Industrie: Statement zu Nutri-Score
Front-of-Pack-Nährwertkennzeichnungen wie der Nutri-Score gewinnen europaweit an Bedeutung als Instrument zur Förderung gesünderer Kaufentscheidungen - so ist die Meinung der Befürworter. Erst jüngst hat es auch auch in Österreich unterschwellig formulierte Bestrebungen gegeben die Lebensmittelindustrie davon zu überzeugen, das „Ampelsystem“ auf den Produkten zu verwenden. doch die Österreichische Lebensmittelindustrie vertreten durch den Fachverband der Lebensmittelindustrie lehnt farbliche Symbole bei der Kennzeichnung von Lebensmitteln als diskriminierend und irreführend ab.
Erklärung: was ist Nutri-Score?
Konkret ist der Nutri-Score ein fünfstufiges Farb-Buchstaben-Schema, welches Informationen über die Nährwertqualität eines Lebensmittels auf einen Blick bieten soll. Die Farb-Buchstaben-Kombination bewertet zusammenfassend den Gehalt an Energie und ausgewählten Nährstoffen sowie den Anteil ausgewählter Lebensmittelgruppen (z. B. Obst, Gemüse, Nüsse, Hülsen- und Schalenfrüchte) eines Lebensmittels. Hierzu werden Grenzwerte, bezogen auf 100 g bzw. 100 ml des Produkts, herangezogen, um Punkte zu vergeben (Positivpunkte für Inhaltsstoffe, für die ein gesundheitlicher Nutzen belegt ist, und Negativpunkte für Inhaltsstoffe, deren übermäßige Zufuhr mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko verbunden ist). Aus diesen Punkten wird eine Summe gebildet, die in die verwendeten Kategorien übersetzt wird: Je günstiger die zusammenfassende Bewertung ausfällt, desto mehr tendiert die Bewertung zur Farbe Grün bzw. zum Buchstaben A.2
Die verschiedenen Nutri-Score-Logos sind als Unionsmarken in allen Mitgliedsstaaten der EU geschützt. Deren Verwendung setzt den Abschluss einer Lizenzvereinbarung mit der französischen Nationalen Agentur für öffentliche Gesundheit (Agence Nationale de Santé Publique) voraus. Die farbkodierten Kategorien A bis E (dunkelgrünes A als beste und rotes E als schlechteste) sollen den Verbraucher also ohne näheres Studium des (verpflichtenden) Zutatenverzeichnisses und der Nährwerttabelle darüber aufklären, ob ein Lebens- mittel ernährungsphysiologisch „gut“ oder „schlecht“ ist.
Die österreichische Lebensmittelindustrie lehnt die Einführung des Nutri-Score aus folgenden Gründen ab:
- Die österreichische Lebensmittelindustrie unterstützt ein EU-weit einheitliches, wissenschaftsbasiertes, freiwilliges, nicht diskriminierendes FoP-System. Das Nutri-Score lehnt die Branche (rund 200 Unternehmen) jedoch ab, da es sich dabei um ein wertendes Ampelsystem handelt, das Lebensmittel in „gut“ und „schlecht“ einteilt und eine diskriminierendeWirkung hat. Freiwillige Initiativen einzelner Unternehmen werden von der Branche zur Kenntnis genommen.
- Um den freien Warenverkehr innerhalb des Binnenmarktes sicherzustellen, unterstützt die exportorientierte österreichische Lebensmittelindustrie EU-weit einheitliche Vorgaben und spricht sich deshalb gegen nationale Vorgaben, somit auch gegen eine offizielle Empfehlung des Nutri-Score, aus.
- Die Freiwilligkeit der Verwendung ist in Zusammenhang mit einer Empfehlung Österreichs für das Nutri-Score nur auf rechtlicher, aber nicht auf faktischer Ebene gewährleistet. Nicht nur der Lebensmitteleinzelhandel würde dadurch zusätzlich unter Zugzwang geraten, die Verwendung des Nutri-Score von den Herstellern einzufordern (bereits jetzt wird österreichischen Unternehmen, die nach Deutschland liefern, mit Auslistung gedroht, wenn sie die Anwendung das Nutri-Score ablehnen), sondern auch von Seiten der Arbeiterkammer und der verschiedensten Verbraucherschutzorganisationen würde Druck auf Unternehmen ausgeübt werden.
- Für die Lebensmittelhersteller bedeuten laufende Verpackungsänderungen und das Erstellen unterschiedlicher Verpackungen für die Mitgliedstaaten eine enorme bürokratische und finanzielle Belastung. Die österreichischen Lebensmittelhersteller befinden sich bereits jetzt in der besonders schwierigen Situation, dass deren Hauptexportmärkte, Deutschland und Italien, das Nutri-Score unterschiedlich beurteilen. Während es in Deutschland eine offizielle Empfehlung dafür gibt, wird es in Italien als irreführend beanstandet. Alle anderen Nachbarstaten Österreichs lehnen das Nutri-Score ab, bis auf die Schweiz, wo aber bereits ein Abrücken vom Nutri-Score stattfindet.
- Das Argument, dass das Nutri-Score ein wirksames Mittel zur Bekämpfung von Übergewicht und Adipositas in der Bevölkerung darstellen würde, ist nicht nachvollziehbar. Die EU-Kommission kommt nämlich in ihrem umfassenden Bericht über die Verwendung zusätzlicher Formen der Angabe und Darstellung der Nährwertdeklaration vom 20. Mai 2020 zu folgendem Schluss: Die zahlreichen Studien können keinen Zusammenhang zwischen einer FoP-Nährwertkennzeichnung auf Lebensmitteln und einer besseren Ernährungsweise bzw. Gesundheit der Menschen belegen.
- Nebenbei bemerkt, ist das Nutri-Score hinsichtlich seiner Einstufung von Lebensmitteln, mit teilweise für Konsumenten geradezu irreführenden Ergebnissen, fachlich zunehmend sehr umstritten.
- Als Begründung für das Vorhaben, das Nutri-Score mit einer Empfehlung durch das Gesundheitsministerium zu unterstützen, wird häufig das Erfordernis einer rechtlichen Basis zur freiwilligen Verwendung für Unternehmen genannt. Diese zusätzliche Maßnahme von Seiten Österreichs sieht der Fachverband Lebensmittelindustrie nicht als zwingend an.
- Die Anwendbarkeit des Grundsatzes des freien Warenverkehrs auf importierte Lebensmittel, die das Nutri-Score tragen und im EU-Binnenmarkt zirkulieren, wurde durch die EU-Kommission bestätigt. Das würde den Schluss nach sich ziehen, dass diese so gekennzeichneten Lebensmittel als verkehrsfähig einzustufen sind, außer Gründe des Gesundheits- und Verbraucherschutzes stünden dem entgegen (Cassis de Dijon). Was für Importware gilt, muss im Umkehrschluss auch für in Österreich hergestellte Lebensmittel, die das Nutri-Score tragen, gelten. Diese wären sohin unterschiedslos - im Inland und im EU-Binnenmarkt - als zulässig zu beurteilen, sofern das Nutri-Score den Anforderungen des Art 35 Abs 1 EU-InformationsVO genügt.
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Einzelstaatliche Maßnahmen, welche die österreichischen Lebensmittelhersteller faktisch unter Druck setzen, lehnt man ab. Vielmehr setzt man sich für einen starken EU-Binnenmarkt ein und unterstützt europäische Kennzeichnungsregelungen im Gegensatz zu nationalen Alleingängen und Gold Plating.