Direkt zum Inhalt
Ikea oder Signa: Wer erweckt Cityhandel zu neuem Leben?

Ikea oder Signa: Wer erweckt City zu neuem Leben?

ACSP-Kongress 2021: Wie gelingt Wiederbelebung der City-Einkaufszentren trotz Corona-Krise und Online-Boom? Ein Bericht von Dr. Hanspeter Madlberger.
  • Beim ACSP Kongress 2021 in Wien ging es um die Zukunftschancen der urbanen Shopping Centers. Corona und Online-Boom haben viel Schaden angerichtet.
  • Alain Thierstein, Professor an der TU München: Gefragt sind Mixed Use-Projekte mit kommerzieller und nicht kommerzieller Nutzung. Investoren und Kommunen müssen dabei an einem Strang ziehen.
  • Testfall Mariahilferstraße: IKEA oder SIGNA, wer sorgt für mehr Einkaufs- und Freizeit-Vergnügen?


Bericht: Dr. Hanspeter Madlberger

Die Krise der Innenstadt-Geschäfte ist hausgemacht. Die Kunden zieht es, gerade in  Corona-Zeiten, in den großflächigen Einzelhandel an der Peripherie. Dieser Trend wird noch verstärkt durch Fehlentwicklungen im Wohnbau. Im urbanen Raum entstehen immer mehr teure Wohnungen, die sich viele Junge nicht leisten können.

Mit dieser Theorie, belegt durch Untersuchungen in deutschen Großstädten, sorgte Alain Thierstein, Professor für Raumentwicklung an der TU München für reichlich Diskussionsstoff beim diesjährigen ACSP-Kongress, der am 3.11. im Haus der Industrie am Wiener Schwarzenbergplatz in Szene ging. Die Veranstaltung, bei der sich Handelsimmobilien-Investoren und Großfilialisten, Makler und Banker über  Erfolg versprechende  Shoppingcenter-Strategien austauschen und hoffen, von Fachleuten, die den großen Überblick haben, Orientierungshilfe zu bekommen, stand unter dem Motto: Shopping Places, die Chancen der stationären Marktplätze in Städten und Orten.

Die Chancen sind vorhanden, das bestätigte auch Thierstein, aber er legte den Schwerpunkt seiner Ausführung auf die großen Versäumnisse und Fehlentwicklungen im urbanen Raum, vor allem, was die Zusammenarbeit der Kommunen mit dem innerstädtischen Handel betrifft. Fehlentwicklungen, die durch Pandemie, Online-Hype und Klimakrise massiv verstärkt werden. Thierstein dazu: "Das erste iPhone kam 2007 auf den Markt. Die Entwicklung des Onlinehandels zeichnet sich seit mehr als zehn Jahren ab. Aber man hat darauf lange nicht reagiert". 

Kürzlich schrieb die Neue Zürcher Zeitung: "Kunden brauchen einen triftigen Grund, warum sie sich auf den Weg in ein Shopping Center oder in die  Stadt machen". Der Gast aus München leitet daraus die Forderung ab: Es muss eine neue Balance zwischen Online und stationärem Handel gefunden werden. In dieser Frage herrsche unter den Stakeholdern große Ungewissheit, allmählich aber kristallisieren sich First Mover-Allianzen heraus.

Damit die Innenstädte ihre neue Rolle als Offline- und Online-Marktplätze finden, gilt es, die geänderten Vorlieben der Bevölkerung zu beachten, was die Wahl des Wohnstandorts betrifft.
Thierstein: "Google Space Analysen  im Großraum München zeigen, dass wir es mit zwei gegenläufigen Wohntrends zu tun haben. Viele Junge zieht es in die Großstadt. Sie wollen am urbanen Leben teilhaben.  Zweitens beobachten wir auch den gegenläufigen Trend zur dezentrale Konzentration: Das Hinausdriften aus der Millionen-Metropole München  in "Zweitstädte" wie Freising, Augsburg oder Rosenheim". Befördert wird dieser Wohnort-Wechsel an die Peripherie durch das neue Arbeitsplatz-Modell "Halbe/Halbe". 50% der Arbeitszeit verbringt man zuhause (Working from Home), 50% in der Firma. Das Berufspendeln vom Land in die Großstadt wird dadurch stark reduziert. Klar, dass dieser Trend das Einkaufsverhalten und die Wahl der Einkaufsstätte nachhaltig  beeinflusst.

City-Ikea, ein großer Wurf?

Die große Herausforderung an den Handel und die Investoren in Handelsimmobilien aber besteht darin, diesem tief greifenden soziologischen Wandel durch innovative Store-Konzepte Rechnung zu tragen. In seinem Vortrag stellte Thierstein die City-Strategien eines Global Retailers mit vier Buchstaben (gemeint ist Ikea) jener des Handels-Immobilien-Investors mit fünf Buchstaben (gemeint ist Benkos Signa) gegenüber. Der schwedische Möbelhändler, der den Elch im Wappen führt, hat speziell für innerstädtische Lagen ein Kleinformat entwickelt, das sich in vielerlei Hinsicht vom Großmarkt auf der Grünen Wiese unterscheidet. Das Ikea City Format sucht als Kunden eine neue Generation, die kein Auto braucht. Praktiziert den perfekten Mix aus Offline- und Online-Handel. An die Stelle der Selbstabholung tritt die Zustellung, wie im Versandhandel. Zugleich verwandet sich das klassische Möbelhaus in ein Einkaufszentrum, eine City-Galerie mit dem Ikea-Markt als Anker. Ein Ikea Restaurant darf im Angebot nicht fehlen. Errichtet und betrieben wird dieses Center durch die Immobilientochter von Ingka, der Holding des Ikea-Imperiums. In Europa, Russland und China gibt es mittlerweile 45 solcher Ingka Shopping Centers. Vorzeigeprojekte in unseren Breiten sind die City-Häuser in Hamburg Altona, in Berlin Pankow, beim Hauptbahnhof Zürich und in Wien neben dem Westbahnhof. Wie die Fachzeitschrift Across berichtet, plant Ingka demnächst in London am stark frequentierten Oxford Circle ein Center mit 22.200 m2 Fläche, verteilt auf sieben Ebenen, davon entfallen sechs auf den Retail-Bereich. Die Gesamtinvestition beläuft sich dort auf  446 Mio Euro.

Große konzeptionelle Unterschiede zwischen Ikea und Signa (KaDeWe, Galeria)

Alles aus einer Hand, alles aus einem konzeptionellen Guss, die Vermählung von skandinavischer Wohn- und Ess-Kultur, dazu ein ausgereiftes Omnichannel-Konzept,  das sind  die Säulen des Ikea Store Branding, umgesetzt im City-Format. Ganz anders die Strategie von Signa. Das Immobilien- und Retail-Imperium des René Benko setzt auf Renommierstandorte in  innerstädtischen Hochfrequenzlagen, progressives Design von Stararchitekten, standortspezifische Differenzierung, Mixed Use, und das shop-in-shop-Angebot von Weltmarken. Omnichannel ist bislang bei Signa, anders als bei Ikea,  stark unterentwickelt. 

Der Fall Oberpollinger

Das Urteil des aus der Schweiz stammenden Professors für Raumentwicklung über jüngste Signa-Eröffnungen fällt differenziert aus. Viel Diskussion gab es in München über den Komplettumbau des Kaufhauses Oberpollinger, eines der Weltstadtkaufhäuser der KaDeWe Gruppe,  an denen Signa einen 49,9%-Anteil hält. Die hauchzarte 50,1%-Mehrheit liegt bei der Central Retail Corporation der thailändischen Familie Chirathvat. Das Traditionskaufhaus Oberpollinger, 1905 gegründet, gelangte als Karstadt-Standort in das Signa-Imperium. Das Haus an der Neuhauser Straße bildet ein städtebauliches Ensemble mit der benachbarten Michaelskirche und der Alten Akademie der bayerischen Wissenschaften mit dem berühmten Richard-Strauss-Archiv. Weil Signa zwecks  Erweiterung  des Oberpollinger die Alte Akademie  vom Freiststaat Bayern erwarb, gab es in der Weißwurst-Metropole stürmischen Bürgerprotest, befeuert von Medien. Gefragter Interviewpartner in diesem Streit war Professor Thierstein, der gegenüber der Süddeutschen Zeitung konstatierte, Innenstädte würden ihren Reiz auch dann nicht verlieren, "wenn intransparente Investoren wie René Benko nach mehr Immobilien greifen".

Shopping Places als öffentlicher Raum

Er habe Signa bloß verteidigen wollen, weil die Österreicher in politische Auseinandersetzungen hineingezogen wurden, sagte Thierstein nach seinem Vortrag im Gespräch mit retailreport.at. Überhaupt sieht er das Kernproblem, das einer Erneuerung der innerstädtischen Shopping Places im Wege steht, in der mangelnden Bereitschaft vieler Kommunen, sich konstruktiv bei Projekten von kommerzieller und nicht kommerzieller Nutzung (Mixed Use) einzubringen. Die Shopping Places in gemeinsamer  gesellschaftlicher Verantwortung als durchgehend öffentlichen Raum zu gestalten, darin liege die Chance für eine Revitalisierung der City. Bei Mixed Use komme es auch auf die Nutzung der einzelnen Etagen an. Die Zukunft von Malls wie Galeria liegt für Thierstein darin, dass auf den verschiedenen Ebenen unterschiedliche profit- und nonprofit-Nutzungen sich zu einem stimmigen Gesamtangebot verknüpfen.  "Die Rentabilitäts-Berechnungen müssen in diesem Fall neu aufgestellt werden."

Zumindest vom Ansatz her entspricht das bereits in Bau befindliche Signa-Shopping Center nach KaDeWe-Vorbild in der Wiener Mariahilferstraße diesen Maximen des Professors of Urban Development.  Solcherart wird die Shopping Meile zwischen Westbahnhof (wo der neue City Ikea bereits in Betrieb ist) und dem Museumsquartier, wo die Abrissarbeiten am ehemaligen Leiner Möbelhaus in Gang sind, zum Testfall. Welcher der beiden Investoren hat das attraktivere Konzept für die digital gepowerte Kundschaft und wer versteht es besser, die kommunalen Behörden für innovative Lösungen zu begeistern?

Kategorien

Tags

geschrieben am

09.11.2021