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KV-Verhandlungsunkultur

KV-Verhandlungsunkultur

Am 24. Oktober startet die erste Runde der Kollektivvertrags-Verhandlungen der Handelsangestellten. Davor ging es schon rund.

Säbelrasseln bei den Sozialpartnern – die Kollektivvertragsverhandlungen sind im Gange. Die Inflation ist hoch, doch sind die von der Gewerkschaft oftmals geforderten Lohnerhöhungen nicht mehr realisierbar.
Wie die KV-Verhandlungen ausgehen werden, entscheidet über viele Zukunftsthemen: bleibt Österreich ein attraktiver Wirtschaftsstandort? Verhelfen die Lohnerhöhungen zu mehr Kaufkraft oder bleibt die Konsumzurückhaltung bestehen? Werden Mitarbeiter gekündigt werden müssen?  Breitet sich die Verhandlungsunkultur weiter aus?

Denn eines ist klar: dass die Drohungen oder Durchführungen von Streiks durch die Gewerkschaft ein Imageverlust der Sozialpartner bedeutet. Drohungen und Streiks schon VOR den Verhandlungen sind eine relativ neue Taktik, um die Arbeitgeber unter Druck zu setzen.

Ein Vertreter der Industrie bringt es auf den Punkt: „In schwierigen Zeiten war immer Verlass auf die Sozialpartnerschaft. Auf das müssen wir uns in den Verhandlungen besinnen, um eine akzeptable Lösung für beide Seiten zu erreichen. Leider ist der Verhandlungsboden auf dem wir heuer stehen, aber sehr schlecht. Die Inflation ist enorm, gleichzeitig bricht die Konjunktur ein und eine Rezession steht ante portas. Am Standort kämpfen wir mit hohen Energiepreisen, Produktionskosten und Lohnnebenkosten. Gleichzeitig werden wie schon im Vorjahr hohe Lohnabschlüsse gefordert. In Summe ist das ein giftiger Cocktail für den Industriestandort.“ Speziell für die Wiener Industrie sind die Aussichten so trüb wie schon lange nicht mehr. Das bestätigt eine aktuelle Auswertung des WIFO Konjunkturtests, so Stefan Ehrlich-Adám, Spartenobmann der Industrie in der Wirtschaftskammer Wien und Geschäftsführer des Wiener Traditionsbetriebes EVVA.

Auch bei den bereits abgeschlossenen Streiks bei Ardo Austria Frost in Niederösterreich mahnte Katharina Koßdorff, Geschäftsführerin des Fachverbandes Nahrungs- und Genussmittelindustrie in der WKÖ. Die Gewerkschaft brach vorsätzlich mit dem sozialpartnerschaftlichen Grundsatz, wonach generelle Lohnerhöhungen ausschließlich den Kollektivvertragsverhandlungen vorbehalten sind.

Aussage eines Experten

retailreport.at hat den Arbeitsrechtsexperten bei Taylor Wessing, Walter Pöschl zum Thema befragt:
Ist ein solcher Streik gem. geltendem Recht unter den kolportierten Prämissen (die Mitarbeiter wollen losgelöst von den jährlichen Kollektivvertragsverhandlungen mehr Geld, weil ein Gewinn erzielt wurde) rechtlich überhaupt zulässig?

Walter Pöschl: Meines Erachtens nein, weil ein Verstoß einerseits gegen die sogenannte allgemeine kollektivvertragliche Friedenspflicht, andererseits gegen die betriebsverfassungsrechtliche Friedenspflicht vorliegt. 
Die kollektivvertragliche Friedenspflicht bedeutet, dass während der Laufzeit eines Kollektivvertrages Arbeitskampfmaßnahmen bezogen auf im Kollektivvertrag geregelte Punkte grundsätzlich unzulässig sind. Diese Verpflichtung richtet sich sowohl an die Gewerkschaften als auch die jeweilige freiwillige oder gesetzliche Interessenvertretungen – meist die jeweilige Wirtschaftskammerfachorganisation – auf Arbeitgeberseite. Kernpunkt eines jeden Kollektivvertrages ist das Mindestentgelt. Das bedeutet insbesondere, dass die Gewerkschaft keine Streiks zur Erzwingung einer überkollektivvertraglichen Entlohnung auf betrieblicher Ebene unterstützen darf, solange der Kollektivvertrag aufrecht ist. Was anderes ist es, wenn es um überbetriebliche Kampfmaßnahmen im Rahmen von „fruchtlosen“ KV-Verhandlungen geht oder wenn der KV ausgelaufen ist oder aufgekündigt wurde.

Noch strenger ist es auf betrieblicher Ebene. Dort sind nach herrschender Ansicht Kampfmaßnahmen durch Betriebsratsmitglieder weitestgehend verboten. Daran ändert nichts, wenn diese auch Gewerkschaftsfunktionäre sind, im Gegenteil: die bereits erwähnte kollektivvertragliche Friedenspflicht verbietet ihnen Aktionen, dessen Ziel die Abänderung oder Aufhebung der im Kollektivvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen ist. Üblich waren in Österreich bisher eher Maßnahmen, die man noch allgemein in die geltende Betriebsverfassung einordnen kann, wie etwa die Einberufung von außerordentlichen Betriebsversammlungen während der Arbeitszeit. Das ist eine Maßnahme, die grundsätzlich zulässig ist, die aber zeitlich beschränkt und rechtlich gesehen kein Streik ist. 

Welche Konsequenzen kann ein rechtswidriger Streik für Mitarbeiter und Arbeitnehmervertreter haben?

Aus rechtlicher Sicht setzten die streikenden Mitarbeiter im aktuellen Fall einen Entlassungsgrund, konkret jenen der unzulässigen Arbeitsverweigerung. Das gilt wohl nicht nur bei einem rechtswidrigen, sondern möglicherweise auch bei einem rechtmäßigen Streik. Betriebsräten kann bei rechtswidrigen Kampfmaßnahmen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses drohen. Generell sind Schadenersatzansprüche von Arbeitgebern, die durch einen rechtswidrigen Streik Schäden erlitten haben, gegen Arbeitnehmervertreter denkbar. 

Und welche Konsequenzen hat dies für das Unternehmen bzw. auch für andere Unternehmen? Bedeutet das im Extremfall, dass ein solches Vorgehen jedem Unternehmen „drohen“ kann? 

Schäden durch Produktionsausfälle drohen, etwa Pönalen durch Vertragspartner, ebenso der Verlust von Aufträgen. Das von einem unzulässigen Streik betroffene Unternehmen könnte z.B. versuchen, die Unterlassung der Unterstützung des Streiks durch die Gewerkschaft mit einstweiligen Verfügungen zu erzwingen. Das ist allerdings aufwendig und kostspielig und man würde, soweit ersichtlich, juristisches Neuland betreten. Denkbar wäre die Überbrückung mit Leiharbeitskräften. Zwar ist der Einsatz von solchen Arbeitskräften in bestreikten Betrieben verboten, das kann aber nur für rechtmäßige Streiks gelten. Sollte das Beispiel von Streiks zur Erzwingung höherer Löhne in einzelnen Betrieben (obwohl sozialpartnerschaftliche vereinbarte Mindestlöhne vorliegen) Schule machen, stellt sich generell die Frage der Sinnhaftigkeit von Kollektivverträgen. Die Zeiten, in denen die durchschnittliche Streikdauer pro Jahr in Österreich in Minuten oder sogar Sekunden gemessen wurden, wäre vorbei. Die Friedenspflicht wäre ausgehöhlt, mittelfristig würden sich Unternehmen wohl überlegen, on sie ihre Standorte nicht woanders hin verlegen sollen.

Arbeitsrechtsexperte bei Taylor Wessing, Walter Pöschl

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geschrieben am

13.10.2023