentualen Inventurdifferenzen deutlich steigen könnten.
Demgegenüber steht die Hoffnung, dass durch zumindest temporäre Einlassbeschränkungen und -kontrollen Diebstahlmöglichkeiten verhindert, insbesondere Bandendiebstähle vorübergehend eingedämmt werden können. Speziell im Lebensmittelhandel wird erwartet, durch die Umsatzsteigerungen prozentual niedrige Bestandsverluste verbuchen zu können. Insofern wird es wahrscheinlich branchendifferenzierte Entwicklungen geben. Die Mehrheit der Studienteilnehmer erwartet jedoch Corona-veranlasst eine Zunahme der Inventurdifferenzen.
Bericht: Dr. Hanspeter Madlberger