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Kommentar: Monday Memo

Monday Memo

Inflationsdialog in der Sackgasse
von Hanspeter Madlberger

Findet hierzulande die Lieferkette von FMCG-Markenartikeln einen fairen Weg zur koordinierten Bekämpfung einer Hyperinflation, die von exorbitanten Energie- und Rohstoff-Preissteigerungen ausgelöst wurde? Die Aussichten sind düster.

In Deutschland  müssen die Gerichte bereits gegen einen Lieferboykott eingreifen, der seitens Coca-Cola über die Edeka verhängt wurde. Hintergrund: Der Getränkeriese wagte es, die alljährliche Preiserhöhungsrunde von Anfang November auf 1. September vorzuziehen. Dagegen legte sich der deutsche LEH-Marktführer quer. Auch gegen Süßwarenfirmen wie Mars und Mondelez ruft die Edeka-Gruppe, zu der auch das Discountformat Netto gehört, zum Preiserhöhungs-Abwehrkampf auf. Rewe liegt mit Kellogg im Clinch.

Mit dem Hygienepapier-Hersteller Hakle (gegründet 1928)  musste der erste klassische Markenartikler "Insolvenz in Eigenverwaltung" anmelden. Begründung: Das Unternehmen habe die Steigerung der Energiekosten nicht schnell genug an den Handel weitergeben können. Diese Blockade ließ die Marge des Unternehmens dramatisch schrumpfen. Schützenhilfe für diese Argumentation lieferte die im Handelsblatt vom 7.9. veröffentlichte Destatis-Erhebung: Ihr zufolge stiegen in Deutschland seit Jahresbeginn 2022 die Erzeugerpreise für Nahrungsmittel Monat für Monat deutlich stärker als die Verbraucherpreise in diesen Warengruppen. So betrug im Juli die Inflation auf  Verbraucherpreis-Ebene 14,8%, die Erzeuger aber mussten in ihrer Kalkulation Preiserhöhungen von 21,1% unterbringen. Der Haken bei solchen Inflationsvergleichen: Branchendurchschnittswerte sagen wenig über die Mehrbelastung in den einzelnen Unternehmen aus.

Die Vollsortimenter Edeka und Rewe, die mit relativ hohen Umsatzanteilen im Sektor der Herstellermarken gegen die global aufgestellten Discount-Riesen  Aldi und Lidl kämpfen, die sich ihrerseits auf hohe Eigenmarken-Anteile stützen, wehren sich Schulter an Schulter gegen die ihrer Ansicht nach überhöhten Preiserhöhungswünsche der internationalen Markenartikler. Und verweisen dabei gerne auf die im ersten und zweiten Quartal 2022 veröffentlichten Bilanzen börsennotierter Multis wie Unilever, Nestlé oder Danone, betreffend das letzte Geschäftsjahr, die zur Freude der  Aktionäre, mit saftigen Gewinnsteigerungen aufwarten.

Dem Szenario von den Multis als Inflationsgewinnern stellt Lionel Souque, CEO des Rewe Konzerns die prognostizierten Margenverluste seines Unternehmens gegenüber, die aus der Nicht-Weitergabe von Erzeugerpreis-Erhöhungen resultieren. Im Laufe dieses Jahres würde sich dieser Rewe-Beitrag zur Inflationsdämpfung zu einem "mittleren dreistelligen Millionen-Euro-Betrag" addieren. Zur Orientierung: Die Kölner erzielten im Jahr 2021 bei einem Gesamtumsatz von 69,4 Milliarden Euro  ein  Konzernergebnis von rund einer Milliarde Euro. Da brechen von der branchenüblich niedrigen Nettomarge (rund 1,4% vom Nettoumsatz) ein paar weitere Zehntelprozentpunkte weg. Selbst für resiliente Genossenschaften wie die Rewe keine Bagatelle.

Bei uns herrscht Intransparenz über die Verteilung der Inflationslast zwischen Produzenten und Händlern

Und wie stark sind hierzulande die Ertragsverwüstungen, die der Energiekosten-Supergau bei Produzenten und Händlern der Food- und Nearfood-Branche anrichtet? Die Faktenbasis ist bei uns viel dünner als beim großen Bruder im Norden. Und diese Intransparenz ist wohl ein wesentlicher Grund dafür, dass in der Branche nicht von einzelnen Firmen Daten-gestützt argumentiert, sondern von Interessensvertretungen unter Berufung auf Mitgliederbefragungen nach Meinungsmacherart bei Vater Staat lobbyiert wird. Auftragsforschung an die Wissenschaft passt perfekt in diese Strategie. Ein marktwirtschaftlicher Problemlösungsansatz ist dabei freilich nicht in Sichtweite.

Man darf auch gespannt sein, wann Finanzminister Magnus Brunner für Transparenz bei der Inflations-Ursachenforschung sorgt, indem er, gestützt auf die Entwicklung der Mehrwertsteuer-Zahllast auf den einzelnen Stufen der Food Supply Chain Inflationsgewinner und Inflationsverlierer benennt. Wer staatliche Hilfe fordert, wie das seitens der Vertreter von Landwirtschaft, Industrie, Gewerbe und Handel laufend geschieht, sollte ja ohnehin dem Rettungsengel aus der Himmelpfortgasse (was für eine symbolträchtige Adresse!) Einblick in seine tatsächliche Kosten- und Margen-Entwicklung gewähren.

ECR als Plattform für Anti-Inflations-Programme?

Es gäbe freilich einen ganz anderen Weg, den gordischen Knoten von  Inflations-Treibern und Inflations-Getriebenen zu lösen. Die vertikale Kooperationsplattform ECR, bei uns in der Wirtschaftskammer angesiedelt, ist geradezu prädestiniert, praxistaugliche Modelle einer fairen Inflationslasten-Aufteilung zwischen Produktions- und Distributionsstufe zu entwickeln. Ging es in guten Zeiten um das Projekt  "Jointly Agreed Growth" (seinerzeit vom damaligen Nestlé-CEO Peter Brabeck Letmathe auf ECR Europe-Ebene forciert), so ist jetzt, zum Nutzen der Konsumenten, innerhalb der Lieferkette eine Konsenslösung zur Abfederung der Preiserhöhungswelle gefragt. Dazu gehören ein Kostensenkungs-Programm und die Neujustierung koordinierter Demand Side-Maßnahmen in den Bereichen  Preis- und Promotion. Dynamic Pricing in Verbindung mit Electronic Shelf Labels ist für den Handel ein, wenn auch psychologisch nicht unproblematischer Weg der sanft dosierten Inflations-Weitergabe an die Kunden.

Übrigens empfiehlt der renommierte deutsche Consultant und Preisstratege Hermann Simon (Agentur Simon-Kucher & Partners) im Interview mit dem Manager Magazin (August 2022) den Produzenten bis zu acht Mal im Jahr und damit in kleinen Schritten mit den Kunden über Preiserhöhungen zu verhandeln. Reifenhersteller Michelin hat im ersten Halbjahr 2022 bereits vier Preiserhöhungsrunden durchgezogen. Und damit den Abrieb seiner Gewinnspanne eingebremst....

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geschrieben am

11.09.2022