Direkt zum Inhalt
Elisabeth Köstinger und Johannes Abentung bei der Vorstellung des neuen Fairness-Büros.

Mander, s´ischt Zeit für faire Lieferketten

Johannes Abentung, Leiter des neuen Fairness Büros stellt sich vor.

Bericht: Hanspeter Madlberger

Seit dem ersten März ist er als Leiter des neuen Fairness-Büros im Amt, am dritten März stellte er sein Programm in Anwesenheit von Ministerin Elisabeth Köstinger einer handverlesenen Journalistenrunde vor. Dr. Johannes Abentung, Jurist, Ex-Kabinettschef im Landwirtschaftsministerium, Ex-Bauernbund-Direktor und zuletzt Partner von RENG, einem Unternehmen, das sich mit Gen-Analyse auf den Gebieten der Landwirtschaft und der Ernährung befasst. Jetzt werkt der 62jährige Tiroler Bauernsohn als Fairness-Hüter auf dem Wiener Großstadtpflaster in der Ferdinandstraße (2. Bezirk), einen Steinwurf von der Raiffeisenzentrale und dem Galaxy-Tower entfernt, wo die BWB ihren Sitz hat.

Das Fairness-Büro, dem Landwirtschaftsministerium unterstellt, ist keine Justizbehörde, vielmehr eine unabhängige und weisungsfreie Erstanlaufstelle für Beschwerden der Bauernschaft und anderer Lebensmittel-Lieferanten in Sachen Unfair Trading Practices (UTP). Abentung und sein vorerst dreiköpfiges Team beraten die Beschwerdeführer, auch unter Wahrung von deren Anonymität, kostenlos und vertraulich und leiten die Beschwerden, wenn es gewünscht wird,  an eine Schlichtungsstelle  (z. B. die BWB) weiter.

 Ombudsstelle für Bauern und Verarbeiter, aber auch für Kaufleute

Zum Einstand wartete Abentung mit einer für den mittelständischen Handel recht erfreulichen Nachricht auf. Von retailreport.at befragt, räumte er ein, sein Fairness-Büro, geschaffen als Ombudsstelle für kleine Bauern, die sich von  LEH-Riesen oder großen Verarbeitern sowie Vorlieferanten unfair behandelt sehen, stehe auch kleinen mittelständischen Händlern offen, die unter der Marktmacht großer Lebensmittelproduzenten leiden. Der heimische Lebensmittelhandel und seine Interessensvertreter können also davon ausgehen, dass das Fairness-Büro ihrem Ruf nach Reziprozität  (beiderseitige Fairness entlang der Lieferkette) Rechnung trägt. Abentung: "Das Fairness Büro schützt die Kleinen vor den Großen." Und er lässt aufhorchen mit der Bemerkung, die Spieltheorie kenne Problemlösungsansätze, die allen Beteiligten der Lieferkette Vorteile brächte. Ein win-win-win-Prozess "from farm to fork", das wäre sicher der (ECR-) Königsweg einer rotweißroten food supply & value chain.

Umsatzschwellen: Es gilt der internationale Gesamtumsatz der Handelskonzerne als Messlatte

Eine wichtige Klarstellung trifft Abentung auch in der vieldiskutierten Frage der im Gesetz festgeschriebenen Umsatzschwellen. In der höchsten Umsatz-Gewichtsklasse können Lieferanten mit einem Jahresumsatz von bis zu einer Milliarde Euro bei Wettbewerbsverstößen Beschwerde gegen Handelsunternehmen mit einem Jahresumsatz von über fünf Milliarden Euro einbringen. Dafür werden laut Abentung nicht die nationalen, sondern die internationalen Konzernumsätze herangezogen. Das ist im Fall von Lidl besonders relevant, weil der Discounter in Österreich unter der fünf Milliarden Euro-Grenze liegt,  die Schwarz Gruppe (bestehend aus Lidl und Kaufland) aber europaweit im LEH  mit 122 Milliarden Euro (Geschäftsjahr 20/21) Rang Eins belegt.

Jährlich will das Fairness Büro die Öffentlichkeit über die bei ihr eingereichten Verstöße  gegen die schwarze und die graue Liste des seit 1. Jänner 2022 rechtskräftigen Fairness-Katalogs informieren. Nicht wenige Branchenbeobachter  vermuten, dass der Umfang dieses Sündenregisters recht bescheiden ausfallen könnte. Denn schon im Herbst 2019 haben die Firmenchefs von Spar, Rewe, Hofer,  Lidl, Unimarkt und Metro einhellig erklärt, die Auflagen des Fairness-Katalogs anzuerkennen und sich daran zu halten. Und, abgesehen davon, eine abschreckende Wirkung dürfte die Ombudsstelle allemal entfalten.

Dass es im Tagesgeschäft der riesigen Lebensmittelbranche immer wieder zu Regelverstößen, zu absichtlichen und  unabsichtlichen Fouls zwischen Lieferanten und Kunden kommt, steht außer Frage. Auch die Konsumenten - Stichwort: Kundendiebstahl - sind da nicht ausgenommen. Es liegt in der Natur einer jeden Standesvertretung, dass sie im wirtschaftspolitischen Disput alles Gute bei der eigenen Klientel und alles Böse beim Marktpartner ortet. Und so durfte auch bei der Medienpremiere des Fairness-Büros in der Ferdinandstraße das agrarpolitische Narrativ von den geradezu erpresserischen Methoden der Handels-Goliaths nicht fehlen. Da war in Abentungs Statement von wilden Stieren die Rede, die man nicht aus dem Stall lassen dürfe. Erfrischend, dass bei dieser Pflichtübung  des Unfairness-Verhüters ein ironischer Unterton mitschwang.

Zankapfel Handelsmarken

In der Beziehungskiste zwischen Landwirtschaft und Lebensmittelhandel spielt die Psychologie eine große Rolle. Wenn Hofer und Lidl, Spar und Rewe zur Zeit in schöner Eintracht leibhaftige Bauern im TV als Werbebotschafter ihrer Bio- und Tierwohl-Eigenmarken auftreten lassen, sehen ranghöchste Agrarfunktionäre rot. Auffallend oft sprach Köstinger von Fairnessregel-Verstößen großer Händler gegenüber Handelsmarken-Produzenten aus dem Agrarbereich. Handelt es sich bei diesen Fällen um Ausrutscher oder um ein strategisches Kalkül der Private Label-Beschaffungsmanager? Da müsste schon ein Faktencheck für Klarheit sorgen. Dass Versäumnisse von Erzeugergemeinschaften und Genossenschaften beim Aufbau eigener Produzentenmarken (z.B. im Bio-Bereich und bei Tierwohl-Fleisch) der Eigenmarken-Expansion des Handels Tür und Tor öffnen, wird von Bauernvertretern gerne unter den Teppich gekehrt.

Als Plattform für den sachlich- fairen Dialog zwischen Landwirtschaft und Lebensmittelhandel in Sachen Fairness zu dienen, das wäre eine passende Präambel für die Agenda des neuen Fairness-Büros. Gerade in Krisenzeiten wie diesen, da alle Stakeholder der Lebensmittelwirtschaft aufgerufen sind, an einem Versorgungsstrang zu ziehen.

Details zum Fairness-Büro

 

Das Fairness-Büro befindet sich in der Ferdinandstraße 4 in 1020 Wien und kann wie folgt kontaktiert werden:

E-Mail: office@fairness-buero.gv.at 
Telefon: 01 / 710 95 18 – 602600
Persönlich: Ferdinandstraße 4, 1020 Wien
Webseite: www.fairness-buero.gv.at

Wer kann sich an das Fairness-Büro wenden?

  • Personen, die in ihren Geschäftsbeziehungen in Zusammenhang mit Verkäufen von Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen mit unfairen Praktiken konfrontiert werden.
  • Jede Bäuerin und jeder Bauer, jede landwirtschaftliche Erzeugerin und jeder landwirtschaftliche Erzeuger sowie jede natürliche oder juristische Person, die oder der Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse verkauft.
  • Eine Gruppe landwirtschaftlicher Erzeuger oder eine Gruppe von natürlichen und juristischen Personen, wie Erzeugerorganisationen, Lieferantenorganisationen und Vereinigungen.

Wie kann das Fairness-Büro helfen?

  • Betroffene können sich anonym und kostenlos an das Fairness-Büro wenden. Es soll beratend tätig sein, Beschwerdefälle analysieren und hinsichtlich der rechtlichen Relevanz prüfen.
  • Eine Schlichtungsstelle kann eingeschaltet werden, sofern dies von beiden Parteien ausdrücklich gewünscht wird. Der Großteil der Fälle soll so im Vorfeld geklärt werden, damit das Lieferverhältnis unter fairen Bedingungen möglichst aufrechterhalten werden kann.
  • Das Fairness-Büro kann auch auf Ersuchen des Betroffenen den Fall an die Bundeswettbewerbsbehörde zur weiteren Behandlung weitergeben.
  • Anonymität wird großgeschrieben! Daher: Soweit nicht ausdrücklich darauf verzichtet wird, hat das Fairness-Büro alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Identität sowie alle sonstigen Informationen zu schützen.
  • Das Fairness-Büro wird einen jährlichen Bericht über Anzahl, Art und Ausgang der Fälle von unlauteren Praktiken vorlegen.

Was ist das Fairness-Büro nicht?

  • Das Fairness-Büro fungiert nicht als Anwalt oder Vertreter des Betroffenen in behördlichen oder gerichtlichen Verfahren.
  • Das Fairness-Büro führt kein behördliches Verfahren, trifft keine behördliche Entscheidung. Es unterscheidet sich damit von der Bundeswettbewerbsbehörde, die als Ermittlungsbehörde tätig wird, sowie dem Kartellgericht.

Was sind unfaire Geschäftspraktiken?

  • Es wird zwischen Handelspraktiken unterschieden, die jedenfalls verboten sind und solchen, die nur dann erlaubt sind, wenn sie zuvor klar und eindeutig in der Liefervereinbarung oder in einer Folgevereinbarung zwischen dem Lieferanten und dem Käufer vereinbart worden sind.

Unbedingt verbotene Praktiken

  • Zahlungsverzug an den Lieferanten über 30 Tage bei verderblichen Lebensmitteln.
  • Zahlungsverzug an den Lieferanten über 60 Tage bei anderen Lebensmitteln.
  • Kurzfristige Stornierung von Bestellungen verderblicher Lebensmittel.
  • Einseitige Änderung der Lieferbedingungen hinsichtlich Häufigkeit, Methode, Ort, Zeitpunkt oder Umfang der Lieferung, Qualitätsstandards, Zahlungsbedingungen oder Preise (auch im Hinblick auf die Erbringung von Dienstleistungen).
  • Verlangen von Zahlungen vom Lieferanten,
  • die nicht im Zusammenhang mit dem Verkauf der Lebensmittel des Lieferanten stehen,
  • für Qualitätsminderung oder den Verlust, die nicht durch Fahrlässigkeit oder Verschulden des Lieferanten verursacht werden.
  • Verweigerung einen schriftlichen Vertrag zu schließen, wenn dies gewünscht ist.
  • Rechtswidriger Erwerb oder Nutzung von Geschäftsgeheimnissen des Lieferanten.
  • Androhung oder Ergreifen von Vergeltungsmaßnahmen gegen den Lieferanten, wenn der Lieferant sein Recht durchsetzen möchte.
  • Verlangen einer Entschädigung für die Kosten von Kundenbeschwerden im Zusammenhang mit dem Verkauf der Erzeugnisse des Lieferanten.
  • Gewährung schlechterer Konditionen im Vergleich zu dessen Mitbewerbern bei gleichwertiger Leistung aus unsachlichen Gründen.
  • Einschränkung anderer Vermarktungsformen aus unsachlichen Gründen als Bedingung für die Aufnahme oder Fortsetzung von Geschäftsbeziehungen.

Bedingt verbotene Praktiken

  • Der Käufer schickt nicht verkaufte Lebensmittel an den Lieferanten zurück, ohne dafür zu bezahlen.
  • Vom Lieferanten wird eine Zahlung dafür verlangt, dass seine Erzeugnisse zum Verkauf angeboten, gelistet oder auf dem Markt gebracht werden.
  • Der Käufer verlangt vom Lieferanten, dass dieser die Kosten für Aktionen und Preisnachlässe (1+1, -25% etc.) trägt.
  • Der Käufer verlangt vom Lieferanten, dass dieser für die Werbemaßnahmen (Flugblätter, Anzeigen etc.) des Käufers zahlt.
  • Der Käufer verlangt vom Lieferanten, dass dieser für die Vermarktung von durch den Käufer zahlt.
  • Der Käufer verlangt vom Lieferanten eine Zahlung für das Personal für die Einrichtung der Räumlichkeiten, in denen die Erzeugnisse des Lieferanten verkauft werden.

 

Kategorien

geschrieben am

04.03.2022