Inflation und Innovation bei Obst und Gemüse
Bericht: Hanspeter Madlberger
Der weltweite Trend zu veganer Ernährung, nicht zuletzt dem Klimawandel geschuldet, beflügelt auf Sicht die Obst- und Gemüse-Lieferketten in Europa. Andererseits aber kommt es infolge der Inflation mittelfristig zu massiven Einbrüchen bei der Konsumentennachfrage. Die großen Handelsketten setzen zwar bei Bio auf Eigenmarken aus regionaler Produktion. Aber bei konventioneller Ware auf Importe aus mediterranen Billigproduktions-Ländern. Verstärkt wird dieser Trend durch Digitalisierung (KI und Robotik) in West-und Mitteleuropa, die zu Intensiv-Landbau, Mengensteigerung und damit zu Kosten- und Preissenkung führen soll.
Nirgendwo in Europa wird zurzeit so intensiv über die Obst- und Gemüse-Branche und damit über die Wachstumschancen des Grünen Sortiments in unseren Supermärkten diskutiert, wie in Deutschland. An die beiden Berliner Großevents, die Grüne Woche - von Beobachtern als „Davos der Bauern“ bezeichnet - und die anschließende Fruit Logistica Messe, die diese Woche über die Bühne ging, reiht sich in wenigen Tagen die Biofach Nürnberg, Europas bedeutendster Treffpunkt der Organic Food-Produzenten und –Vermarkter.
Konsum von O&G in Europa unter Inflationsdruck
Wie die Organisation Freshfel Europe am 31. Jänner bekannt gab, sei damit zu rechnen, dass 2022 der pro-Kopf-Konsum an Obst und Gemüse in Europa von 2021 auf 2022 um 10% gesunken ist. 2021 lag dieser Wert bei 364 Gramm pro Kopf und Tag, die von der WHO empfohlene Mindestmenge hingegen beträgt 400 g! „Die Wirtschaftskrise, die sich nach dem Krieg in der Ukraine auf alle EU-Mitgliedsstaaten auswirkt und der zunehmende Protektionismus in der Welt beeinträchtigen die Kaufkraft der Verbraucher erheblich und schränken ihre Lebensmittelausgaben ein“, konstatiert der Freshfel Europe Consumption Monitor.
Aber die Inflation ist bei weitem nicht der einzige Störfaktor, der die Lieferketten von den Gärtnern zu den Supermarkt-Regalen belastet. Das European Statistic Handbook 2023, das vor wenigen Tagen erschien und bereits die vorläufigen Daten 2022 ausweist, gewährt tiefe Einblicke in den O+G-Warenverkehr zwischen den großen Produzenten-Ländern (Spanien, Italien) und den großen Verbraucher-Ländern, allen voran Deutschland .
Hier einige Highlights dieser Top-aktuellen Bestandsaufnahme:
- Die gesamte EU weist aktuell gegenüber dem Rest der Welt bei Obst einen jährlichen Importüberschuss von 7,6 Mrd. Euro, bei Gemüse jedoch einen Exportüberschuss von 1,5 Mrd. Euro auf.
- Auch 2022 war Spanien unter den EU-Ländern der größte Produzent, sowohl von Obst als auch von Gemüse. Und das, obwohl das Volumen in beiden Sparten gegenüber 2021 schrumpfte.
- Größter Obstimporteur aus Ländern innerhalb und außerhalb der EU waren 2022 die Niederlande, gefolgt von Deutschland und Frankreich. Beim Gemüse lautet das Import-Ranking hingegen: Deutschland vor Frankreich und Niederlande.
- Bei den Obst-Exporten rangiert Spanien vor den Niederlanden und Italien, bei den Gemüse-Lieferungen in die EU und den Rest der Welt führt Spanien das Ranking an, ganz knapp dahinter folgen die Niederlande; drittstärkster Exporteur ist, mit großem Abstand, Frankreich.
- Auffallend: Die Holländer, beim Gemüseanbau - Stichwort: Paradeiser - schon immer äußerst kreativ unterwegs, rangieren sowohl beim Import als auch beim Export des grünen Sortiments im europäischen Spitzenfeld. Sie agieren somit als hochaktive Treiber des Obst- und Gemüse-Warenverkehrs quer durch unseren Kontinent.
Sonderfall Deutschland: Extrem negative O+G Handelsbilanz
Eine besondere Rolle im interkontinentalen und im europäischen O+G-Warenverkehr nimmt Deutschland ein. Die Handelsbilanz unseres nördlichen Nachbarn, des einwohnerstärksten EU-Mitglieds, ist beim grünen Sortiment ausgeprägt negativ. „80% des Obstes und 65% des Gemüses werden importiert“, stellte der Präsident des Deutschen Fruchthandelsverbandes anlässlich der Fruit Logistica-Eröffnung fest. 2022 verbuchten die Deutschen bei Obst einen Importüberschuss von 6,8 Milliarden Euro, bei Gemüse wurde um 4,7 Mrd. Euro mehr importiert als exportiert. Allein diese Zahlen veranschaulichen, wie sehr die Kaufentscheidungen der deutschen Shopper vor den Obst- und Gemüseregalen der Super- und Discountmärkte die Warenströme innerhalb der Union beeinflussen.
Österreich: Importüberschuss bei Obst und Gemüse
Ein, wenngleich unter dem Klimawandel leidender, noch immer namhafter europäischer Apfelproduzent, der den Anschluss an die internationale Entwicklung (Bio-Äpfel, klimaresistenter Anbau) nicht versäumen darf. Gemüsegärtner, deren Produktionsvolumen mit Blick auf die Inlandsversorgung noch viel Luft nach oben hat. Und die über Freshcut-Fertigsalate ihre Wertschöpfung erheblich steigern können. So lässt sich mit wenigen Worten die Position beschreiben, die heimische Produzenten wie OPST (Frisch Saftig Steirisch), Sonnengemüse, efko, Eisberg, Frutura oder Zeiler, aus europäischer Perspektive betrachtet, einnehmen. Das Statistische Handbuch der Fruit Logistica weist für Austria folgende Eckdaten aus:
Bei Obst beträgt der Importüberschuss 2022 nicht weniger als 707 Millionen Euro, die „Hauptschuld“ liegt bei den Bananen-Importen, die allein 142 Millionen Euro ausmachen.
Exportstütze sind weiterhin unsere Äpfel, das Volumen aber ist in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen, von 100 Millionen Euro im Jahr 2019 auf 48 im Jahr 2022.
Beim Frischgemüse standen 2022 Exporten im Ausmaß von 181 Millionen Euro Importe in Höhe von 556 Millionen gegenüber. Tomaten führen die Import-, Zwiebel die Exportstatistik an.
Welche internationalen Entwicklungen beeinflussen diese durchwachsene Bilanz der rotweißroten Obst- und Gemüseproduktion? Und wie verträgt sich die Trendanalyse der Fruit Logistica mit unserer Agrarpolitik; die für die gesamte Landwirtschaft die Devise: „Selber produzieren, statt Krisen importieren“ (Motto der diesjährigen Wintertagung) ausgegeben hat?
Detailantworten auf diese Fragen liefert der Branchen-Newsletter Fruchtportal. Er wartet, wie die folgenden Beispiele beweisen, mit spektakulären Berichten aus der O+G-Branche auf, die auch für das heimische Marktgeschehen in hohem Maße relevant sind.
Zeiler-Glashaus in Ungarn: 550.000 Gurken pro Woche für europäischen Markt
Der niederösterreichische Gemüse-Großgärtner Christian Zeiler, namhafter Lieferant der Rewe in Ostösterreich, ist mit seiner Tochterfirma Zeiler Hungária zu einem bedeutenden Player im europäischen Gurkenhandel aufgestiegen. Sein 5,5 ha großes Glashaus in Westungarn, 30 km von der Grenze zu Österreich entfernt, beheizt von zwei Geothermie-Quellen, liefert pro Woche 550.000 Stück Gurken an europäische Einzelhändler. Zeilers Vertriebspartner ist die Firma Port International European Sourcing GmbH. Sie entwickelt in Zusammenarbeit mit internationalen Supermarktketten (!) Anbaukonzepte für die Landwirtschaft. Dabei wird auf Nachhaltigkeit besonderer Wert gelegt.
RWA-Partner BayWa ist als Apfel-Produzent global aufgestellt
Die BayWa, taktgebender Gesellschafter der heimischen Raiffeisen-Lagerhaus-Organisation RWA zählt mit ihrer Tochter T&G Global zu den führenden Apfelproduzenten der Südhalbkugel. Im März geht in der Hawks Bay in Neuseeland der erste Abschnitt eines hochmodernen Packhauses in Betrieb. Im Endausbau wird der Betrieb, eine Investition von 100 Millionen Neuseeland-Dollar, über eine Packkapazität von mehr als 125 Millionen Kilo Äpfel pro Saison verfügen.
Eine andere BayWa-Tochter, TFC Holland nahm zu Jahresbeginn in den Niederlanden eine 26.000m2 große KI-gestützte Reifeanlage für Avocados und Mangos in Betrieb. Ziel dieser Investition ist eine deutliche Steigerung der Leistungsfähigkeit bei der Belieferung der Kunden in Europa mit exotischem Obst und Gemüse.
Auf der Fruit Logistica stellte eine Tochter des weit verzweigten BayWA-Konzerns die erste kommerzielle Variante neu gezüchteter hitzetoleranter Apfel- und Birnensorten vor. Sie werden unter der Lizenzmarke Tutti vermarktet und wurden mehr als fünf Jahre hindurch mit Testpartnern in ganz Europa geprüft und von Konsumenten sowie Obstbauern umfassend bewertet.
Steirische Alternative zum Neuseeland-Klimaschutz-Apfel
Im Fruchtportal nahm kürzlich Fritz Prem, Mastermind der europäischen Bio-Apfelbauern, zum Klimawandel Stellung. Er will keine neuen, Klimafit-Clubsorten einführen, bei denen wie bei der Pink Lady, entsprechende Lizenzgebühren zu berappen sind, er plädiert vielmehr dafür, die Böden klimafit zu machen. Was meint Prem konkret? Durch konventionelle Technologien der Bodenbearbeitung wurde bislang die Wasserspeicher-Kapazität der Böden auf knapp zwei Wochen reduziert. Was bei den langen Trockenperioden, wie sie seit Jahren zu beobachten sind, katastrophale Auswirkungen auf den Ernteertrag hatte. Bioböden hingegen sind in der Lage, Regenwasser in ausreichenden Mengen über sechs bis sieben Wochen zu speichern und so das Wurzelwerk zu versorgen. Fazit: Unsere Obsteinkäufer werden sich demnächst überlegen müssen, ob sie Klimaschutz-Äpfeln aus der Steiermark oder aus Neuseeland den Vorzug geben.