KV: Duell am Verhandlungstisch *aktualisiert*
30. November 2023: Denn nach der letzten Verhandlungsrunde zwischen Arbeitgeber und -nehmer am Dienstag, 28.11., trennte man sich abermals ohne Einigung. Die Arbeitgeber hatten da schon das „go“ für Warnstreiks in der Tasche und bereits gestern startete mancherorts die „Niederlegung der Arbeit“. Dem Obmann der Sparte Handel, Dr. Rainer Trefelik und seinem Team fehlt hier jedes Verständnis.
Im übrigen sind die Warnstreiks im Handel eine Premiere, bisher hat es das in dieser Form noch nicht gegeben. Neu ist auch die rüde Art der Verhandler der Arbeitnehmer-Seite. Wortwahl und Unterstellungen lagen an der Tagesordnung.
Dabei hat man sich am Dienstag schon etwas angenähert. So haben die Arbeitgeber ihr Angebot deutlich nachgebessert und auf 6 % KV-Erhöhung plus 1.000 Euro abgabenfreie Prämienzahlung angehoben. Das entspricht durch den steuerlichen Hebel beim Einstiegsgehalt einem Plus von 12,02 %. "Mir fehlt daher jegliches Verständnis, warum man sich auf einen Justament-Standpunkt versteift und Prämienzahlungen, die einen klaren Nettovorteil für die Beschäftigten bringen, von vornherein ablehnt. Gerade jetzt wären die 1000 Euro netto für viele Arbeitnehmer eine willkommene Aufbesserung ihres Weihnachtsbudgets", so Trefelik. Bei einem Bruttogehalt von 2500 Euro entspricht das Modell einer Bruttoerhöhung von 10,74 %, bei einem Gehalt von 3000 Euro sind es 10,05 %. Denn man muss beim Handel an alle Branchen denken: nicht alle Handelsbranchen konnten durch die Teuerungen profitieren, dadurch ist es für manche Sparten existenziell schwierig die geforderte Prozentsumme zu gewährleisten. Auf der anderen Seite möchten die Arbeitnehmervertreter keinen Abschluss unter der Inflationsrate zustimmen, da dadurch die Einkommen sinken würden.
Die Teuerung hat auch die Unternehmen getroffen. Die im Vorjahr explodierenden Energie- und Spritpreise schlagen sich auf alle Bereiche durch, vom Transport über die Kühlung bis hin zu Verpackungsmaterialien oder Baukosten.
Die Gewerkschaft hat dem Angebot der Arbeitgeber mit einer Gegenforderung gekontert, die nur eine minimale Reduktion der bisherigen Forderung darstellt – und beim Einstiegsgehalt ein Plus um 10,17 Prozent und im Schnitt über alle Gehaltsstufen um 9,92 % bedeutet.
Amazon, Temu & Co. werden sich allerdings die Hände reiben, denn ihnen spielt die aktuelle Situation im Handel in die Arme und Geldtaschen.
Am 5. Oder 6. Dezember wird weiter verhandelt.
16. November 2023: Österreich möge es mir verzeihen, wenn ich mich nun kurz auf Wien konzentriere: wer in jüngster Vergangenheit durch die Wiener Mariahilferstraße bummelte, der wurde mir einem schaurigen Bild konfrontiert – Leerstände an vielen Ecken und Enden. Der stationäre Handel leidet unter der Krise und auch der oft hoch gehypte Lebensmittelhandel muss an allen Kostenschrauben drehen, um die Marge stabil zu halten. Und dennoch: die Arbeitnehmer-Seite fordert, als gäbe es kein Morgen. Es ist nicht so, als würde die Arbeitgeber-Seite keine Angebote machen, aber vom VERHANDELN ist man weit entfernt. „Besondere Zeiten brauchen besondere Lösungen“, so Rainer Trefelik, Obmann der Bundessparte Handel in der Wirtschaftskammer Österreich. Die Arbeitgeber haben am 16.11. ein ein duales Angebot vorgelegt, das die schwierigen Rahmenbedingungen berücksichtigt und gleichzeitig ein sehr attraktives Angebot für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer darstellt.
So bieten die Arbeitgeberverhandler eine Erhöhung, die beim Einstiegsgehalt einem Plus von 11,13 % entspricht und sich aus 5 % KV-Erhöhung plus einer abgabenfreien Prämienzahlung von 800 Euro zusammensetzt. "Damit ist die Forderung der Gewerkschaft von 11 % erfüllt. Denn eine Prämienzahlung bringt einen deutlichen Nettovorteil", betont Trefelik.
Aber auch bei den höheren Gehältern sieht das Angebot der Arbeitgeber attraktive Nettoerhöhungen vor: Bei einem Bruttogehalt von 2.500 Euro entspricht das gesplittete Modell einem Gehaltsplus von 8,79 %, bei 3.000 Euro einer Erhöhung um 8,16 %.
Die Arbeitnehmer sind nicht auf das Angebot eingegangen. Manche Handelsbranchen stehen nackt da und was will man einem Nackten denn noch ausziehen? Wenn es nur ums „Gewinnen“ an sich geht, dann ist der fromme Wunsch am Boden zu bleiben doch noch übertrieben? Was bringt es, wenn man gewinnt und im Anschluss müssen erst recht Mitarbeiter gekündigt werden? Da hat dann niemend etwas davon.
Die Verhandlungen gehen am 28.11. weiter.
10. November 2023: Inklusive aller Zusatzwünsche beträgt die KV-Forderung der Arbeitnehmervertreter 14 %, wie auch nach der jüngsten KV-Verhandlungsrunde am 9. November bekannt wurde. Gleich vorweg: die beiden Parteien einigten sich nicht und es geht am 16. November weiter.
Erschreckend ist die Tatsache, dass von Seiten der Gewerkschaft in keiner Weise auf die Vorschläge der Vertreter des Handels eingegangen wird. „Unser Ziel ist es, zwischen zwei naturgemäß sehr weit auseinander liegenden Positionen eine Brücke zu bauen. Das funktioniert allerdings nur, wenn sich beide Seiten bewegen. Es ist daher bedauerlich, dass die Arbeitnehmervertreter trotz eines konstruktiven Austausches nicht bereit waren, sich einen Schritt auf uns zuzubewegen. Noch dazu, wo sich die Forderungen der GPA in utopischen Sphären bewegen“, sagt Rainer Trefelik, Obmann der Bundessparte Handel in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ).
Zur Zeit erlauben die monetären Realitäten im Handel wenig Spielraum. Seit Monaten kommt es zu starken Umsatzverlusten im Handel. Allein im September betrug das reale Minus im Nicht-Lebensmittelhandel -11,1 %. Dazu kommen enorm gestiegene Kosten entlang der gesamten Lieferkette, die schon bisher zu einer stark steigenden Zahl von Insolvenzen und Schließungen führte. „Wenn wir diese Realitäten nicht anerkennen, wird eine nochmalige Insolvenz- und Schließungswelle die Folge sein, vor allem unter den vielen Klein- und Mittelbetrieben im heimischen Handel. Damit verbunden wäre der Verlust von tausenden Arbeitsplätzen im ganzen Land“, warnt Trefelik.
„Die von der Gewerkschaft geforderte KV-Erhöhung von 14 % im Paket ist verantwortungsloses Pokern. Das würde nämlich die unmittelbare Arbeitslosigkeit von vielen Handelsangestellten bedeuten und viele Handelsbetriebe wirtschaftlich ruinieren. Wichtig ist heuer jedenfalls, dass die teuerungsabfedernden Maßnahmen der Bundesregierung wie die Abschaffung der kalten Progression oder die Teuerungsprämie in die Berechnung des Kollektivvertragsabschlusses einbezogen werden. Wir hoffen, dass am 16. November eine realistische Forderung einen Abschluss zulässt", sagt Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbandes.
Die Rolle der Betriebsräte
Dass sich die Betriebsräte der Unternehmen stark für die Belegschaft einsetzen, ist seit Jahrzehnten bekannt. Sie sind aber auch dazu verpflichtet für das Wohl des Arbeitnehmers im Unternehmen Sorge zu tragen. Das kann nur dann passieren, wenn es dem Unternehmen gut geht und es gesund ist. Aktuell scheint der Einsatz der Betriebsräte ausschließlich für die Arbeitnehmer zu sein, koste es was es wolle – im schlimmsten Fall auch den Kopf des Unternehmens. Was haben alle Handelsangestellten denn davon, wenn sie zwar im Kollektivvertrag eine Steigerung der Gehälter erreichen, aber durch die hohen Mehrkosten die Händler Mitarbeiter kündigen müssen.
Gerade auch im Bereich der Zuschläge ist dringender Handlungsbedarf gegeben. Hier besteht vor allem bei der Lage und der Höhe der Zusatzkosten, die dem Arbeitgeber erwachsen, mittlerweile jahrzehntelanger Reformstau. Im Kern geht es darum, beschäftigungsintensiven Unternehmen den Erhalt und die Anstellung neuer Mitarbeiter zu erleichtern, nicht zu erschweren. Daher ist es unverständlich, dass die jüngsten Forderungen der Gewerkschaft in ihrer Vielschichtigkeit die Bürokratie und Komplexität in der Anwendung des Kollektivvertrags sogar noch weiter verschärfen würden. Vielmehr braucht es eine Entschlackung des Kompendiums, heißt es von Seiten des Handelsverbandes.
Schwierige Situation des Handels mit Zahlen untermauert
Der österreichische Einzelhandel musste im dritten Quartal 2023 laut Statistik Austria einen inflationsbereinigten Umsatzrückgang von -4% verkraften. Im Lebensmittelhandel liegt das reale Minus bei -0,4%, der Non-Food-Handel verbuchte sogar ein reales Minus von -6,8%. Der letzte Monat mit real gestiegenen Umsätzen war der September 2022. Seither waren die Umsätze 12 Monate in Folge rückläufig – so eine Untersuchung des Handelsverbandes.
Im Zeitraum Jänner bis September 2023 verzeichnete der heimische Einzelhandel im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres ein preisbereinigtes Umsatzminus von -3,7%. Der Einzelhandel mit Lebensmitteln erwirtschaftete in den ersten 3 Quartalen ein reales Minus von -0,9%, der Handel mit Nicht-Nahrungsmitteln verbuchte einen preisbereinigten Rückgang von -5,8%.
"Der heimische Handel befindet sich auch im zweiten Jahr der Teuerungskrise weiter auf dem Rückzug. Insgesamt schrumpft die Nachfrage im Einzelhandel heuer signifikant um -3,9 %. In manchen Handelssparten gehen wir sogar von einem inflationsbereinigten Rückgang von mehr als 10% aus. Auch der Onlinehandel wird 2023 erneut deutlich verlieren, wir erwarten ein preisbereinigtes Minus von 9,3 %", prognostiziert Rainer Will.
Die neuesten Zahlen der Statistik Austria bestätigen die dramatische Lage, auf die der Handelsverband schon seit vielen Monaten hinweist. Das belegten auch die Ergebnisse der jüngsten HV-Händlerbefragung:
- 27% der Händler haben noch immer nicht alle Corona-Entschädigungen in voller Höhe erhalten
- 51% kämpfen mit Personalmangel
- 52% können sich keine verstärkten Investitionen leisten, obwohl diese notwendig wären
Eine Studie des WIFO verstärkt die Befürchtungen nochmals: "Die Stimmung der Einzelhandelsunternehmen hat sich – wie in der Gesamtwirtschaft auch – in den letzten Monaten weiter verschlechtert. Der Saldo im WIFO-Konjunkturklimaindex für den Einzelhandel hat sich im September um 2 Punkte auf -16,8 Punkte verringert", ergänzt Studienautor Jürgen Bierbaumer vom WIFO. Verglichen mit dem 2. Quartal (-7,3 Punkte) hat sich der negative Saldo im 3. Quartal (-14,5 Punkte) sogar verdoppelt.
Bestimmend für den Rückgang war die pessimistischere Einschätzung der Geschäftstätigkeit in den letzten drei Monaten (September: -43,7 Punkte). Gleichzeitig wurde auch ein deutlicher Anstieg in den Lagerbeständen (September: +27,8 Punkte) wie auch eine Verschlechterung der rezenten Geschäftstätigkeit gemeldet (September: -56,3 Punkte).
Bei der Einschätzung der aktuellen Geschäftstätigkeit ist der bisher zweitniedrigste Wert seit 2011 (Beginn der Befragung) erreicht (Tiefstand: April 2020 mit -66,6 Punkten; erster Monat nach Beginn der COVID-19-Pandemie). Diese Verschlechterung im Stimmungsbild der Einzelhandelsunternehmen betrifft nicht nur die aktuelle Lagebeurteilung, sondern auch die Erwartung für die kommenden Monate.
Für den Handel insgesamt (inkl. KFZ und Großhandel) erwartet das WIFO für das Gesamtjahr 2023 einen Rückgang der Wirtschaftsleistung von real -3%. Vor allem bei der Anschaffung langlebiger Konsumgüter, welche etwa ein Zehntel des Konsums der privaten Haushalte ausmachen, zeichnet sich ein Rückgang ab. Dies ist die Gegenbewegung des pandemiebedingten Booms. Insgesamt geht das WIFO für das Jahr 2023 von einem Rückgang der Wirtschaftsleistung von real -0,8% aus.